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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0067
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3466


^ Zwei Nothleidende. ^

ii.

Vor dem verschmierten Wirthschastsbuch
Der Bauer sitzt, die Stirn in Falten,

Die Faust geballt. Ein grimmer Fluch. .
„Ich kann das Gut nicht länger halten!
Ich würg' mich all' die Jahre lang,

Dass mich das Unglück nicht verderbe,

Und nun das End': die Grundschuldbank
Vertreibt mich von der Väter Erbe!

Der Junker trinkt das lehte Glas
Und pfeift dem Kellner: „Los mein Junge,
Denn jetzt geht ja erst an der Spatz,

Mein Mädel steht schon aus dem Sprunge.
Bis Else ist ste beim Ballet,

Dann möchte ste, datz ich ste kützte.

Mus Taille, ist das Mädel nett! ....
Verdammt, wenn's meine Vlle wützte!

Wer meine schwiel'gen Fäuste sieht
Und meine frühgebleichten Haare,

Der weitz, wie ich mich abgemühl
Durch all' die langen, langen Jahre.

Nun kaust mich hier der Junker aus.

Ich mutz in fremdem Dienst mich mühen.
Sein Damxfxstug wird, wenn ich hinaus,
Muf meiner Scholle Furchen stehen.

Die Mädels sind jetzt rein wie toll
Muf uns Mgrarier. Diese Blase
Merkt'« gleich: Wir krieg'n die Tasche voll!
Die Rinder ha'm 'ne feine Nase!

So 'n Börsenjobber zahlt zu schlecht,

Wir aber lassen baar Geld lachen,

Wir Junker sind den Mädels recht,

Bei uns ist noch 'was loszumachen.

Dem Nachbarn nahm er schon den Wald ...
So dehnt sich der Besitz der Reichen.

Das letzte Bauernhaus wird bald
Dem Herrenhaus des Junkers weichen.
Wann endlich bricht der Morgen an,

Der der Bedrückten Nummer stillet
Und der uns aus der Knechtschaft Bann
Die Freiheit und Erlösung bringet!"

Warum auch nicht? — Der Vrotzoll steigt,
Das Blättchen will sich endlich wenden.

Ein Hungrrsnothpreis wird erreicht,

Gewinn schöpf' ich mit vollen Händen.

Da kann man schon 'mal 'was verhau'n
Bei kleinen Mädels, denn — auf Taille —:
Wir Junker sind ja doch die Schlsu'n,
Bezahlen mag's nur die Kanaille!" j

Aöam, 5er Walönrensch.

Herr Christopherus Fülle. Professor der
Zoologie, war nach nahezu dreijähriger Ab-
wesenheit in seine Heimath zurückgekehrt. Eine
Weltreise zu Studienzwecken hatte ihn bis da-
hin vom Strande der Spree ferngehalten. Be-
laden mit seltener Ausbeute, begleitet von einem
ganzen Waggon voller Merkwürdigkeiten und
Abnormitäten, kehrte er heim.

Das Seltsamste in seiner Begleitung aber
war ein weit über die Fachkreise hinaus Auf-
sehen erregendes Wesen: ein Waldmensch. Der
Professor hatte ihn anfgegriffen, als er auf
einer Streife durch einen Urwald in Neu-Guinea
begriffen war. Besagtes Wesen saß auf einem
niederen Baumast und streckte dem Zoologen
die Zunge heraus, wodurch dieser an liebliche
Gepflogenheiten zivilisirter Kinder erinnert
wurde und in blitzartiger Gedankenverbindung
sofort zu dem Bewußtsein gelangte, daß es sich
hier um einen Repräsentanten der „Kindheit
der Menschheit" handle.

Adam, so wurde der Waldmensch später
sinniger Weise getauft, war empfänglich für
die Süßigkeit des Zuckers, der ihm zugeworfen
wurde, und so fing man ihn, um dann die
weniger süß schmeckenden Baststricke anzuwen-
den. Ob auch die Peitsche, das dritte Symbol
der zähmenden Kultur, zu Hilfe genommen
wurde, steht nicht fest. Jedenfalls dauerte es
nicht lange, bis Adam den anregenden Ein-
flüssen der Zivilisation zugänglicher und ein
williger und fleißiger Schüler des Professors
wurde.

