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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0230
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Karl Mrkli.

Die Philister trösten einander gern, es werde
aus jedem brausenden Moste zuletzt ein mildes
Weinlein. So geht's ja freilich in der Regel.
Aber es giebt auch edles Gewächs, welches
sein Feuer bis zuletzt bewahrt, — Kämpfer,
welche das Schicksal nicht zähmt, nicht buß-
fertig zu stimmen vermag. Entrichtet ihr
Aeußeres dem Alter auch den schuldigen Tribut;
ihr Inneres spürt nichts von Schwäche. Sie
haben das Morgenrots, geschaut und glauben
an den Tag, wie mürrisch er auch zögere mit
seinem vollen Lichte; wenden sie sich einmal
zurück, geschieht es nur, um zum fröhlichen
Vorwärtsschreiten zu mahne». Nichts Schöneres
als diese Grauköpfe mit den frischen Herzen.
So Einer war Wilhelm Liebknecht, so Einer
auch der Züricher Karl Bürkli, der vor ein
paar Wochen von uns schied. Die Beiden
pflegten auch gute Kameradschaft; nie kam
Jener nach Zürich, ohne Diesen aufzusuchen.
Auch eine Reihe anderer deutscher Genossen,
vornehmlich Bebel, stand Bürkli nahe. Die
Entwicklung des deutschen Sozialismus ver-
folgte und studirte er und über deren Siege
freute er sich wie ein Kind. Blieb er Zeit-
lebens im Sinnen und Fühlen der Jünger
Fouriers, so räumte er doch unumwunden ein,
daß die von Marx und Engels aufgestellte
Taktik die einzig richtige sei.

Karl Bürkli staminte aus einem reichen
Bürgerhause. Mehrere Jahre hindurch städti-
sches Oberhaupt, gehörte der künstlerisch hoch-
gebildete Vater zu jenem konservativen Clan,
welcher vom Liberalismus nichts wissen mochte.
Der 1823 geborene Karl ward ins Gymnasium
geschickt, wo er neben Anderen Julius Fröbel
zum Lehrer hatte. Der schwer auffassende,
etwas störrisch geartete Knabe verhieß kein
„Licht" zu werden; so that man ihn denn zu
einem Gerber in die Lehre und 1842 zog er
mit wohlgespickter Börse auf die Wanderschaft.
Er durchstreifte den ganzen französischen Süden,
traf 1845 in Paris ein, besuchte an der Sor-
bonne mehrere wissenschaftliche Vorlesungen
und nun trat auch die entscheidende Wendung
bei ihm ein. Fouriers Schriften geriethen ihm
durch einen Zufall in die Hände und jetzt ge-
wann sein Leben höheren Inhalt. Was er da
las, machte ihn fiebern, übte eine zaubermächtige
Wirkung auf seinen Geist. Es strömten Ideen
auf ihn ein, von denen er nichts geahnt, und
die Gestade einer neuen Welt breiteten sich vor
ihm aus. Er ward als Greis noch bewegt
und sein Gesicht leuchtete, wenn er von dieser
Bekehrung sprach. Daß er der von Viktor
Constdörant geleiteten fourieristischen Gemeinde,
die damals eine grandiose Propaganda ent-
faltete, von ganzem Gemüthe sich auschloß, war
natürlich. Da diese Schule die politische Aktion
mied, ließ die Polizei sie ungeschoren. Als
dann aber die Republik von 1848 nach kurzem
schwächlichem Bestand von den bonapartistischen
Staatsstreichhunden todtgebisseu war, warf sich
die Reaktion wie toll auch auf den Sozialis-
mus, die Saat zerwühlend und zerstampfend.

Bürkli hatte schon vor der Februarrevolution
den Pariser Staub von den Füßen geschüttelt.
Er durchreiste Belgien, Deutschland und Oester-
reich, weilte aber nicht lange in der muffigen
Vormärzluft und kehrte zurück nach Zürich. In
der Kaserne passirte er die Offiziersschule —
sie war nicht drückend — und marschirte als
Leutnant mit den zürcherischen Truppen aus,
die zum Empfang der badisch-pfälzischen In-
surgenten an den Rhein entsandt wurden.
Bürkli bekam den Auftrag, mit ein paar Leuten
nur bas stark zusammengeschmolzene Leibregi-
ment des Großherzogs von Baden nach Bern
zu führen: eine ziemlich fidele Expedition. Man
war in der Ernte; auf Disziplin pfeifend,
schwärmten die Soldaten öfters auf die Felder
aus, die Schnitterinnen zu küssen und weil dies
am Ende keinen Bruch der Neutralität bedeu-
tete, ließ sie der „Kommandant" gewähren.

