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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 18.1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.6609#0231
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bestimmung dem Volke anvertraute, den Schwer-
punkt aus dem Parlamentssaal in die Masse
hinausverlegte, elend verkrachen müsse, darüber
waren die Professoren einig, wie immer wenn
sie etwas nicht verstehen. Die direkte Gesetz-
gebung durch das Volk, zuerst von Rittinghause»
nachdrücklich formulirt, betrachtete Bürkli als
Eckstein der Demokratie; sein rastloser Eifer
setzte es durch,
daß sie in Zürich
eingeführt wur-
de; für ihn ein
Triumph. Ver-
stümmelte man
auch einige sei-
ner Anträge —
so den Genosseu-
schastsartikel —
durfte er doch
zufrieden sein,
er brachte ein
redlichStückSo-
zialismus unter
Dach. Darum
war er auch so
hochgemuthinje-
nen Tagen. Kein
Redner großen
Stils, wußte er
gleichwohl die
Hörer auf Ver-
sammlungenwie
in der Raths-
stube zu packen;
immer originell,
sprühte er oft
von Witz und
Sarkasmus; er
konnte auch
leidenschaftlich -
bitter werden
und der Gegner,
der ihn reizte,
ward dann ge-
schunden wie
Marsyas.

An der Aus-
gestaltung der
Fundamental-
sätze arbeitete
Bürkli rüstig
mit, stets nach
dem Nerv der
Sache spähend.

Erst als das Ge-
hör ihn allmälig
im Stiche ließ
und das so klare
Auge stumpfer
wurde, zog er sich
aus den Räthen
zurück; die zün-
denden Worte
und Treffer, die
er in die Debat-
ten geschleudert,
vermißte man
lange. Wie sehr ihn das Prinzip der Pro-
portionalwahle» beschäftigte, ist aus seiner
Schrift ersichtlich; er hatte sein eigenes System
und vertheidigte dasselbe wie eine Löwin ihre
Jungen; noch in der letzten Spanne seines
Daseins gedachte er das Thema nochmals zu
erörtern. Er war ja ein unermüdlicher, scharfer
und vielseitiger Denker, der mit halber Aus-

kunft nicht vorlieb nahm, in allen Fächern, die
ihn interessirten, der Quelle nachging, bohrte
und grub. Darum „saß" auch Alles, was er
sagte, er war exakt. Er geißelte köstlich den
militärischen Firlefanz, kritisirte die thörichte
Imitation der stehenden Armee im Milizheer,
zerstörte die eidgenössische Heldenlegende, oabei
auf die echten Wurzeln nationaler Kraft hin-

weisend. Der übliche Patriotismus ärgerte sich
darob und historische Zünftler schnarchten ihn
an; sie mußten aber schließlich kapituliren, ein
deutscher Historiker von Rang sprach mit hoher
Achtung von dem genialen Autodidakten, als
welchen ihn übrigens auch Albert Lange schon
bezeichnet hatte.

Ein Schweizer, voraus ein Züricher, war

Bürkli in jeder Faser; er konnte und wollte
als solcher sich auch nicht verleugnen. Nur
vom Spießer hatte er nicht das Mindeste an
sich, Engherzigkeit, die auf den Taufschein hal-
tend, das Fremde anglotzte, haßte er gründ-
lich. Und so hinderte ihn sein urwüchsiger
Schweizer Name keineswegs an kosmopolitischen
Aspirationen weitesten Fluges. Im Gegentheil;

erzielte in Allem
„aufs Volle".
So hatte die
Internationale,
gleich wie sie sich
meldete, seine
ganze Sympa-
thie und er war
Mitglied der
Züricher Sek-
tion, so lange
sie bestand, und
auf den Kon-
gressen in Lau-
sanne, Genf und
Basel fehlte
Bürkli nicht. In
Basel war er
1869 mit Greu-
lich, dem schwei-
zerischen Arbei-
tersekretär von
heute, er hat die-
sen recht eigent-
lich „entdeckt".

Schmähungen
und Enttäusch-
ungen waren
ihm viele be-
schieden. Aber
er hatte Humor,
eine unzerstör-
bare Ueberzeu-
gung und das
Bewußtsein,daß
auch in trübster
Nacht das Licht
nicht erlösche.
So blieb er auf-
recht, an eine
Strophe in Le-
nau's Albigen-
ser erinnernd:

Manche krank, ins
tiefste Mark,
Selbst am ewigen
Geist verzagen:
Andre haben still und
stark

Ihren Gott hindurch
getragen.

Es war für
Engels eineherr.
liche Stunde, als
ihm am Inter-
nationalen Kon-
greß in Zürich
von 1893 die
Brüder aus all er
Welt zujubelten;
herrlich war es auch für Bürkli, ihnen den
Gruß zu bieten; nun war aus dem zarten, oft
bedrohten Reise doch ein stattlicher Baum ge-
worden. Es ist kein gewöhnlicher Dutzend-
mensch mit ihm dahingegangen, wir haben
einen trefflichen Säemann verloren. Unablässig
streute er die Frucht aus — nun mag er schlafen,
der brave „Karli". h. r-t.
 
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