Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0208
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3352

hergestellt war, bemerkte Paul, daß er drüben am Gartenrand Zuschauer
bekommen hatte. Und plötzlich hörte er seinen Namen rufen. Er hielt
die Pferde an und horchte auf. Richtig, da erkannte er die Gestalt des kleinen
Pröske, der früher auf demselben Gute mit ihm zusammen gedient hatte
und dann auch in die Stadt gegangen war. Pröske schien sehr froh
zu sein, ihn wieder zu sehen, er forderte ihn auf, doch heranzukommen und
mitzufeiern. Paul wies auf seine Pferde und seine Arbeit hin. Wie
gerne wäre er hingegangen! Aber es war doch unmöglich! Ja, die Arbeiter,
die hielten Alle zusammen, und nun hatten sie es gar soweit gebracht, daß
sie ganz unbelästigt den Ersten Mai feiern konnten. Aber ein Knecht!
O, er hätte es nur wagen sollen, etwas davon zu sagen. Und wenn er
davongelaufen wäre, man hätte ihm einen Gendarmen nachgeschickt und ihn
zurücktransportiren lassen wie einen Schuljungen, wie einen Verbrecher!

Pröske kam herüber und wartete an der Landstraße, bis Paul mit seinen
Pferden heranrückte. Die Beiden begrüßten sich freundlich, Paul mehr zurück-
haltend, wie ein richtiger Bursche vom Lande, Pröske dagegen mit großer
Zuvorkommenheit, die er ohne Zweifel in der Stadt gelernt hatte. Paul
war diese Eigenschaft an Pröske, neu, denn dieser war ihm leider noch
als recht grober Geselle in der Erinnerung. Davon war jetzt nichts mehr
zu merken, und Paul freute sich deshalb um so mehr, wieder einmal mit
einem seiner alten Bekannten zu sprechen. Merkwürdig, wie sie sich doch
änderten, wenn sie in die Stadt kamen. Es mußte da etwas in die Leute
hineinkommen, er wußte nicht, wie er es nennen sollte. Aber sie hielten
zusammen, sie hielten zusammen, so konnte er es etwa ausdrücken, und
das macht den Menschen anders, das macht ihn anders! So dachte er
in seiner schlichten Weise, und fühlte, daß die Arbeiter in der Stadt von
einer gemeinsamen Idee beherrscht und beseelt waren. Im klebrigen bekamen
sie bleiche Wangen in der Stadt, sie mochten doch Alle auch ihre Sorgen
haben, genau wie er, und sie waren ja auch dasselbe wie er, im Grunde
gehörte er zu ihnen. Das konnte nicht anders sein.

Paul hatte Anfangs Pröskes Aufforderung, an dem Feste theilzunehmen,
nur als einen Scherz aufgefaßt. Aber jetzt stellte es sich heraus, daß
der'Arbeiter einen ganz reellen Plan hatte. Paul sollte in den „Wald-
kater" gehen und währenddem wolle er, Pröske, das Eggen übernehmen.
Warum denn nicht? Das Handpferd kenne er zwar als einen hinterlistigen
Streikbrecher. Aber er sei doch auch Knecht gewesen und — na, er werde
seine Sache schon machen. Zudem gewähre es ihm großen Spaß, einmal
wieder hinter der Egge herzulaufeu. Drin im „Waldkater" sei es ihm
doch warm geworden beim Bier, da sei es ganz gut, sich mal ein Viertel-
stündchen nuszuarbeiten. Der Vorschlag war wirklich so ausgezeichnet, daß
Paul im innersten Herzensgründe aufgewühlt wurde. Dennoch machte er
Einwände. Wenn nun etwa der Herr inzwischen'käme! — Ach wo, der
käme nicht, meinte Pröske, und wenn er käme, schließlich könne er auch
nicht viel sagen, da ja die Arbeit gemacht würde. — O, da kennst du ihn
schlecht! konnte Paul noch einwerfen, mehr brachte er nicht heraus. Er
war ein Mensch, der ein ziemlich strenges Pflichtbewußtsein hatte. Aber
da Pröske die Pferde kannte und die Arbeit nicht unterbrochen wurde, so
konnte man ihm den Scherz schon Nachsehen. Und er wollte nur eine Weile
bleiben, ach, es quälte ihn zu sehr. Die Musik, mancher alte Freund und wer
weiß, wer weiß? Plötzlich, vor überwallendem Gefühl, drückte er PröSke
die Hand und ging dem „Waldkater" zu. Pröske schmunzelte und dachte: Ab-
gesehen von Allem, und daß man einem Menschen auch mal eine Freude
machen kann, und daß ich selber mal wieder mit Pferden umgehe, und
abgesehen von Anderem und noch von Anderem — Pröske war ein großer
Redner —, so wird er drin mal ein paar rothe Worte hören, und das
hat nie noch einem was geschadet, abgesehen von Anderem und noch Anderem.

Paul war im „Waldkater" angelangt. Eine Menge Bekannte umringten
ihn, schüttelten ihm die Hand und bestürmten ihn mit Fragen. Der arme
Knecht war ganz aufgeregt. Sein Herz pochte. Der mit rothen Fahnen
und Fichtenguirlanden geschmückte Saal, die vielköpfige Menge und dabei
diese Freundlichkeit, diese Rücksichtnahme des Einen auf den Anderen,
die Harmonie, die durch das Ganze ging, übten einen solchen Eindruck
auf ihn aus, daß es ihm vorkam, als ob er in eine glückliche Welt
versetzt wäre, wo es keinen Herrn gab, der fluchte und wetterte auf die
armen Knechte. Eine Zeit lang hörte er auch einem Redner zu, der von
Einigkeit und Frieden unter den Menschen sprach, von einer neuen Zeit,
in der Jeder die Früchte selbst ernten werde, die er gesät.

Immer von Neuem traf er einen Bekannten, und so ergriffen fühlte er sich,
daß er Jedem die Hand drückte und daß ihm die Thränen nahe waren.
Er sah und hörte aber kaum etwas mehr, alles verschwamm ihm in ein
nie gekanntes Gefühl der Freude und des Glückes. Trotzdem war es ihm
doch, als müßte er noch etwas suchen. Er drängte sich durch die Menge, ging
in den Saal, hinaus in den Garten und wieder in den Saal. Sie war
wohl doch nicht da. Wer weiß, wo sie jetzt war. Wenn er sie wiederfinden
würde, dann wäre sein Glück voll. Aber sie war nicht zu sehen. Und er
mußte doch bald daran denken, zurückzugehen zu seinen Pferden. Er ging nun
rasch durch den Saal, an einem Thüreingang blieb er indessen hängen,
dort war der Verkehr sehr groß, und die Menge drängte sich, so daß er
im Strudel einmal umgedreht und dann so gewendet wurde, daß sein
Gesicht direkt an ein Mädchengesicht stieß, das gar keiner Anderen gehören
 
Annotationen