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Sie waren durch die leeren Räume geschritten.
Jetzt blieb der Pförtner vor einer Flügelthür
stehen und sagte feierlich:
„Sein Arbeitszimmer."
Der neue Reichskanzler trat ein. Das war
das historische Zimmer! Es war leer. Nur in
der Ecke stand ein zerschlissenes Fauteuil hinter
einem Tische. Man sah noch an den Strichen
am Boden, wie die Möbel gestanden hatten.
Der Pförtner hielt eine erläuternde Rede,
aber der Graf hörte kaum hin. Er grübelte
dem Gedanken nach: wie macht man es, so
berühmt zu werden, wie ER?
. . . „Ja und hier mußten wir IHM jeden
Tag SEINE Cognacmischung reichen . . ."
„Seine Cognacmischung?"
„Ja, die berühmte Mischung. ER trank sie
auch im Reichstag bei SEINEN Reden. Vor
jeder größeren Aktion trank ER erst diese
Mischung. Sie sei sehr wirksam, sagte ER.
Und, denken sich Ew. Durchlaucht das Glück,
dieser Tage habe ich im Keller noch eine volle
Flasche gefunden!"
Hm. Der Graf grübelte. Hatte der „Eiserne"
nicht einmal irgendwo gesagt, dem Deutschen
fehlt zu seinem Temperament eine halbe Flasche
Sekt? Am Ende fehlte ihm zu einem ganzen
Bismarck nichts als dieser Cognac!
„Hören Sie... aber ganz iim Vertrauen."
Der Graf tuschelte dem Pförtner ins Ohr.
„Aber mit Vergnügen, Durchlaucht." Und
er eilte hinaus. Eine peinliche Viertelstunde,
dann kam der Mann wieder angekeucht, im
Arme eine bestaubte Cognacflasche, ein großes
Bierglas, ein Cognacgläschen und eine Karaffe
Wasser. Alles stellte er auf den Tisch. Dann
begann er die Zubereitung des historischen
Getränkes. Er goß zwölf Gläschen Cognac
in den Bierkrug, vermischte sie mit einem
Schnapsgläschen Wasser und reichte das Ge-
tränk dem Grafen.
„Lassen Sie mich allein", sagte der Herr
Reichskanzler.
Als der Pförtner sich entfernt hatte, hob
der Graf das Glas, schloß die Singen und
goß den „Historischen" mit Todesverachtung
hinter die Binde. Es war fürchterlich.
„Hm", meinte er dann. „Große Gedanken
verspüre ich zwar noch nicht, aber mir wird
verdammt schwül."
„So wurd's mir auch immer, aber man ge-
wöhnt sich dran", sagte eine hohle Stimme
hinter ihm. Der Graf fuhr herum. Da stand
vor ihm der „Eiserne", aber er sah gar nicht
imponirend aus. Er trug einen dicken Schlaf-
rock, große Filzschuhe und hatte eine lange
Pfeife im Munde; in der Hand hielt er ein
Bierglas mit einer gelblichen Flüssigkeit ge-
füllt. Er stieß mit Herrn von Bülow an. Dieser
machte seine höflichste Verbeugung. Der Eiserne
nickte ihm freundlich zu.
„Ueberhaupt ,Große Gedanken'", fuhr er
hüstelnd fort, „ich habe nie einen gehabt.
Wenn ich im Reichstag so 'ne ,weltbedeutende
Rede' gehalten, hatte ich immer das Gefühl:
da hast Du Dich 'mal wieder blamirt. Die
Kölnische Zeitung' hat dann aber stets so viele
große Gedanken herausgeschält, daß ich ganz ver-
blüfft war... Na, Du hast ja auch 'nen Ramsch-
bazar von ,Großen Gedanken': ,wir wollen
auch unseren Platz an der Sonne haben' .. .
,die großen Liquidationen des Jahrhunderts'...
,die schönen Mädchen der Südsee Karolinen
und Marianen' . . . ,die Vertheilung des
Kuchens' . . . für den Anfang alle Achtung!"
Der Graf schmunzelte. „Ich bin ganz glück-
lich. .. Könnten Ew. Durchlaucht mir für mein
neues Amt nicht ein paar Lehren geben?"
Der „Eiserne" zog die Schultern hoch. „Ja,
mein Lieber, die Hauptsache is immer, sich rasch
an den Stiel der Peitsche stellen, wenn's vorne
knallt. Dan» gilt man auf alle Fälle als der
große Mann."
„Ganz meine Meinung." Der Graf strahlte.
„Dann muß man die Presse haben. . . na,
darin bist Du mir ja über .. . ne, ne, allel.
was recht ist, in der Reptilienpresse bist Du
geschickter. Deine Preßmenschen hast Du famos
an der Leine. Ein Wink und sie springen."