Wir übergehen die Einzelheiten der Reise
wie der ersten Erziehung, weil es uns nur dar-
auf ankommt, zu beweisen, daß die Mensch-
heit sich ssit ihrer Kindheit zu so ungeheurer

Line merkwürdige Geschichte. von L. preczang.

Erhabenheit emporgearbeitet hat, daß so ein
armer braunschwarzer Urmensch einem mo-
dernen Kulturträger gegenüber ausschaut, wie
ein Maulwurfshaufen neben dem Chimborasso.

Nach der Ankunft in der Reichshauptstadt
bekam zunächst ein Barbier den krausköpfigen
Adam unter die Finger. Mit Recht. Denn
die scherende, schaumschlägerische und ein-
seifeude Thätigkeit ist bekanntlich ein hervor-
ragender Bestandtheil aller Zivilisation. Die
Sache war nicht leicht. Aber nach einer ar-
beitssauren Woche klopfte der„Schnutelschaber"
die dritte Schere aus, klappte das letzte Rastr-
messer eines verbrauchten Dutzends zusammen
und rief: Es ist erreicht!

Adam wurde in einen für ihn zurechtgestutzten
Anzug des Professors gesteckt und gehörte nun-
mehr — Kleider machen Leute — zu den wirk-
lichen Menschen, da das Recht zur Führung
dieses Gattungstitels ja nicht an den Nachweis
komplizirter Gehirnwindungen gebunden ist.

Mit der deutschen Sprache, deren Anfangs-
gründe ihm schon auf der weiten Reise ein-
gepaukt waren, kam Adam bald zurecht. Die
Unermüdlichkeit des Professors wie der Eifer
seines Schülers brachten den Ureinwohner von
Neu-Guinea bald dahin, so fließend zu reden,
wie ein Leutnant in den Witzblättern.

Christophorus Falke brannte schon lange auf
das Vergnügen, seinem Pflegling die Herrlich-
keiten der Kultur, welche am Strande der
Spree bekanntlich besonders wundervolle Blü-
then treibt zu zeigen, sich an seinem zweifellosen
Erstaunen zu ergötzen und sichselber begeistert im
Triumphe des modernen Geschlechtes zu sonnen.
Bisher war Adain aus dem Raritätenkabinet
des Professors nicht viel herausgekommen.

Er wurde gewissermaßen unter Verschluß ge-
halten, weil man einen plötzlichen Ausbruch
seiner kaum unterdrückten thierischen Wildheit
befürchtete — mit Recht, wie sich noch erweisen
wird.

Eines schönen Tages — es war im Winter
— zog Christophorus Falke seinen Pelz über,
stülpte sich ein Augstrohr auf den Kopf und
wunderte gehobenen Gefühls mit Adam hinein
in den großstädtischen Steinhaufen. Der Pro-
fessor hatte genug zu thun, das rege Interesse
seines Schülers einigermaßen zu befriedigen;
die Aufmerksamkeit des letzteren blieb sowohl
an den Riesenbauten wie au den elektrischen
Bahnen, dem Asphaltpflaster und den Laternen-
pfählen haften.

Sie kamen aus dem Westen und gingen jene
Allee entlang, welche vom Volksmund „Neue
Jnvalidenstraße" getauft ist. Adam fand diese
Allee, an deren beiden Seiten die Denkmäler
in militärischer Exaktheit aufmarschirt sind,
„sehr schön," welches Urtheil Falke bestätigte.

Nun standen sie vor der Siegessäule, auf
der die Germania — der verstorbenen lex Heinze
zum Trotz — ihre Röcke flattern läßt. „Dieses,
lieber Adam," begann der Professor, „ist das
Wahrzeichen kriegerischer Tapferkeit. Zum An-
denken an die Gefallenen, zum Gedächtniß eines
herrlichen Krieges, dessen Frucht das Deutsche
Reich ist, haben wir diese mit eroberten Ka-
nonen geschmückte Säule errichtet."

„Todte hier begraben?" fragte Adam.

„Nein, mein Lieber," antwortete Falke, „um
alle Jene, die ein Opfer jenes Krieges wurden,
hier zu begraben, hätten wir ein Loch schaufeln
müssen — tiefer, viel tiefer, als das Denkmal
hoch ist. Nein —"
 
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