Für Zürich war die Flüchtlings-Invasion
übrigens ein Ereigniß; tüchtige Elemente
siedelten sich an, die Intelligenz erhielt merklich
Zuwachs und Bürkli gewann auch manchen
Freund; es seien nur Härlin aus Stuttgart,
Leutnant Müller aus Dresden und Rüstow, der
geniale Militärschriftsteller erwähnt; von ihm
hat Bürkli sehr viel gelernt. Für Letzteren
galt es nunmehr, als ehrsamer Meister sich
zu etabliren. Eine Gerberei ward eingerichtet
und bald — liquidirt. Zum Großbetrieb, welcher
allein eine Blüthe sichern konnte, gebrach es
an den erforderlichen Mitteln und der von weit-
reichenden Organisationen träumende Bürkli
verspürte Unlust in dem engen Rahmen. Im
Grütliverein regte er darauf die Gründung einer
Konsumgesellschaft an und setzte trotz tobenden
Schreiens und Schimpfens der Krämergilde das
Werk auch glücklich durch; die erste Schöpfung
dieser Art in der Schweiz. Ganz nach
seinem Wunsche fiel's nicht aus; just in den
Theilnehmern, auf die er baute, steckte noch all-
zuviel kapitalistische Auffassung. Blos Speze-
reien rc. zu verkaufen war aber nicht sein Ideal;
es sollte sein Konsum, gewissermaßen die Urzelle
für zahlreiche organisch verbundene Unterneh-
mungen, nach allen Richtungen ausgedehnt wer-
den — nach dem Gedanken Fouriers. Er ru-
morte auch in der Politik. In der „Freien
Stimme", eines räßen radikalen Blättchens,
legte er gegen den lahmen Liberalismus ohne
Schonung los und dort veröffentlichte er 1851
sein detaillirtes sozialistisches Programm, wo-
rauf die Arbeiter des gleichen Kreises, den
Zürichs Gewaltigster, Alfred Escher vertrat,
ihn in den Kantonsrath wählten. Da auch im
Kanton herum der Sozialismus Anhänger zählte,
besonders unter der Lehrerschaft, empfand die
Regierung ordentlich Besorgniß und als Bürkli
in einer Broschüre „Jesus von Nazareth vor
dem zürcherischen Maulkrattengesetz" die Straf-
bestimmungen grausam verhöhnte, die man
mehrere Jahre zuvor — in der Schneider Weit-
ling-Sache — geschmiedet, ward ernstlich davon
geredet, den frechen Deniagogen anzuklagen; der
Staatsanwalt weigerte sich indeß, einzuschreiten.

Wenn der Konsumverein hübsch florirte, so
merkte Bürkli gleichwohl zur Genüge, daß sich
der kommunistische Faden vorerst unmöglich
weiter spinnen lasse; man stieß dabei fort-
während an die dicke Wand des Individualis-
mus. Drum tönte der Ruf aus Frankreich zur
Schaffung einer fourieristischen Kolonie in
Texas wie Musik in seinen Ohren. Kein Ge-
ringerer als Considörant, welcher Texas kurz
bereist hatte, lieh seinen glänzenden Namen
und Bürkli mühte sich, Genossen für das Projekt
zu werben; seine Mutter, sein älterer Bruder
und er selber schossen gehörige Beiträge ein
und im Frühling 1856 rückten circa dreißig
Kolonisten von Zürich ab. Bald hörte man
schlimme Kunde von ihnen; die Sache war zu-
sammengebrochen. Man hatte die Umstände
viel zu enthusiastisch erwogen und beurtheilt,
wichtige Faktoren einfach übersehen, hatte zu
sehr improvisirt. Von Considsrant nach Zentral-
amerika geschickt, ein geeigneteres Terrain aus-
findig zu machen, wurde Bürkli dort von einer
Flibustierbande zum Anschluß gezwungen. Nach
einer Weile entfloh er den Strolchen, erreichte
nach langen Fährlichkeiten die Küste und fuhr
nach der Union und wandte sich, nachdem er
die meisten Staaten genau beobachtend durch-
quert, dem alten Europa zu. In Zürich tauchte
er zu Anfang der Sechziger Jahre wieder auf.
Sein Konsumverein hatte inzwischen nicht rühm-
lich gewirthschaftet, es stand an verschiedenen
Zipfeln bös mit ihm. Bürkli griff herzhaft
nach dem Steuer, brachte abermals Schwung
ins stockende Geschäft und erlebte die Genug-
tuung, daß ein hochangesehenes Finanzorgan,
das mit dem Kommunisten Bürkli sonst nicht
glimpflich umsprang, seiner eminenten Leistung
wärmstes Lob zollte. Das dauerte bis kurz nach
1870. Die Sehnsucht nach Profit erwachte ver-
stärkt, man wollte verdienen, nicht experimen-
tiren und Bürkli wurde gesprengt. Er hat jenen
schmerzlichen Schlag nie völlig verwunden.

Rosen sollte er doch noch pflücken; sie sproßten
im Garten der Politik. Die auf ihre Bahnen
und Banken sich stützende liberale Partei des
Kantons Zürich war über die Maßen üppig
geworden; protzig lehnte sie ab, was die Linke
forderte. Sie rechnete falsch. Es war eine
festgefügte durchgeistigte Demokratie erstanden,
dazu kommandirt durch einen Stab von Kapa-
zitäten, wie auf solch schmalem Raume sie
selten beieinander sind; bei ihnen war auch
der Philosoph Albert Lange, der 1867 Duis-
burg mit Winterthur vertauscht hatte und dort
den Landboten mit redigirte. Die Plutokratie
erlag dem wuchtigen Anlauf und eine vom
freiesten Geiste durchwehte Verfassung trat ins
Dasein. Wie das ein Lamentiren und Pro-
testiren und Krächzen der Biedermeierpresse
war, ist heute beinahe vergessen. Damals
hallte es in Deutschland nach Noten wieder
und hundertfach, selber in Büchern war zu
lesen, das einst so musterhaft verwaltete Zürich
keuche unter einer „rothen Pöbelrotte". Daß
eine Konstitution, welche das Recht der Selbst-
 
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