„Und wie denken Durchlaucht über China?"
Der Alte stimmte eine so teuflische Lache an,
daß es den armen Grafen eiskalt überlief.
„Nur Muth, die Sache wird schon schief gehen.
Die Russen haben Dir bereits den Stuhl vor
die Thüre gesetzt, jetzt hast Du mit den Eng-
ländern den Vertrag abgeschlossen, blos um
nicht ganz isolirt zu sein. Na, die Engländer
lassen sich von Dir die Kastanien aus dem
F. -r holen und hernach legen sie Dich hinein.
* ^rrp ns, dem Waldersee, dem gönn' ich's!
E- 5sst seinerzeit bei sich die Stöckerversamm-
unig arrangirt mit dem Kronprinzen.. .."
Graf Bülow kam rasch auf ein anderes Thema.
.Wie denken Ew. Durchlaucht über diese fatale
i20f%'y. .. Weschichse?"
Der Alte wurde, putcrroih vor Zorn und
fuchtelte mit . Tange» Pfeifenrohr umher.
„Unerhört! .»T Wnfach ein Skandal—!"
„Nicht wal», Durchlaucht?! Ich habe auch
gesagt, sie durften es nicht annehmen."
„Nich' annehmen? Nein, der Skandal is',
daß der Woedtke nich' 200000 Mark verlangt
hat! So 'ne Bagatelle, man muß sich ja schämen.
Gleich 'ne ordentliche Rechnung hätte gemacht
werden müssen: jeder Paragraph kost' 50000
Mark."
„Und wie denken Ew. Durchlaucht schließlich
über die Parteien?"
„Parteien und Reichstag? Einen Rath geb'
ich Dir: mach' nur nicht den Blödsinn eines
Staatsstreichs, Du kannst Dich nur verschlech-
tern! Die Kerle sind ja froh, ivenn sie an all
den Dummheiten, die Unsereiner macht, mit-
schuldig sein dürfen. . . . Freilich, die Junker
sind schlimme Brüder. Sie verstehen das Beute-
machen und halten immer die Hand auf. Auch
die Industriellen sind nich mehr zu sättigen,
aber die berappen wenigstens auch 'mal. . ..
Stell' Dich aber mit den Schwarzen gut. Sie
halten sich immer für die Schlauesten, sind aber
hernach regelmäßig die Dümmsten, und gehen
aus Ehrgeiz, Regierungspartei zu sein, mit Dir
durch Dick und Dünn. .. Die Anderen kommen
nich in Betracht außer der Sozialdemokratie."
Der neue Reichskanzler seufzte. Da lachte
der Alte und fragte: „Sage 'mal, wie denkst
Du denn über die Sozialdemokratie?"
„Ueber die Sozialdemokratie?" Bülow reckte
sich. „Für die Umstürzler hat jetzt eine schlimme
Zeit begonnen. Sie werden auf dem Boden
des gemeinen Rechtes und, wenn nöthig, auch
des Ausnahmegesetzes mit Energie bekämpft."
Der Alte brach in ein höhnisches Gelächter
aus: „Also mit der Sozialdemokratie willst
Du anbinden, ernsthaft anbinden? Dann bin
ich beruhigt! Lass' nur Deine Möbel draußen,
Du wirst nicht lange hier sein!"
Es gab einen Stoß und ein Geklirr. Herr
Graf v. Bülow fuhr auf. Das große Bierglas
lag zerbrochen am Boden und in das Zimmer
hatte sich bereits die Dämmerung des Abends
gesenkt. Er rieb sich die Augen.
„Verdammt! Wasser mit Cognac ist doch
ein starkes Getränk!" e. r.
l ,
Grdunkenbalken.
Bei der maßlosen moralischen Heuchelei unserer Zeit
ist es ein wahres wunder, daß die Menschen noch immer
nackt geboren werden dürfen.
wo kein Hirn ist, ist auch kein Rückgrat. Dummheit
und Lharakterlosigkeit gehen immer nebeneinander.
Der weg zur Wahrheit geht durch die enge Pforte
des Zweifels. *
„Frank und frei!" welch' ein Unsinn! wenn Liner
frank seine Meinung sagt, ist er bald nicht mehr frei.
Lin richtiger Bureaukrat gleicht dem Barometer. Auch
er zeigt stets den Druck von oben an und steigt und
sinkt mit ihm. *
wie dankbar ist das Volk für jede kleine Gabe der
Runst und Wissenschaft, die man ihm reicht, und wie be-
gierig ist es, zu lernen und zu verstehen, wenn man
dagegen die hochmüthige verständnißlosigkeit der Reichen
und vornehmen betrachtet, muß man sich wundern, daß
so viele Dichter und Denker ihre Fähigkeiten noch in den
Dienst dieser stellen. Der wahre Mäcenas der Runst ist
heute das Volk.
