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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0099
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3243 --

zu wachsen an, daß sie in einem Augenblick
den ganzen Körper umhüllten. Selbstverständ-
lich gerieth der junge Herr Statthalter über
dieses Wunder in den gebräuchlichen Zorn
und setzte es bei seinem Papa durch, daß die
tugendhafte Camilla nach ein bischen Foltern
und Rädern enthauptet wurde.

Reserl faßte, nachdem sie diese anregende
Lebensbeschreibung gelesen hatte, großes Ver-
trauen zu der anempfohlenen Heiligen, kniete
nieder und betete zur heiligen Camilla, daß
sie ihr einen Verehrer bescheeren möge.

Reserl stand auf, knixte und ging mit hoff-
nungsgeschwelltem Herzen nach Hause.

Am Samstag ging Reserl nochmals in die
Kirche, trug ihre Bitte abermals vor und
nahm schließlich das goldene Herzerl, welches
sie an einem Kettchen um den Hals trug, herab
und hing es über den Arm der Camillastatue.
Dabei sprach sie: „Schau, heilige Camilla,
heut' is schon Samstag und morgen is Sonn-
tag, und da »maß i wieder allan umananda-
rennen mit mein neuen Klad — geh', hilf mir!"

Und siehe da!

Nicht allein in alten Heiligenlegenden ge-
schehen Wunder, sondern auch in der sünd-
haften Gegenwart. Als Reserl aus der Kirche
trat, stand drüben ein junger Mensch, der an
seinem Schnurrbärtchen zupfend gelangweilt
um sich blickte. Da die Straße etwas naß
war, lüpfte Reserl ihre Röcke (vielleicht ein
wenig höher, als gerade nöthig war) beim
Hinübergehen. Sie bemerkte, daß der junge
Mensch hersah, lächelte und ihr dann folgte,
bald vor, bald neben ihr gehend. Schade, daß
sie heute nicht die Saffianstieferl an hatte!

Reserl dachte unwillkürlich: „Aha — den
hat mir die heilige Camilla geschickt. Ganz
g'wiß. An Blonden Hab' i immer woll'n. Das
is schon der Richtige. Wirklich a sauberer
Mensch. (Sie blickte verstohlen zu ihm.) Und
wia er fein gekleidet is. Jessas — der hat gar
Lackschuh'. Na, so was! . . . Der paßt ganz
zu mir. Und dös liabe G'sicht. . . ."

In diesem Augenblick sprach sie der fremde,
junge Mann an. Sie ließ all' die schönen
Worte und Schmeicheleien über sich ergehen.
Dabei dachte sie immer: „Was wird er erst
sagen, wenn er mein neu's Klad, meine Saffian-
stieferl und mein seidenen Unterrock sehen
wird!" Als er sie gar für den nächsten Sonntag
einlud, mit ihm ein bekanntes Vergnügungs-
Etablissement zu besuchen, da kannte ihre
Freude keine Grenzen. Ihre letzten Zweifel
begannen zu schwinden, den konnte absolut
nur die heilige Camilla geschickt haben. Wer
hätte es denn sonst wissen können, daß sie schon
für Sonntag einen Verehrer sich gewünscht hat?

Kurz, die Reserl war vom „Herrn Karl"
— wie sich der junge Mensch kurzerhand vor-
gestellt hatte — ganz entzückt und opferte am
nächsten Tage noch eine wächserne Kerze, wo-
bei sie bemerkte, daß das goldene Herzerl von
der Camillastatue verschwunden war. Jetzt
glaubte die Reserl gar: ein wirkliches, großes
Wunder wäre geschehen — die heilige Camilla
hätte sich das goldene Herzerl geholt!

So verging ein gutes Vierteljährchen.

Da kam Reserl wieder zur heiligen Camilla,
die sie während dieser Zeit ganz vernachlässigt
hatte. Verschüchtert und niedergeschlagen kniete
sie nieder. Ein großer Kummer mußte Reserl
drücken.

Diesmal betete sie also zur heiligen Camilla:
„Liabe, heilige Camilla, Du muaßt ma ver-
zeih'n, daß i so lang net kumma bin. Waßt,
1 Hab' heut' a groß Anlieg'n. Damals warst
so guat und hast ma g'holfen — aber, Du
liost ma z'viel g'hols'n. Wirklich, heilige

Camilla — das wär' net nothwendig g'wes'n!
Freilich, jetzt is g'scheh'n, und wir Menschen
können dran nix ändern. Aber Du, heilige
Camilla — Du könntest helfen! :— Geh,
wirk' noch amal a Wunder und mach das —-
i trau mir's gar net z'sagen — ung'scheh'n.
Ja —? Du verstehst mich schon, was i man.
I werd es ganz g'wiß nimma thuan! Ganz
g'wiß net. Der Karl hat mir halt soviel zua-
g'redt. Er hat immer g'sagt: Aber Tschaperl,
's g'schieht ja nix! Und i dumms Madel hab's
glaubt. Freilich is dann doch was g'scheh'n.
Alsdann, heilige Camilla, hilf mir, i verlob
Dir zwa wächserne Kerzen — Amen!"

