Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0020
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3418 • -

Sozialismus.

Ich will voran im Kampfe schreiten
Jür Licht undCUabrbeit, Recbt und Brot,
leb will dem Uolk den UJeg bereiten
Zu seines Glückes TDorgenrotb;
leb will es führen treu die Bahnen
Der Jreibeit und der Wissenschaft
Und will ihm tragen hoch die Bahnen
Der Menschlichkeit und Brüderschaft.

Ich will mit heller Dackel zünden
In jedes Dunkel kühn hinein,

Ich will die frohe Botschaft künden
Und will der Freiheit Berold sein;

In allen Zungen will ich sprechen
Uon Menschenrecht und Uölkerglück
Und jedes Unrecht will ich brechen
Und schlagen jeden Mahn zu Stück.

Ich werbe mit der Jugend Jener
Um das verstoss’ne Ideal
Und kämpfe mit dem Ungeheuer
Der Uölkernoth und Menschheitsqual ;
Ich schwing die Jäckel, stoss die Lanze
Dem Mammon in die stolze Brust
Und führe froh zum Siegestanze
Die Arbeit voller Jugendlust.

Robert Seidel.

nF

Rechen-ÄXempel.

Wenn nach einer Statistik in 50 Fabriken
Tausende van Arbeitern nur einen wöchent-
lichen Durchschnittslohn von 9 Mark verdienen,
während mir eine unter vielen Fabriken, die Mitt-
iveidaer Baumwollspinnerei, an nur 18 Aktio-
näre sage und schreibe 20 Prozent Dividende
vertheilt — was müßten da die Sachsen, wenn
sie wirklich Helle wären, thun?

v

Neues von Serenissimus.

Serenissimus lassen sich Vortrag erstatten,
und erfahren hierbei, daß trotz der Milzbrand-
verordnung die Milzbrandfälle in den
Bürstenmachereien noch immer Vorkommen.

„Hm... da ivird ivohl in Zukunft Feuer-
wehr schärferes Auge haben müssen."

Ich bin rin deutscher Bürger.

„100 Lehrerstellen sind in Oberschlesien zur
Zeit unbesetzt, eine vierllassige Schtlle in einem
großen Jndustriedorf konnte am Vierleljahrs-
anfang nicht eröffnet werden, weil sich keine
Lehrer fanden." (Zeit.-Nachricht.)

O schöne Zeit, wenn das Imperium
Germanirum erst Wirklichkeit aufErden!
Wie wird vor deutscher Größe und Kultur
Der andern Völker Chor dann stille werden!
Denkt nur, es kam' dann so, von ungefähr
So rin Schulmeisterlein des Wegs daher,
Vergrämt und dürr, mii Wangen, hohlen,

blassen!

Wie wird man vor Vewund'rung kaum sich

fassen,

Spricht der dann stolz, v jemine,

„Ich bin rin deutscher Bürger, ach herrjrh,
Und zwar —- ans Schlesien."

P

Wenn mit Reden alles gethan ivüre, dann
ivären wir Deutsche lange schon im Besitz des
ganzen Erdballs und den Mars hätten wir
pachtweise.

V

Das Schulhaus.

Von Lmil Rofenow.

Der Baron hatte eben das grüne Jagd-
hütchen auf den Kopf gedrückt und war nun
vollständig equipirt. Er klemmte das Monoele
ins Auge und mit einem Blick in den manns-
hohen Spiegel bewunderte er seine wie auf
einen» Korsett sitzende Jagdjoppe und die
blitzenden Schäfte der Stiefel. Dann schaute
er zum Fenster hinaus. Drunten, ans dem
Gutshof, stampften bereits vor dem Korb-
wagen die beiden prächtigen ungarischen Jucker
und der Hühnerhund schlug an, der neben den
in die Lederfutterale gepackten Gewehren saß.

Der Baron wandte sich rasch zur Thüre, als
nochmals der Diener eintrat.

„Na, was is denn un wieder los?"

„Herr Baron, der Herr Lehrer. . ."

„Himmeldonner . . . Der verfluchte Schul-
meister soll mir sonst was! Ich Hab' keine Zeit."

Der Diener retirirte furchtsam an die Thüre
»nid murmelte: „Er steht schon so lange im
Entree und er wird den Herrn Baron ab-
lauern ..."

