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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0048
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Aufruf.

Wider dir modernen Hunnen
Enkrollr, o Volk,

Das glorreiche, srgensxendendr
Banner der Menschlichkeit!

Das Evangelium der Humanität
Kunde du und breite aus
Durch Wort und Werk.

Zu höh'rer Gesittung
Erhebt dich, o Volk,

Dir emsige Arbeit,

Die Kulturschaffende,

Führt dich empor
Aus Hrrzensrvhhrit,

In welche versenkt

Anbetung des Golds

Und brennende Gier nach Macht.

Humanität, Lrlvserin!

Unter ihrem Banner
Erlöse, o Volk,

Dich selbst und zugleich
Die da schmachten
In jeglicher Knechtschaft.

Vorwärts, zum Sturm
Wider Hunnenchristen,

Wider Christrnhunnen,

Die in fernen landen
Bestialisch Hausen;

Die in der Hrimath
Dem Volke schmälern
Das Brot des Leibes
Wir des Geistes,

Und dünkrlgrbläht
Weigern dem Volke
Die Menschenrechte.

Wider die modernen Hunnen
Schwinge, o Volk,

Das Glanzpanirr
Der Menschlichkeit!

Lebenslänglich.

Von Hans H^an.

Der Gefangene sah auf. Die eiserne Klappe,
durch die das Mittagessen in die Zelle gereicht
wird, war heruntergefallen.

Er zitterte und war weiß wie die Wand,
als er jetzt aufstand und an die Thür ging,
durch deren viereckigen Ausschnitt das schwarz-
bärtige Gesicht des Aufsehers hereinsah.

,,Der Bescheid auf Ihr Revisionsgesuch ist
gekommen, Müller .. . hier!"

Die behaarte Rechte des Mannes reichte ein
mrt dem Siegel des Reichsgerichtes versehenes
Amtskouvert durch die Oeffnung.

Dann fiel die Klappe knallend zu. Der Ge-
fangene war wieder allein.

Scheu und von einer grenzenlosen Bangig-
keit erfüllt, sah er auf das Kouvert, das er
zwischen den Fingern drehte und dessen Siegel
bereits gelöst war.

Von dem, was da drinnen stand, hing für
ihn Alles ab. Alles!

Und er wußte ja schon, daß es nichts sein
würde mit der Revision! Der Aufseher wäre
ja hereingekommen und hätt' es ihm mitge-
theilt... Der Manu war nicht unfreundlich ...
sicher that es ihm leid, daß das Gesuch ab-
geschlagen war ...

War es denn wirklich abgeschlagen? Ach,
es konnte doch nicht sein! Wo soviel für ihn

auf dem Spiele stand! Sein ganzes Leben hing
doch an diesem „Ja" oder „Nein"!

So vorsichtig, als sei es eine sehr zerbrech-
liche Sache, zog er den Bogen aus dem Kouvert
und entfaltete ihn.

„ .. . Das Reichsgericht ist nicht dazu ge-
kommen, einen Rechtsirrthum in Ihrer Sache
als vorliegend nuzusehen und hat daher be-
schlossen, Ihr Gesuch um Wiederaufnahme
des Verfahrens abzulehneu. . ."

Das las er zweimal, dreimal, ohne den
Sinn der Sätze recht zu begreifen — was ihm
klar wurde, war nur, daß er jetzt sein Leben
lang im Zuchthaus zubringen mußte.

Aber er hatte doch nichts gethan? Er war
doch ganz unschuldig! Eine» unschuldigen
Menschen einsperren, so lange er lebt, ein-

sperren — bewahre! Das kann Keiner, das
darf Niemand, das ist ganz unmöglich!

Für einen Augenblick erfüllte ihn diese einfache
Logik mit einer Genugthuung, die sein Herz er-
leichterte. Aber in der nächsten Sekunde schlug
die Last doppelt schwer auf ihn herab: Jetzt
gab es keine Rettung mehr, er war verloren!

Die spätherbstliche Abendsonne drang in sein
Fenster. Der Fichtenholztisch, auf dem er Kaffee-
bohnen sortirte, war roth davon übergossen; er
sah auch, wie seine Hände, auf die er sich müde
stützte, von der Abendröthe wie mit Blut ge-
färbt schienen.

Und plötzlich fuhr er wild in die Höhe.

Nein, nein, er hatte nicht gemordet! Auf
der ganzen Welt gab es keinen Menschen, der
unschuldiger als er an diesem Verbrechen war!
Man durfte ihn nicht einsperren!

Ach, er hatte ja damals gar nicht Alles
sagen können in der Hauptverhandlung! Diese
feindlichen Gesichter um ihn her hatten seine
Gedanken gelähmt. Und der Anwalt, den man
ihm von Staatswegen gestellt hatte — oh, wie
er den jetzt haßte! — Der Anwalt hatte ge-
sagt, je bescheidener er aufträte und je weniger
er spräche, desto besser sei es für ihn ... Wenn
er nur noch ein einziges Mal vor den Richtern
stehen könnte, er würde ihnen Alles so genau
und haarklein erzählen!

Und jetzt hielt er eine glänzende, fließende
Vertheidigungsrede. Er sah die Geschworenen
vor sich und die Richter und erzählte ihnen
Alles, von dem Augenblick an, wo er den
Bäckergesellen Claus Rippler in der Herberge
zur Heimath in Marne kennen gelernt hatte.

Es war am 28. Mai, an einem Dienstag —
jawohl Dienstag, nicht Mittwoch!

Am Montag Abend war der Bäcker zugereist.
Die Herberge sollte schon geschlossen werden,
als er anpochte. Und da hatte denn der „Vater"
den „Kunden" noch herein gelassen, als sie schon
dabei waren sich auszuziehen. Müde waren sie
auch und fünf Minuten später schliefen sie schon.

Erst am andern Morgen lernte er den Claus
Rippler kennen.

Und daß er in der Nacht mit ihm Streit
gehabt haben sollte, war auch nicht wahr. Er
hatte so fest geschlafen!

Aber der Herbergsvater beschwor, er habe
im Zimmer nebenan, wo er selbst mit seiner
Frau schlief, deutlich die Stimme des Schneider-
gesellen Müller vernommen.

Am nächsten Morgen beim Kaffee, da hatten
sie sich allerdings gezankt, der Rippler und er,
aber aus politischen Gründen, der Bäcker war
klerikal und wurde wild, als er über die
„Pfaffen" schimpfte.

Trotzdem waren sie nachher ganz friedlich zu-
sammen fortgegangen. Immer die Deiche ent-
lang, die so steil nach den Marschwiesen zu ab-
fallen. Das Wetter war schön und die Marschen
schimmerten grün, so weit man sehen konnte.
Die hübschen bunten Kühe hoben den Kopf,
wenn sie vorbei gingen, und sahen ihnen nach.

Zu Mittag hielten sie Einkehr in einem
Wirthshaus und dort hatte er dem Bäcker die
schwatze Stahluhr um fünf Mark abgekauft.

Warum wollte man ihm denn das nicht
glauben? Er wußte ja doch im Voraus, daß
er in Heide Arbeit finden würde. Ein paar
 
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