Vier Tage wartete Reserl auf die Wirkung
des Gebetes. Umsonst — die heilige Camilla
erhörte sie nicht.

Nachdem sie ihre Bitte nochmals vorge-
bracht und weitere acht Tage zugewartet hatte
und sich abermals enttäuscht sah, ging sie et-
was unmuthig doch noch einmal zur heiligen
Camilla. Diesmal opferte sie das goldene Arm-
band, welches sie von „ihm" erhalten hatte.

„Jetzt wird mir die heilige Camilla ganz
gewiß helfen!" tröstete sich Reserl.

Und sie hoffte, hoffte und hoffte von einem
Tag auf den anderen. Wenn sie Morgens
wach wurde, erwartete sie, daß ihr Zustand
über Nacht — verschwunden sei. Leider er-
eignete sich das Wunder nicht. Im Gegentheil
— die Umstände wurden immer fataler. Die
Mutter mußte es bald merken, wie sonderbar
die heilige Camilla ihrer Reserl geholfen hat.

Und dann-- — der Skandal — das Auf-

sehen — die Schande. Ja — die Schande.
Bon allen ausgelacht!

Als sich Reserl das überlegte, dachte sie
unwillkürlich: „Wenn mich die heilige Camilla
am Ende gefoppt hätte!?"

Und da wurde Reserl wüthend. Sie lief
in die Kirche zum Altar der heiligen Camilla.
Zuerst bemerkte sie den Abgang des Arm-
bandes. Dann sagte sie: „Maßt, mei liabe
heilige Camilla, Du bist mir a schöne Heilige,
dö a unschuldigs Madel so in d'Verlegenheit
bringt! Warum hilfst ma denn net? Das is
gar net schön von Dir. Ma hätt i das von
aner Heiligen glaubt. Uebrigens, das goldene
Herzerl und das Armband hast g'numma —
aber a Wunder hast uet g'wirkt dafür. —
Na, i werd mich mit mein Kind (Reserl
schluchzte) schon fortbringa — aber Dich werd
i kan Menschen anrekommandir'n. Kan Men-
schen! So — dös Hab' i Dir sag'n woll'n!
Amen!"

Wäre sie nicht gar so wüthend gewesen,
so hätte sie bemerkt, wie die Meßner-Kathi,
die ihr begegnete, das goldene Herzerl
und das Armband trug.

Vielleicht hätte sie dann auch denZusammeu-
haug der ersten Hilfe der heiligen Camilla und
des Verschwindens des goldenen Herzerls sowie
des Arnibands gar nicht wunderbar, sondern
sehr menschlich gefunden.

Aber sie sah es nicht und gab auch weiter
der armen heiligen Camilla Schuld.


f e.s.&csk.

* Oacbtstück. *

von Arno Holz.

2,ringst fiel von de» Säumen
Das letzte Blatt,

An Scblat und Uräumen
Liegt nun die Stadt;

Die ckenster verdunkeln
Lied Daus an Daus
And drüberbi» tunkein
Die Sterne sieb aus;

Uralt webt es vom Strom der.

Der Bisgang kvacbt.

And drüben vom Dom ber
Dröbnt's /ißitternacbt.

3cb aber schleppe micb zitternd nacb
Daus —

Der lfiordwind bläst die Laternen ans!

Mas bait's, dass leb klagend
Die Gassen durebliet
And mitleidverzagend
„Dior Aosen!“ ausriet?

„Wer lassen, o IKosen!

Mer kauft einen Strauss?"

Doeb die Dorren Studiosen
Laebten »rieb aus!

And keiner, keiner...

Dass Gott erbarm!

© unsereiner
Ast gar zu arm!

/Dir wanken die IRniee, mein Derzblut
gerinnt —

© Gott, mein Ilrind, mein armes lirind!

An stoekdunkler IRammer,

Verbungert, vertbfert!

Schon packt micb der Jammer:

,,Hcb /Ißuttcben, micb friert!

Heb bitte, bitte
Bin Stückeben Brot!“

/Dir ist es, als litte
Aeb gleicb den Dod!

/Dir ist es, als müsste
Aeb sebreien: „jflucb!“ —

© dass leb dieb küsste
Durebs Leiebentueb!

Dann war' es vorbei und sie scharrten
dieb ein

And leb trüg' es allein, o Gott, allein . ..
 
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