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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0211
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3355

Ein Momentvild.

Lin venezianisches Lriebniß. Von LI. LI.

Vor einer Stunde waren sie in Venedig
angekommen. Es schlug gerade Mitternacht,
als sie ihr Zimmer im Hötel Danieli, einst der
Palazzo eines vornehmen Geschlechts, betraten.
Schön war der große, von einer rothen Ampel
sanft beleuchtete Raum. An der Decke gaben
verblichene Engelein ein Konzert, den Eingang
zu der Nische mit den weiß verschleierten Betten
bewachten geflügelte Amorette», auf dem alten
Marmorkamin standen schimmernde Gläser, in
denen Rosen und Orangeblüthen ihre Seelen
aushauchten. Weit offen standen die Thüren
zum Balkon, draußen versilberte der Mond die
Kuppel von St. Maria della Salute, das Wasser
des Kanals plätscherte, und eine weiche Tenor-
stimme tönte von der Schiavenna herauf.

Sie stand vor dem Spiegel und starrte sich
an. Durch ihr gelöstes langes braunrothes
Haar schimmerten die weißen Schultern, ihre
langbewimperten schmachtenden Augen, ihr
warmer Teint, ihre vollen rothen Lippen ließen
sie wie eine Göttin von Tizian oder Veronese
erscheinen. Sie dachte etwas Aehnliches: Wahr-
lich, ich bin den Preis werth. Ich sehe aus,
wie die entführte Europa. Der Stier, der mir
den Fuß leckt, fehlt nicht. Aber die Göttinnen
kannten keine Furcht — und keine Scham —
und keinen Ekel, — ich aber —

Da trat er an sie heran, heftig legte er
seinen Arm um ihre Taille und küßte sie auf
den Nacken. Sie sah sein hageres gelbes Ge-
sicht mit den gierig grausamen Augen im

Spiegel, sie schauderte, und sie erblaßte vor
Zorn. Er fühlte, wie die Angst sie schüttelte,
und ein böser Zug legte sich um seine schmalen
Lippen.

„Komm, Magdalena/' sagte er mit heiserer
Stimme, „wir wollen einmal gemüthlich mit
einander plaudern." Dabei zog er sie neben
sich auf den Divan.

„Dein Vater, der Herr Schlosser, hat lange
Finger gemacht .... nur hübsch ruhig....
er hat lange Finger gemacht und mir aus
meinem Bureau 5000 Mark gestohlen. Du
sagtest aus bitterer Noch; gut, mein Kind, ich
glaubte es und zeigte ihn nicht an, ich schenkte
ihm die große Summe. Sein Ruf ist intakt.
Nun aber kommt mein Lohn, ich verlange
Dank für meine Großmuth." Dabei vergrub
er sein Gesicht in ihrer Haarfluth. „Du hast
Dich nicht zu beklagen, Magdalene. Gestern
Morgen noch eine kleine Buchhalterin, bist Du
jetzt meine Herrin, eine Fürstin, der ich die
Ketten löse."

Da sprang sie auf, ihre Augen glühten,
bleich war sie bis in die Lippen.

„Kotten? Du legst sie mir an! Ketten, an
denen Du mich hinabzerrst in den Schmutz!
Den Vater hast Du vor Schande bewahrt, die
Tochter verlockst Du zu schimmernder Sünde!"

Athemlos vor Spannung sah er sie an; sie
erschien ihm in ihrer Erregung berückend schön.

„Sünde nennst Du es, Magdalene? Ist
es Sünde, zu trinken, wenn man durstig ist?
Und ich bin durstig nach Deiner Schönheit!
Soll ich die rothe Rose einem Anderen gönnen?
Ein rasendes Verlangen fühle ich nach Deinen
brennenden Lippen, nach Dir, nach Deiner
Jugend, nach Deinem alabasternen Leib!"

Beide überhörten das Knarren der Schrank-
thür in ihrer Erregtheit, und plötzlich stand
eine in schwarze Trikots gekleidete Gestalt vor
ihnen. Der Schreck über die unheimliche Ge-
spenstererscheinung machte beide sprachlos,
Magdalene begrub ihr Gesicht in den Hände»,
und er machte eine Bewegung nach der Tasche.

„Lassen Sie die Waffe nur stecken, wenn
Sie wirklich eine bei sich haben," sagte der
Schwarze ganz freundlich. „Ich bin kein bru-
taler Mörder, ich bin nur ein Dieb, ein mo-
derner, mit der Spezialität für nächtliche Hotel-
streifereien. Was ich da eben hörte, — ver-
zeihen Sie, es ging nicht anders — ließ mich
von meinem Vorhaben, Ihre Reisekasse in Ver-
waltung zu nehmen, abstehen. Es geht gegen
meine Gaunerehre, einen größeren Spitzbuben
zu bestehlen. Servus." —

Ein schwarzer Schatten huschte durch den
Thürspalt, der Zugwind ließ Mngdalenens
Haare aufflattern und auf dem Kanal sangen
Flöten und Mandolinen ein sehnsüchtiges
Liebeslied. —

Der Größenwahn des Einzelnen steigt mit
der Stellung, die er im öffentlichen Leben
einnimmt. Der Größenwahn der Nationen
aber mit den brutalen Erfolgen ihrer Ge-
wehre und Kanonen.

Das zweckloseste Erziehungsmittel ist: Furcht
vor der Strafe.

Im Staatswesen ist der Einfluß des Ein-
zelnen auch sein Freibrief für alle Hand-
lungen. ,

Der schönste Ruhm ist der Ruhm, der Mensch-
heit gedient zu haben.

Die Bornirtheit sagt: „Das Gute dringt schon
von selbst durch!" — Der gesunde Verstand
fügt hinzu: „Ja, aber wann?"

Wer zu ungeschickt und zu unehrlich ist, um
sonst im öffentlichen Leben fortzukommen, der
kann immer noch Diplomat werden.

Was auch das Volk schaffen mag: um den
größten Theil der Früchte wird es immer wieder
durch die Niederträchtigkeit seiner Feinde und
Unterdrücker gebracht.

Am eifrigsten donnern Diejenigen gegen das
Laster, die selbst genaue Bekanntschaft damit
gemacht haben. „

Hundert Künstler und Gelehrte bilden sich
auf ihr Können und Wissen nicht so viel ein,
als manchmal ein einziger Adeliger auf seinen
lumpigen Adel. ,

Die ungesundeste Luft für den Charakter ist
-die Hofluft.

Ihre besten Güter hat die Menschheit nicht
mit dem Schwerte erkämpft, sondern mit den
Waffen des Geistes.

Die Unverschämtheit manches Menschen ist
um so grenzenloser, je begrenzter sein
Verstand ist.
 
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