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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0043
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3699

Drr gute Tirxitz.


„Wenn Du wüßtest, lieber Michel, was ich alles noch für Dich in petto habe !"

-©✓t? Hodelsgähnr.

Es war jüngst eine Reichstagswahl
In Döbeln, ini dunkelsten Sachsen,

Da sind die Stimmen mit einem Mal
Der Rothen mächtig gewachsen.

Den Sozialisten ein neues Mandat!

So bat das Volk gesprochen.

So über den Hunger-Zolltarif
Hat es den Stab gebrochen.

„Einen Bundesstaat darf man nicht
schäbig nennen", sagte Graf Ballestrem am
3. Februar im Reichstag. Er wollte damit
wohl andeuten, daß auf die Bezeichnung
„schäbig" in erster Linie das Reich Anspruch
hat, welches seinen Volksvertretern noch immer die Diäten schuldig bleibt.

Ihr Jesuiten, arme Schlucker,

Ihr bleibt auch ferner in Absenz,
Denn ach, die protestant'schen Mucker
Vertragen keine Konkurrenz.

„Wir wollen die Schweinezucht heben", sagte Podbielski im preußi-
schen Abgeordnetenhause. Das wollte er aber auf die Landwirlhschaft,
nicht auf gewisse Krankenhausverhältnisse bezogen wissen.

Die Staare kehren wieder
Und freuen sich wie toll —

Es giebt auf wandernde Vögel
Noch keinen Einfuhrzoll.

In Berliner Krankenhäusern werden die Kranken zum Beten genöthigt.
Dann dürften sie wohl vor Allem um eine vernünftige Krankenhaus-
verwaltung beten. ^ .

Ihr getreuer Sage, Schreiner.

Erpressung.

D hilf, du himmlische Iustiz,

Ls geht uns an die Bäuche,

Zm Pöbel, da grasstrt, man sieht's,

Die fürchterlichste Seuche.

Klug wird er jetzt, läßt sich nicht mehr
Wie sonst geduldig schinden;

Die einzeln machtlos, dröhn nunmehr
Sich kraftvoll zu verbinden.

Linst könnt' man sie mit Kleienbrot
Und Salzkartoffeln füttern,

Doch die Genußsucht jetzo droht
Selbst Staaten zu erschüttern.

Schier unerträglich wird dies Leid,
Nothwendig wird sein Lnde;
Gewährende Nachgiebigkeit
Schwächt nur die Dividende.

Hilf, himmlische Justitia,

Hilf uns Bedrängte schützen;

Denn wozu wärst du sonst wohl dA,
Wenn nicht, um uns zu nützen?

Führ' sie durch irgend einen Kniff
Zurück zum alten Zwange,

Zind' irgend einen Nechtsbegriff,

Durch den man sie belange.

Und Zrau Justitia findet Nath,

Lie nennt den Streik „Erpressung".
Wie wünscht nun für die Zrevelthat
Ihr Herrn die Str.afbemessung?

Daß man sie hängt, liegt ziemlich nah,
Zwar — köpfen wär' noch besser —
Doch Himmel! Wir vergessen dal
Nlan braucht ja die „Erpresser"!

Und weil für edle Menschlichkeit
Stets unser Herz empfänglich,
Begnad'gen wir zur Zwangsarbeit
Siegern auf lebenslänglich! ®tto «öh».

Die Agrarier inr Recht.

wie hoch man den Ansatz genommen
Für künftigen Hungerzoll,

Die Herren Agrarier bekommen
Den Mund nicht genügen- voll.

Sie meinen in ihrem Zorne,

Die Beute sei zu klein,

Ls könnte aus weizen und Aorne
Der Nutzen größer sein.

And ach, man muß diesen Tröpfen
wahrhaftig stimmen bei —

Das Stroh in ihren Aöxfen

Blieb ja noch steuerfrei. M. K.

Lieber Jacob!

