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Tas schmerzte ihn aber, denn es war nach seiner Meinung der
betreffende Satz die Perle in seinem Artikel. Er stellte sich also
jetzt mir gegenüber in Positur und setzte mir auseinander, wie
der Staatsanwalt diese Stelle auffassen müsse. Das Endresultat
war, daß er sich nicht entschließen konnte, sie zu streichen, daß er
in der Regel nur wenig änderte und nicht selten durch seine
Aenderungen sie noch verschärfte.
Im Ganzen war unsere damalige Festungshaft mit unsere
schönste Zeit. In der Regel kamen alle drei Wochen unsere Frauen
und brachten die Kinder zum Besuch mit, für beide ein schweres
Stück Arbeit, namentlich im Winter. Im klebrigen arbeiteten
wir um die Wette und gingen jeden Tag, mochte das Wetter sein
wie es wollte, unsere vier Stunden in dem großen Garten der
Anstalt spazieren. Liebknecht rannte dabei die Wege ans und ab,
daß keiner ihm folgen konnte. Der Aufenthalt ans der Festung
war unserer Gesundheit sehr förderlich und was mich betrifft, so
rettete mir die Festungshaft das Leben. Ich wäre zu Grunde
gegangen, bekam ich nicht gewaltsam Ruhe. Darüber war auch
mein Hausarzt sich klar, der noch vor unserer Verurtheilung zu
meiner Frau geäußert hatte: würden wir zu einem Jahre ver-
urtheilt, so solle sie
dies als ein Glück
betrachten. So wur-
den es aber zwei Jahre
und das war ein noch
größeres Glück.
Draußen hatte man
natürlich großes Mit-
leid mit uns und
sandte uns, um uns
zu trösten, allerlei
Herrlichkeiten, so
Wein und gute Zi-
garren, die nament-
lich Liebknecht leiden-
schaftlich liebte. Eine
gute Zigarre und ein
gutes Glas Bier schien
ihm der höchste der
Genüsse und gesellte
sich dazu auch noch ein
gutes Essen, so >var er
derglücklichsteMensch
unter der Sonne.
Dabei war er, wie
Jeder weiß, der ihn
kennen lernte, in Be-
zug auf seine Person der anspruchlvseste Mensch.
Während unserer Haft führte Blos die Redaktion des „Volks-
staat" ; das Blatt war schneidig und vorzüglich wie kaum zuvor;
wie fleißig wir und vor Allem Liebknecht daran mitarbeiteten,
davon ahnte man nichts. Daneben betrieben wir in unseren
Mußestunden im Garten eine Gärtnerei, die wir in einem
breiten, wüst liegenden Graben angelegt hatten. Unglücklicher-
weise hatten wir aber so reichlich unsere Beete gedüngt, daß
die erhoffte Rndieschenernte buchstäblich ins Kraut schoß, ein
Ergebniß, das unseren Aufseher täglich zu neuer Heiterkeit an-
regte, wenn wir an jedem neuen Morgen sorgfältig untersuchten,
ob nicht dennoch über Nacht eine Knolle gewachsen sei. Hätte
uns der Staat gezwungen, den Dünger für unsere Beete in Körben
herbeizuschaffen, wie Liebknecht und ich zum Gaudium des Arbeits-
Personals im Garten es thaten, wir hätten die lautesten und ent-
rüstetsten Anklagen über diese unwürdige Behandlung erhoben.
Das ist eben der Unterschied zwischen Zwang und Freiwilligkeit.
Liebknecht kam Anfangs April 1874, ich vorläufig Mitte Mai frei,
nachdem ich noch de» Königstein als der erste Zivilgefangene hatte
einweihe» helfen. Die nächsten Jahre widmete sich Liebknecht mit
der größten Ausdauer und dem größten Eifer der Preß-, Parla-
ments- und Agitationsthätigkeit. Daneben schenkte er aber
auch seiner immer zahlreicher werdende» Familie die größte
Aufmerksamkeit. Wann immer er einige Stunden zu einem
Spaziergang in Wiese und Wald gewinnen konnte, und Wiese
und Wald lagen seiner Wohnung nahe, so wanderte er
mit ihr hinaus. Kein größerer Naturfreund als er. Wie nach
seiner Uebersiedelung nach Berlin es dort keinen Menschen gab,
der häufiger als er im Grunewald war und ihn nach allen Rich-
tungen durchwanderte, so gab es während feines Leipziger Auf-
enthaltes Niemand, der im Schleußiger und Connewitzer Wald
sich häufiger erging als er.
