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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0209
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-« 3353

konnte, als seiner Marie, Das etwas blasse, anmuthige Gesicht überzog sich
plötzlich mit einer gesunden Farbe und in ihm mischten sich Erstaunen, Freude,
Erschauern in so mädchenhaft reizender Weise, daß Paul alles vergaß und
sie vor aller Welt in seine Arme geschlossen hätte, wenn diese nicht in
dem Menschenknäuel festgebunden gewesen wäre. Aber auch so wußten die
beiden Menschen einander verständlich zu machen, was sie für einander
fühlten. Endlich arbeiteten sie sich aus dem Gewühl heraus und schlüpften
Beide hinaus in den Garten, Die alte Gluth, die sie ehemals sofort beim
ersten Anblick für einander empfunden hatten, war in ihnen neu entfacht.
Sie nahmen sich kaum Zeit, einander zu erzählen, wie, warum sie aus-
einander gekommen waren. Es schien selbstverständlich, daß sie zu einander
gehörten, und da sie zusammen waren, sich ihres Zusammenseins freuten.
Paul dachte mitunter mit einem bitteren Gefühl an seine Rückkehr zu Pröske.
Es war sicher schon viel mehr als eine Viertelstunde verflossen. Aber nur
noch ein Weilchen wollte er mit ihr zusammen sein, nur noch ein Weilchen
mit ihr reden. Er wußte ja, daß sie die Seine war, und er wollte sie nie
wieder verliere», nimmermehr!

Da plötzlich hörte man laute Worte. Drüben am Gartenrand hatten sich
Menschen angesammelt, die nach dem Gerstenfeld hinüberguckten. Von dort
her vernahm plötzlich Paul die wüthende Stimme seines Herrn. Erschrocken,
bleich eilte er, Marie an der Hand fassend, an den Gartenrand. Dort
sah er, wie der Gutsherr in heftigem Wortwechsel mit Pröske am Straßen-
graben stand. Er wollte hinübereilen, aber Marie hielt ihn fest. Man hörte,
wie der Gutsherr die gröbsten Schimpfwörter gegen Pröske schleuderte,
während dieser sich die Injurien mit maßvollen, aber energische» Worten
verbat. Dabei warf Pröske dem ergrimmten Manne plötzlich die Zügel der
Pferde zu und wandte ihm den Rücken. Um die Pferde nicht davonlaufen zu
lassen, mußte nun der Gutsherr sich bequemen, die Zügel zu fassen und
die Pferde zu halten. Zu seinem Unglück standen diese aber nicht ruhig, so
daß er sich mit ihnen zur Belustigung der Zuschauer im Kreise drehte.
Man kann sich mit Pferden in einer Sekunde mehr blamiren, als mit Kühen
in drei Jahren. Das Handpferd wurde ganz scheu, sprang und bockte, und
schließlich riß der Riemen, mit dem es an das Sattelpferd gebunden war.
Nun sprang das eine Thier auf die rechte und das andere auf die linke
Seite. Dabei verwickelten sie sich obendrein an zwei Bäumen der Landstraße.
Und der Herr stand zwischen beiden Bäumen und beiden Pferden und fluchte
und wetterte und schlug mit seinem Spazierstock auf die geängstigten Thiere.
Und plötzlich rief er: „Paul! Wo steckt denn der Hallunke!"

Dieser Ruf rief die Menge plötzlich wieder in die Wirklichkeit zurück.
Wehe, wenn ein Mensch solch rasendem Gutsherrn in die Hände kommt.
Und aller Augen richteten sich auf Paul, der blaß, unschlüssig an Maries
Arm hing. Im Nu hatte sich Jeder den Zusammenhang erzählen lassen.
Und man flüsterte ihm zu: „Geh nicht, geh nicht, der Kerl bringt es
fertig!"-

Aber Paul ging doch. Plötzlich hatte er sich von der aufkreischenden
Marie losgerissen. Und nun eilte er hurtig auf der Straße hin zu dem
Gespann. Durch die Reihen ging ein Murmeln, man fürchtete für ihn.

Als der Gutsherr Paul kommen sah, machte sich seine Wuth in den
gröbsten und gemeinsten Schimpfwörtern Luft. Und als der Knecht in die
Nähe kam, stürzte der Gutsherr plötzlich auf ihn los, faßte ihn und schleuderte
ihn mit dem Kopfe an einen Baumstamm.

Ein einziger Schrei wilder Entrüstung schrillte durch die Menge. Alles
stürzte aus dem Garten der Gruppe zu. Aber noch ehe Jemand zu Hilfe
kommen konnte, hatten sich die Ereignisse blitzartig schnell abgespielt. Paul
war im Nu wieder aufgesprungen. Es gehörte der Kopf eines solchen kräftigen
Burschen dazu, um nicht entzwei zu springen. Paul raffte seine ganze Kraft
zusammen, und wie ein Löwe, der auf ein dickes Flußpferd springt, so stürzte
sich Paul ans den Gutsherrn. O weh, hier wird Blut fließen, dachte Mancher
und zitterte für den armen Knecht. Aber es floß kein Blut! Wer weiß,
was mitunter plötzlich in solchen Augenblicken die Menschenseele durchzuckt!
Paul riß dem Gutsherrn nur den Spazierstock aus der Hand und schleu-
derte ihm denselben vor die Füße, dann faßte er mit übermenschlicher
Kraft den dicken Gutsherrn an, hob ihn in die Höhe und häugte ihn an
den Aststnmpf eines Baumes. Die Sache sah so ungeheuer komisch aus, daß
die hcrbeistürzende Menge plötzlich anhielt und in ein schallendes Gelächter
ausbrach. Paul selbst fand jetzt seinen Gleichmuth wieder, sagte zu dem Guts-
herrn, der sich bemühte, von dem Aste loszukommen, „Adieu" und wandte
sich der Menge zu, die inzwischen ziemlich nahe gekommen war. Man um-
ringte ihn und jubelte ihm zu. Und als er Marie sah, konnte er es nicht
unterlassen, sie vor allen Leuten zu umarmen. Sie weinte vor Aufregung.
Aber er tröstete sie. Nun war er frei. Das Schicksal hatte mit kräftigem
Ruck ihm die Rückkehr in die altgewohnte Lage ein für alle Mal unmöglich
gemacht. Das Weitere mußte sich finden. Sie würden schon nicht umkommen.
Er habe zwei starke Arme, ob sie es glaube? Sie sah ihn stolz an. Und
so ging er mit ihr und der Menge zurück in den Garten, und es schien ihm,
als ob jetzt in der Nachmittagssonne die Blüthen der Obstbäume »och reiner
und schöner strahlten als zuvor.
 
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