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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 17.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.8185#0220
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3364

2m Chorwege sah er denn auch richtig die Arbeiter, die unter brüllendem Gelächter nach einem Punkte

drängten, schoben und stießen.

Bette, als die ersten Strahlen der Sonne ihn
wachküßten. Dasselbe that seine Frau (d. h. nicht
daß sie im Bette lag, sondern daß sie ihn wach-
küßte). Sie brachte ihm den Morgenkaffee
ans Bett und sah fröhlich zu, wie ihm sein
Frühstück, eine Buttersemmel und zwei weich-
gekochte Eier, so trefflich mundete. Und warum
sollte es nicht? Es war ja Montag, da schmeckt
es doppelt nach lustig durchschwärmter Nacht.
Gott sei Dank, sie hatten es ja dazu, war doch
der Herr Direktor in der Fabrik, wo Egon
arbeitete, ein so prächtiger, wohlwollender
Mann, zahlte er doch die höchsten Löhne in der
ganzen Stadt. „Ich will nur fröhliche Ge-
sichter sehen", pflegte er zu sagen, und es ist
wahr, seine Arbeiter lachten über das ganze
Gesicht, wenn sie den jovialen alten Herrn nur
von Weitem kommen sahen. — Egon hatte
sein Frühstück beendet, er stand auf, während
seine Frau das Geschirr in die Küche trug.
Dann machte er rasch Toilette und küßte die
Kinder, die den Vater jubelnd umdrängten.
Er wehrte ihr Ungestüm lächelnd ab, umarmte
seine Frau und ging lustig pfeifend von dannen.
In der Fabrik traf er den Herrn Direktor, der
ihm schmunzelnd mit dem Finger drohte: „Ei,
ei. Sie Langschläfer, eine ganze Stunde zu
spät? Das Frauchen hat Sie gewiß nicht fort-
lassen wollen." Egon entschuldigte sich und
murmelte etwas von einer schwierigen Sitzung,
worauf der Herr Direktor begütigend ihm ans
die Schulter klopfte: „Lassen Sie es nur gut
sein, bin auch einmal jung gewesen; ä propos,
ich habe gesehen, daß Sie in den letzten Wochen
mit dem neuen Akkord weniger verdient haben,
als bei der früheren Arbeit. Ich habe Ihnen
deshalb den Stücklohn um zwei Pfennig er-
höht." —

Soweit war der Herr vr. Blechschmidt in
seiner poetischen Thätigkeit gekommen, als er
bemerkte, daß die Cognacflasche leer war. Ohne

dieses belebende Getränk ging's aber beim
besten Willen nicht, das wußte er, und da auch
keine andere geistreiche Flüssigkeit, außer einer
Probeflasche „Nova-Sanitas-Liqueur", zurHaud
war, den der Herr Direktor aber grundsätzlich
nicht trank, so ging er zu Bette.

Am anderen Morgen fuhr er erschrocken
aus dem Schlafe auf. Ein unheimliches Ge-
töse schallte von der Fabrik herüber, ein Sum-
men, wie von einer aufgeregten Menschen-
menge, und weckte schauerliche Gedanken an
Revolution, Streik, Mord und Todtschlag in
dem noch stark von Cognac umnebelten Poeteu-
schädel.

Wie der Blitz aus dem Bette springe»,
in die Kleider fahren und durch den Garten
vor nach dem Fabrikhof eilen, war bei dem
Herrn Direktor eins. Im Thorweg sah er
denn auch richtig die Arbeiter, die ihr Früh-
stück hier, statt in der Kantine, verzehrten und
unter brüllendem Gelächter, das immer von
Neuem sich erhob und anschwoll, nach einem
Punkte hin sich drängten, schoben und stießen.
Was in aller Welt hatten nur die Kerls? In
seiner Fabrik gab's doch nichts zu lachen! Es
ging der Bande offenbar noch zu gut. Mit
gemessenem Schritte, das Gesicht in Falten ge-
legt, wie ein gereizter Truthahn, näherte er
sich dem Thorweg. Bei seinem Anblick ver-
schwanden die Arbeiter mitbewundernswürdiger
Schnelligkeit und nun konnte er selbst sehen,
was die Heiterkeit der Leute in so hohen:
Grade erregt hatte. Die Wirkung auf ihn,
den Herrn Direktor vr. Blechschmidt, war aller-
dings eine völlig entgegengesetzte. Denn dort
an der Wand hing sein Manuskript von gestern
Abend, das der Wind zum Fenster hinaus-
geweht haben mußte. Es war mit zahllosen
kritischen Randbemerkungen versehen und am
Schlussestand,vonunbekannterHand geschrieben,
der nachfolgende Spottvers:

Die Poesie, die Abends ich betreibe.

Darf mir bei Tage nicht ins Haus.

Blos Theorie ist's, was ich schreibe.

Die Praxis sieht ganz anders aus.

B lech schm id t, Zeilen- und Leuteschinder.

Der Herr Direktor hat nie wieder bei
offenem Fenster gedichtet.

Wie vieler Herkules' bedürfte es heute, um den
Augiasstall der öffentlichen Korruption zu reinigen!

Das goldene Zeitalter war nicht der erste, sondern
cs wird der letzte Zustand in der Lntwicklung des
Menschengeschlechts sein.

Wenn die Aönige unter sich einen Arieg brauchen,
so schützen sie die Lhre ihrer Völker vor.

Das schlimmste «ist ist die „Milch der frommen
Denkungsart".

Die Liebe der Fürsten zu ihre» Völkern!
wie gut ist es, daß diese Liebe nicht leibhaftig geschaut
werden kann: sie sähe oft sehr sonderbar aus.

Der Zukunststraum der Freunds der Menschheit
ist ein allgemeines Lrdenglück. Der Zukunftstraum ihrer
Feinde ist das „jüngste Gericht".

Sie glauben die Geister dadurch kirre zu machen,
daß sie sie einsperren. Aber sie vergessen, daß der
Seist in Aetten wächst.

Wie lange ist oft Derjenige schon vermodert, der ein
Gesetz geschaffen hat. Und noch immer müssen jährlich
Tausende darunter leiden. So steht der Geist der Ge-
rechtigkeit aus, der über der Gegenwart schwebt!

Leotus.

Verantwortlich für die Redaktion Friedr. Fischer in Stuttgart. — Verlag und Druck von I. H. W. Dietz Nachf. (G. m. b. H.) in Stuttgart, Furthbachstraße 12.
 
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