Vereinigungskongrest. — Sozialistengesetz. — Berlin.
Die persönliche Niederlage, die Schweitzer bei den Wahlen im
Jahre 1871 erhalten hatte, und die steigende Unzufriedenheit in
seinem Verein mit der Art seiner Leitung, veranlaßte ihn, vom
Präsidium zurückzutreten und dem Partcileben Valet zu sagen.
Damit war das Haupthinderniß einer Einigung aller deutschen
Sozialisten beseitigt. Andere Momente kamen hinzu. Sobald
daher Liebknecht wieder in der Freiheit war und er die erste
Kunde von einer Neigung zur Verständigung von der anderen
Seite erhielt, griff er mit beide» Händen zu, um diese Ver-
einigung herbeizuführen. Daß diese gelang und das Werk ans
dem Einigungskongreß zu Gotha, Mai 1875, gekrönt wurde, ist
wesentlich ihm zu dan-
ken. Niemand verstand
besser als er, vorhan-
dene persönliche und
sachliche Gegensätze zu
mildern und auszu-
gleichen, in diesem
Punkte haben ihn seine
Gegner sein Leben
lang verkannt.
Die Einigung aber
war,was insbesondere
Bismarck nicht wollte
und fürchtete. Solange
wir gespalten waren,
schienen wir ihm nicht
gefährlich. Das wurde
jetzt anders. Der erste
Versuch, der Partei zu
Leibe zu rücken, wurde
von seiner Seite durch
die Einbringung der
Strafgesetznovelle von
1875 auf 1876 ge-
macht. Sie war die
Antwort auf den
Gothaer Einigungs-
kongreß; aber der Versuch schlug fehl. Noch war die deutsche
Bourgeoisie nicht so weit, daß sie aus Angst vor uns bereit war,
den letzten Rest von bürgerlicher Freiheit zu opfern. Erst mußten
die Attentate des Jahres 1878 kommen, um sie zur Annahme des
Sozialistengesetzes zu veranlassen.
Damit begann eine neue Periode in der Entwicklung unserer
Partei, eine Periode, welche die glänzendste in ihrer kurzen Ge-
schichte werden sollte und mit dem vollständigen Siege der Partei
nach zwölfjähriger ausnahmegesetzlicher Behandlung endete.
Es ist hier nicht der Ort, auf jene Periode einzugehen, die bisher
nur ungenügend erörtert wurde und nicht genügend erörtert werden
konnte, weil Derjenige, der sie voll und ganz würdigen will, per-
sönlich im Kampfe gestanden und bei dem, was unter der Ober-
fläche spielte, mitgewirkt haben muß. So weit ein Einzelner zu
dem glücklichen Ausgang jener Zeit der Verfolgung sowie der
Niedertracht der herrschenden Gewalten beitragen konnte, hat
Wilhelm Liebknecht dazu beigetragen. Obgleich das Gesetz ihn
existenzlos gemacht hatte, verlor er keinen Augenblick den Kopf,
sondern regte und spornte an, wo immer er konnte. Ein echter
Marschall Vorwärts, war er unermüdlich und unentwegt an der
Spitze, wo es galt, dem Feinde eine Niederlage beizubringen oder
ihm einen Possen zu spielen. Und solcher Possen, die unsere
Gegner zur Verzweiflung brachten, wurden ihnen damals viele
gespielt. Wie zuvor über Berlin und Umgegend, und dann über
Hamburg, Altona und Umgegend, so wurde am 29. Juni 1881
Das Wohnhaus und der „Laffeebaum", das sogenannte Wartehaus der Besucher in Borsöorf.