Sie waren durch die leeren Räume geschritten.
Jetzt blieb der Pförtner vor einer Flügelthür
stehen und sagte feierlich:
„Sein Arbeitszimmer."
Der neue Reichskanzler trat ein. Das war
das historische Zimmer! Es war leer. Nur in
der Ecke stand ein zerschlissenes Fauteuil hinter
einem Tische. Man sah noch an den Strichen
am Boden, wie die Möbel gestanden hatten.
Der Pförtner hielt eine erläuternde Rede,
aber der Graf hörte kaum hin. Er grübelte
dem Gedanken nach: wie macht man es, so
berühmt zu werden, wie ER?
. . . „Ja und hier mußten wir IHM jeden
Tag SEINE Cognacmischung reichen . . ."
„Seine Cognacmischung?"
„Ja, die berühmte Mischung. ER trank sie
auch im Reichstag bei SEINEN Reden. Vor
jeder größeren Aktion trank ER erst diese
Mischung. Sie sei sehr wirksam, sagte ER.
Und, denken sich Ew. Durchlaucht das Glück,
dieser Tage habe ich im Keller noch eine volle
Flasche gefunden!"
Hm. Der Graf grübelte. Hatte der „Eiserne"
nicht einmal irgendwo gesagt, dem Deutschen
fehlt zu seinem Temperament eine halbe Flasche
Sekt? Am Ende fehlte ihm zu einem ganzen
Bismarck nichts als dieser Cognac!
„Hören Sie... aber ganz iim Vertrauen."
Der Graf tuschelte dem Pförtner ins Ohr.
„Aber mit Vergnügen, Durchlaucht." Und
er eilte hinaus. Eine peinliche Viertelstunde,
dann kam der Mann wieder angekeucht, im
Arme eine bestaubte Cognacflasche, ein großes
Bierglas, ein Cognacgläschen und eine Karaffe
Wasser. Alles stellte er auf den Tisch. Dann
begann er die Zubereitung des historischen
Getränkes. Er goß zwölf Gläschen Cognac
in den Bierkrug, vermischte sie mit einem
Schnapsgläschen Wasser und reichte das Ge-
tränk dem Grafen.
„Lassen Sie mich allein", sagte der Herr
Reichskanzler.
Als der Pförtner sich entfernt hatte, hob
der Graf das Glas, schloß die Singen und
goß den „Historischen" mit Todesverachtung
hinter die Binde. Es war fürchterlich.
„Hm", meinte er dann. „Große Gedanken
verspüre ich zwar noch nicht, aber mir wird
verdammt schwül."
„So wurd's mir auch immer, aber man ge-
wöhnt sich dran", sagte eine hohle Stimme
hinter ihm. Der Graf fuhr herum. Da stand
vor ihm der „Eiserne", aber er sah gar nicht
imponirend aus. Er trug einen dicken Schlaf-
rock, große Filzschuhe und hatte eine lange
Pfeife im Munde; in der Hand hielt er ein
Bierglas mit einer gelblichen Flüssigkeit ge-
füllt. Er stieß mit Herrn von Bülow an. Dieser
machte seine höflichste Verbeugung. Der Eiserne
nickte ihm freundlich zu.
„Ueberhaupt ,Große Gedanken'", fuhr er
hüstelnd fort, „ich habe nie einen gehabt.
Wenn ich im Reichstag so 'ne ,weltbedeutende
Rede' gehalten, hatte ich immer das Gefühl:
da hast Du Dich 'mal wieder blamirt. Die
Kölnische Zeitung' hat dann aber stets so viele
große Gedanken herausgeschält, daß ich ganz ver-
blüfft war... Na, Du hast ja auch 'nen Ramsch-
bazar von ,Großen Gedanken': ,wir wollen
auch unseren Platz an der Sonne haben' .. .
,die großen Liquidationen des Jahrhunderts'...
,die schönen Mädchen der Südsee Karolinen
und Marianen' . . . ,die Vertheilung des
Kuchens' . . . für den Anfang alle Achtung!"
Der Graf schmunzelte. „Ich bin ganz glück-
lich. .. Könnten Ew. Durchlaucht mir für mein
neues Amt nicht ein paar Lehren geben?"
Der „Eiserne" zog die Schultern hoch. „Ja,
mein Lieber, die Hauptsache is immer, sich rasch
an den Stiel der Peitsche stellen, wenn's vorne
knallt. Dan» gilt man auf alle Fälle als der
große Mann."
„Ganz meine Meinung." Der Graf strahlte.
„Dann muß man die Presse haben. . . na,
darin bist Du mir ja über .. . ne, ne, allel.
was recht ist, in der Reptilienpresse bist Du
geschickter. Deine Preßmenschen hast Du famos
an der Leine. Ein Wink und sie springen."