Die Jeschichte mit Massow'ri seine Reichsdags-
rede hat mir sehr ernst jestimmt. Er soll ja schonst
immer 'n Msken eijenthiemlich jewesen sind, seit
er in seine Jugend so ville Unjlick mit die Liebe
jehabt hat. Du weeßt doch, wo er die jiedsche
Baukiersdochter wollte un nich kriegte. Die lange
Nase, mit die er dunnemals abziehen mußte,
haben ihn alle die Jahre nich abwaschen kennen.
Aberst bet et schließlich so schnell ieber ihm
kommen wirde, hätte keen Mensch nich jeahnt.
De Konservativen wollten ihm jleich in't Falk-
Jimnasium schicken un ihin uff Frakzjonskosten
jcsund beten lassen, aberst nu haben se doch be-
schlossen, det er vorher noch bei dem Ajrarierfeez
in'n Zirkus Busch losjelassen werden soll, wo
se sich ville Verwiegen von ihn versprechen.

Wie inan mit sonne Unjlickliche noch Witze
machen kann, verstehe ick nich. Aberst de Men-
schen sind schlechter, als wie wir Zeitjenossen
jlooöcn, un et is insoweit janz jut, det wir in
Berlin noch immer 'ne jeistreiche Pollezci haben.
Det is wirklich 'ne janz scharmant Behörde. Se
hat doch jetzt ihren Verwaltungsbericht 'raus-
jcgeben, wo se sich ieber ihre Thaten un Leiden
in die letzte zehn Jahre ausquetscht. Ick hab'n
noch nich jelesen, aberst wenn ick ihm bei Wert-
heim kriegen kann, koof ick ihn. Ick lese näm-
lich jern wat Jraulichet, un uff die Abendeicr
von Normann-Schumann'n, Tausch'n, Meer-

scheidt'n un Thiel'n bin ick schon janz jierig. Ooch
in de Pollctik soll unsere Pollezei Schenialet je-
leistet haben. Unser Amtsrath, der konservative
Abjeornte aus Ostpreißen, der bei meine Schwester
in't Vorderhaus zwee meblirte Zimmer hat, er-
zählte neilich, de Berliner Pollezei hätte 'ne
pollitische „Zentral-Beobachtungsstelle" für janz
Deitschland injerichtet, det wäre 'ne Art Stern-
warte, wo se allens bekieken kennen, wat an'n
pollitischen Himmel passirt. Wahrscheinlich wer-
den sc da jetzt ooch de astronomische Jnstrumenter
uffstellen, die uns de Chinesen aus Hochachtung
vor unsre vornehmeKriegsfiehrung jeschenkt haben.
Ick meene allerdings, unsre Beherven haben sowat
jar nich uethig; die sehen allet, wat in de Welt
vorjeht, schonst jetzt ebenso jut, als wie wenn se
'ne chinesische Brille uffhätten.

Jefreit habe ick mir blos, wat se nu init den
seligen Stumm Vorhaben. Die Jroßkohzen von
de Neieste Nachrichten, Schweinburg un Tille,
wollen ihm doch als Klassiker frisiren un in acht
Bände 'rausjeben. De Ausstattung von die Biccher
soll jroßartig werden: jeder Band feinstens in
det Leder jebunden, det der in Jott ruhende Ver-
fasser bei Lebzeiten seine Arbeiter abjezogen hat.
Ooch die Persehnlichkeitcn von die Herausjeber
finde ick sehr jinstig. Se haben alle Beede die
Jesinnung jemein, un se unnerschciden sich blos
cißerlich dadurch, det Schweinburg 'ne verhauene
Schnauze und Tille 'neu verhauenen Hintern hat.
Du weeßt doch noch, von Jlasgow her?

Sonst haben wir hier nischt nich erlebt. Zu
Kaisers Jeburtsdag sind 'ne Menge Piepvegel
unner't Volk jeflogen, aber einige von die damit
Bejlickte haben se als nich janz zivcckentsprecheud
wieder retour jeschickt. Ooch allerhand ausländische
Herrschaften waren bei die Jelegenheit zujereist.
Unner annern zwee jalizische Taschendiebe, die se
aber in de Friedrichstraße abjefaßt haben.

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße

Dein jetreier Jotthilf Rauke,
an'n Jörlitzcr Bahnhof, jleich links.
 
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