Tas schmerzte ihn aber, denn es war nach seiner Meinung der
betreffende Satz die Perle in seinem Artikel. Er stellte sich also
jetzt mir gegenüber in Positur und setzte mir auseinander, wie
der Staatsanwalt diese Stelle auffassen müsse. Das Endresultat
war, daß er sich nicht entschließen konnte, sie zu streichen, daß er
in der Regel nur wenig änderte und nicht selten durch seine
Aenderungen sie noch verschärfte.
Im Ganzen war unsere damalige Festungshaft mit unsere
schönste Zeit. In der Regel kamen alle drei Wochen unsere Frauen
und brachten die Kinder zum Besuch mit, für beide ein schweres
Stück Arbeit, namentlich im Winter. Im klebrigen arbeiteten
wir um die Wette und gingen jeden Tag, mochte das Wetter sein
wie es wollte, unsere vier Stunden in dem großen Garten der
Anstalt spazieren. Liebknecht rannte dabei die Wege ans und ab,
daß keiner ihm folgen konnte. Der Aufenthalt ans der Festung
war unserer Gesundheit sehr förderlich und was mich betrifft, so
rettete mir die Festungshaft das Leben. Ich wäre zu Grunde
gegangen, bekam ich nicht gewaltsam Ruhe. Darüber war auch
mein Hausarzt sich klar, der noch vor unserer Verurtheilung zu
meiner Frau geäußert hatte: würden wir zu einem Jahre ver-
urtheilt, so solle sie
dies als ein Glück
betrachten. So wur-
den es aber zwei Jahre
und das war ein noch
größeres Glück.
Draußen hatte man
natürlich großes Mit-
leid mit uns und
sandte uns, um uns
zu trösten, allerlei
Herrlichkeiten, so
Wein und gute Zi-
garren, die nament-
lich Liebknecht leiden-
schaftlich liebte. Eine
gute Zigarre und ein
gutes Glas Bier schien
ihm der höchste der
Genüsse und gesellte
sich dazu auch noch ein
gutes Essen, so >var er
derglücklichsteMensch
unter der Sonne.
Dabei war er, wie
Jeder weiß, der ihn
kennen lernte, in Be-
zug auf seine Person der anspruchlvseste Mensch.
Während unserer Haft führte Blos die Redaktion des „Volks-
staat" ; das Blatt war schneidig und vorzüglich wie kaum zuvor;
wie fleißig wir und vor Allem Liebknecht daran mitarbeiteten,
davon ahnte man nichts. Daneben betrieben wir in unseren
Mußestunden im Garten eine Gärtnerei, die wir in einem
breiten, wüst liegenden Graben angelegt hatten. Unglücklicher-
weise hatten wir aber so reichlich unsere Beete gedüngt, daß
die erhoffte Rndieschenernte buchstäblich ins Kraut schoß, ein
Ergebniß, das unseren Aufseher täglich zu neuer Heiterkeit an-
regte, wenn wir an jedem neuen Morgen sorgfältig untersuchten,
ob nicht dennoch über Nacht eine Knolle gewachsen sei. Hätte
uns der Staat gezwungen, den Dünger für unsere Beete in Körben
herbeizuschaffen, wie Liebknecht und ich zum Gaudium des Arbeits-
Personals im Garten es thaten, wir hätten die lautesten und ent-
rüstetsten Anklagen über diese unwürdige Behandlung erhoben.
Das ist eben der Unterschied zwischen Zwang und Freiwilligkeit.
Liebknecht kam Anfangs April 1874, ich vorläufig Mitte Mai frei,
nachdem ich noch de» Königstein als der erste Zivilgefangene hatte
einweihe» helfen. Die nächsten Jahre widmete sich Liebknecht mit
der größten Ausdauer und dem größten Eifer der Preß-, Parla-
ments- und Agitationsthätigkeit. Daneben schenkte er aber
auch seiner immer zahlreicher werdende» Familie die größte
Aufmerksamkeit. Wann immer er einige Stunden zu einem
Spaziergang in Wiese und Wald gewinnen konnte, und Wiese
und Wald lagen seiner Wohnung nahe, so wanderte er
mit ihr hinaus. Kein größerer Naturfreund als er. Wie nach
seiner Uebersiedelung nach Berlin es dort keinen Menschen gab,
der häufiger als er im Grunewald war und ihn nach allen Rich-
tungen durchwanderte, so gab es während feines Leipziger Auf-
enthaltes Niemand, der im Schleußiger und Connewitzer Wald
sich häufiger erging als er.