Der Gutsherr stampfte mit dem Fuße und
stieß einen wilden Fluch aus. Doch besann er
sich eines Besseren und sagte wüthend: „Also
mag er kommen, aber ich habe nicht fünf
Minuten Zeit ... sag' es ihm."

Keine Minute dauerte es, da stand der Lehrer
da. Die Männer mochten gleichaltrig sein,
aber der Lehrer sah blaß und verhärmt aus.

„Sie silchen sich aber auch immer die schlech-
teste Zeit aus", schnauzte der Gutsherr. „Was
wird's denn sein ... natürlich das Schulhaus."

Der Lehrer nahm sich zusammen. „Jawohl,
Herr Baron, das Schulhaus. Ich hätte nicht

den Muth gefunden, aber die Noth zwingt
mich ... Sehen Sie, Herr Baron, die Feuchtig-
keit nimmt jetzt dermaßen zu, die Dielen sind
vor'm Katheder vollständig durchgefault. . .
kommen Sie doch blos 'mal 'rüber und sehen
Sie's sich an, wie von der Decke und den
Wänden der Lehm 'runterfällt und das Wasser
'.runterläuft. Jeden Tag melden Ihre Käthner
ein Kind krank. Bon einem geregelten Unter-
richt ist gar keine Rede mehr . . ."

Der Baron unterbrach ihn wüthend: „Das
ist ja die alte Geschichte! Ich kenne die Bude,
ich weiß, daß sie alt ist und grade deshalb ist
sie mir keine Reparaturkosten werth. Die thut's
noch ein paar Jahre. . . vielleicht länger wie
Sie, verehrter Herr."

Und als der Lehrer schwieg, fügte er höh-
nisch hinzu: „Na, mit Ihrer Beschwerde sind
Sie ja mächtig 'ringefallen ... könnt' ich Ihnen
vorher sagen."

Der Lehrer wurde roth. „Ich habe mich
allerdings beschwert, aber in anständiger Form
. . . von einem Reinfall kann also keine Rede
sein . . ."

„Das ist überhaupt 'ne Gemeinheit von
Ihnen!" schrie der Baron mit gellender Stimme.
„Eine Beschwerde, das heißt: hinter meinem
Rücken gegen mich stänkern! Und wer hat
denn den Artikel geschrieben, der jetzt durch
die Blätter läuft: „Ein ostelbisches Schul-
haus" . . . hä?" Als der Lehrer abwehrte, rief
er: „Es ist gut, haben Sie ihn nicht geschrieben,
dann haben Sie es so einem Schmierfinken
gesteckt . .. Und daß Sie es wissen, grade
deshalb lass' ich die Bude wie sie is! Bumms,
fertig!" Er ging an dem Lehrer vorbei, zur
Thüre hinaus.

„Herr Baron", sagte der Lehrer, neben ihm
hergehend, in großer Angst, „ich antworte
Ihnen absichtlich nicht, aber ich bitte Sie. . .
Sie müssen es mir doch ansehen, daß ich in
dem baufälligen Schulhaus ganz krank ge-
ivorden bin. Nun kommt der Winter... meine
Fran liegt todtkrank auf dem Bette, todtkrank
in der feuchten Lehmstube. Weisen Sie mir
wenigstens zum Winter eine andere Wohnung
an, Sie haben ein großes Gut. . ."

Der Gutsherr blieb zornig stehen. „Nu, das
fehlte noch! Ich soll Ihnen wohl den Salon
meiner Frau zur Verfügung stellen? So 'ne
Zimperlichkeit. . . man merkt's, daß Sie nicht
gedient haben! Hat es bei den Andern alle
die Winter gegangen, da wird es bei Ihnen
wohl auch gehen. Ihre Frau wird schon wie-
der gesund werden und wenn es ein bischen
feucht ist, heizen Sie tüchtig ein; Sie kriegen
doch Holz genug."

Er sprang in den Wagen. Der Hund bellte
und die Jucker galoppirten in einer schnei-
digen Schwenkung aus dem Hofthor.

Der Lehrer schritt die ausgefahrene Straße
zum Dorfe hinunter. Der Herbstwind strich
scharf über die Stoppelfelder und er mußte
sich die Augen wischen.
 
Annotationen