„Und wie denken Durchlaucht über China?"
Der Alte stimmte eine so teuflische Lache an,
daß es den armen Grafen eiskalt überlief.
„Nur Muth, die Sache wird schon schief gehen.
Die Russen haben Dir bereits den Stuhl vor
die Thüre gesetzt, jetzt hast Du mit den Eng-
ländern den Vertrag abgeschlossen, blos um
nicht ganz isolirt zu sein. Na, die Engländer
lassen sich von Dir die Kastanien aus dem
F. -r holen und hernach legen sie Dich hinein.
* ^rrp ns, dem Waldersee, dem gönn' ich's!
E- 5sst seinerzeit bei sich die Stöckerversamm-
unig arrangirt mit dem Kronprinzen.. .."
Graf Bülow kam rasch auf ein anderes Thema.
.Wie denken Ew. Durchlaucht über diese fatale
i20f%'y. .. Weschichse?"
Der Alte wurde, putcrroih vor Zorn und
fuchtelte mit . Tange» Pfeifenrohr umher.
„Unerhört! .»T Wnfach ein Skandal—!"
„Nicht wal», Durchlaucht?! Ich habe auch
gesagt, sie durften es nicht annehmen."
„Nich' annehmen? Nein, der Skandal is',
daß der Woedtke nich' 200000 Mark verlangt
hat! So 'ne Bagatelle, man muß sich ja schämen.
Gleich 'ne ordentliche Rechnung hätte gemacht
werden müssen: jeder Paragraph kost' 50000
Mark."
„Und wie denken Ew. Durchlaucht schließlich
über die Parteien?"
„Parteien und Reichstag? Einen Rath geb'
ich Dir: mach' nur nicht den Blödsinn eines
Staatsstreichs, Du kannst Dich nur verschlech-
tern! Die Kerle sind ja froh, ivenn sie an all
den Dummheiten, die Unsereiner macht, mit-
schuldig sein dürfen. . . . Freilich, die Junker
sind schlimme Brüder. Sie verstehen das Beute-
machen und halten immer die Hand auf. Auch
die Industriellen sind nich mehr zu sättigen,
aber die berappen wenigstens auch 'mal. . ..
Stell' Dich aber mit den Schwarzen gut. Sie
halten sich immer für die Schlauesten, sind aber
hernach regelmäßig die Dümmsten, und gehen
aus Ehrgeiz, Regierungspartei zu sein, mit Dir
durch Dick und Dünn. .. Die Anderen kommen
nich in Betracht außer der Sozialdemokratie."
Der neue Reichskanzler seufzte. Da lachte
der Alte und fragte: „Sage 'mal, wie denkst
Du denn über die Sozialdemokratie?"
„Ueber die Sozialdemokratie?" Bülow reckte
sich. „Für die Umstürzler hat jetzt eine schlimme
Zeit begonnen. Sie werden auf dem Boden
des gemeinen Rechtes und, wenn nöthig, auch
des Ausnahmegesetzes mit Energie bekämpft."
Der Alte brach in ein höhnisches Gelächter
aus: „Also mit der Sozialdemokratie willst
Du anbinden, ernsthaft anbinden? Dann bin
ich beruhigt! Lass' nur Deine Möbel draußen,
Du wirst nicht lange hier sein!"
Es gab einen Stoß und ein Geklirr. Herr
Graf v. Bülow fuhr auf. Das große Bierglas
lag zerbrochen am Boden und in das Zimmer
hatte sich bereits die Dämmerung des Abends
gesenkt. Er rieb sich die Augen.
„Verdammt! Wasser mit Cognac ist doch
ein starkes Getränk!" e. r.
l ,
Grdunkenbalken.
Bei der maßlosen moralischen Heuchelei unserer Zeit
ist es ein wahres wunder, daß die Menschen noch immer
nackt geboren werden dürfen.
wo kein Hirn ist, ist auch kein Rückgrat. Dummheit
und Lharakterlosigkeit gehen immer nebeneinander.
Der weg zur Wahrheit geht durch die enge Pforte
des Zweifels. *
„Frank und frei!" welch' ein Unsinn! wenn Liner
frank seine Meinung sagt, ist er bald nicht mehr frei.
Lin richtiger Bureaukrat gleicht dem Barometer. Auch
er zeigt stets den Druck von oben an und steigt und
sinkt mit ihm. *
wie dankbar ist das Volk für jede kleine Gabe der
Runst und Wissenschaft, die man ihm reicht, und wie be-
gierig ist es, zu lernen und zu verstehen, wenn man
dagegen die hochmüthige verständnißlosigkeit der Reichen
und vornehmen betrachtet, muß man sich wundern, daß
so viele Dichter und Denker ihre Fähigkeiten noch in den
Dienst dieser stellen. Der wahre Mäcenas der Runst ist
heute das Volk.