Vereinigungskongrest. — Sozialistengesetz. — Berlin.
Die persönliche Niederlage, die Schweitzer bei den Wahlen im
Jahre 1871 erhalten hatte, und die steigende Unzufriedenheit in
seinem Verein mit der Art seiner Leitung, veranlaßte ihn, vom
Präsidium zurückzutreten und dem Partcileben Valet zu sagen.
Damit war das Haupthinderniß einer Einigung aller deutschen
Sozialisten beseitigt. Andere Momente kamen hinzu. Sobald
daher Liebknecht wieder in der Freiheit war und er die erste
Kunde von einer Neigung zur Verständigung von der anderen
Seite erhielt, griff er mit beide» Händen zu, um diese Ver-
einigung herbeizuführen. Daß diese gelang und das Werk ans
dem Einigungskongreß zu Gotha, Mai 1875, gekrönt wurde, ist
wesentlich ihm zu dan-
ken. Niemand verstand
besser als er, vorhan-
dene persönliche und
sachliche Gegensätze zu
mildern und auszu-
gleichen, in diesem
Punkte haben ihn seine
Gegner sein Leben
lang verkannt.
Die Einigung aber
war,was insbesondere
Bismarck nicht wollte
und fürchtete. Solange
wir gespalten waren,
schienen wir ihm nicht
gefährlich. Das wurde
jetzt anders. Der erste
Versuch, der Partei zu
Leibe zu rücken, wurde
von seiner Seite durch
die Einbringung der
Strafgesetznovelle von
1875 auf 1876 ge-
macht. Sie war die
Antwort auf den
Gothaer Einigungs-
kongreß; aber der Versuch schlug fehl. Noch war die deutsche
Bourgeoisie nicht so weit, daß sie aus Angst vor uns bereit war,
den letzten Rest von bürgerlicher Freiheit zu opfern. Erst mußten
die Attentate des Jahres 1878 kommen, um sie zur Annahme des
Sozialistengesetzes zu veranlassen.
Damit begann eine neue Periode in der Entwicklung unserer
Partei, eine Periode, welche die glänzendste in ihrer kurzen Ge-
schichte werden sollte und mit dem vollständigen Siege der Partei
nach zwölfjähriger ausnahmegesetzlicher Behandlung endete.
Es ist hier nicht der Ort, auf jene Periode einzugehen, die bisher
nur ungenügend erörtert wurde und nicht genügend erörtert werden
konnte, weil Derjenige, der sie voll und ganz würdigen will, per-
sönlich im Kampfe gestanden und bei dem, was unter der Ober-
fläche spielte, mitgewirkt haben muß. So weit ein Einzelner zu
dem glücklichen Ausgang jener Zeit der Verfolgung sowie der
Niedertracht der herrschenden Gewalten beitragen konnte, hat
Wilhelm Liebknecht dazu beigetragen. Obgleich das Gesetz ihn
existenzlos gemacht hatte, verlor er keinen Augenblick den Kopf,
sondern regte und spornte an, wo immer er konnte. Ein echter
Marschall Vorwärts, war er unermüdlich und unentwegt an der
Spitze, wo es galt, dem Feinde eine Niederlage beizubringen oder
ihm einen Possen zu spielen. Und solcher Possen, die unsere
Gegner zur Verzweiflung brachten, wurden ihnen damals viele
gespielt. Wie zuvor über Berlin und Umgegend, und dann über
Hamburg, Altona und Umgegend, so wurde am 29. Juni 1881
Das Wohnhaus und der „Laffeebaum", das sogenannte Wartehaus der Besucher in Borsöorf.