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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0240
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— 3897

ästhetischen Thees Berlins, foppt die
Pietisten, mit denen die schwäbische
Residenz noch imnier genügend ver-
sehen ist, nimmt die deutschen Rezen-
senten unter's Messer — „sanft-
lobende, lobposaunende, lobhudelnde
und Todtschläger" — und schleppt
auch ein jüdisches Literatur-Fräu-
lein zur Konversation herbei.

„Was lesenSie? wennmanfragen
darf."

„Nu, Bellettres, Bücher von die
schöne Jeister; ich bin abbonnirt bei
Herrn Döring in der Sandjasse
und der verproviantirt mich mit
Almanachs und Romancher."

„Lesen Sie Goethe, Schiller, Tieck
und dergleichen?"

„Nee, das thu' ich nicht. Diese
Herrn machen schlechte Jeschäfte in
Frankfort; es will sie keen Mensch,
sie sind zu studirt, »ich natürlich
jenug. Nee, den Joethe lese ich nie
wieder! Das is was Langweiliges.
Und seine Wohlverwandtschasten!
Ich werde roth, wenn ich nur daran
denke; wisse» Sie, die Szene in der
Nacht, wo der Baron zu die Baronin,
— ach, man kann's jar nicht sagen,
und jedes stellt sich vor. . ."

„Ich erinnere mich. Aber es liegt
gerade in diesem Gedanke» eine er-
staunliche Tiefe — ein Chaos von
Möglichkeiten . . ."

„Nu, kurz, den mag ich »ich; aber
wer mein Liebling ist, das is der
Clauren. Nee, dieses Leben, diese
Farben, dieses Studium des Her-
zens und namentlich des weiblichen
Jemüthes, ach, cs is etwas Herr-
liches. Unddabeisonatürlich! Wenn
mir die andern alle Vorkommen wie
schwere vierhändige Sonate» mit tie-
.fen Baßpartien, mitzierlichen Solos,
mit Trillern, die kein Mensch nicht
verstehen und spielen kann, so wie
der Mozart, der Haydn, so kommt
mir der Clauren akkerat vor wie ein
anjenehmer Walzer, wie ein Hops-
walzer oder Galopp. Ach, das Tanzen
kommt einem in die Beene, wenn man
ihn liest; es ist etwas Herrliches!"

Dieser Clauren — es steckte hinter
dem Pseudonym ein Herr Hofrath
Heun! — war der heißbegehrte Autor
jener Tage, die Wonne der gnädigen
Frau wie ihrer Kammerkatze. Das
„lesende Publikum" lechzte nach
seinen süßen und rührend-frivolen
Sächelchen; sie leckten sich nett ein
und kitzelten nicht minver angenehm;
denn saß die Tugend darin obenan,
so war doch auch sanfter Geilheit
ihr Recht gelassen. Der Herr Hof-
rath verstand sich auf den Kniff,
sentimentales und lüsternes Zeug ge-
schickt zu mische», und er hatte damit
den gleichen Erfolg wie Kotzebue.
Den elendeil Schmierer zu züchtigen,
veröffentlichte Hauff unter dessen
Namen einen Roman: „Der Mann
ini Monde oder Der Zug des
Herzens ist des Schicksals Stimme",
Claurens Mache so täuschend vir-
tuos in jeder Richtung nachahmend,
daß man glaube» konnte, die Arbeit
sei vom wirklichen „Meister". I»
einer Kontroverspredigt rech-
nete er sodann ab mit Clauren und
der Claurenschaft; als Text lag ihr




Der Ucfttenftem.

Mdtmunu von Emil £rU.

zu Grunde eine bekannte Stelle aus
dem Evangelium Matthäi: „Da
baten ihn die Teufel und sprachen:
Willst du uns austreiben, so er-
laube uns, daß wir in die Säue
fahren. Und er sprach: fahret hin!
Da fuhren sie in eine Herde Säue;
und siehe, die ganze Herde stürzte
sich ins Meer und ersoff." Dem
Herrn Hofrath wurde die Jacke flott
ausgeklopft und seinen Verehrern
die Meinung gesagt. Aber so wuch-
tig auch der Schwabenstreich ge-
führt war, den schlechten Geschmack
schmetterte er nicht darnieder. Heun-
Clauren hatte auch ferner seine
Jünger und wir — haben sie auch
noch; die Rasse ist zähe. Erstünde
Hauff aus der Gruft, er würde fin-
den, daß es in diese» Dingen „un-
tröstlich ist noch allerwärts". Es
sind ja nicht blos Partei- und charak-
terlose Blätter, welche den Raum
unter dem Striche der Dreck- und
Syrup-Belletristik willig überlassen;
nein, auch solche, die im Leitartikel
fortschrittlich schnauben und Bil-
dung „voll und ganz" für die Masse
fordern, haben ein erbärmliches
Feuilleton: wie dieses verdirbt und
entnervt, erwägt man lange nicht
genug. Uebrigens versprach sich auch
Hauff nicht Wunder von seinem
Vorgehen. „Meine Zuhörer", schloß
er restgnirt, „ich habe also vor Euch
gesprochen, weil ich nicht anders
konnte. Ich habe nicht auf Dank,
nicht auf Lob gerechnet; die Menge
ist vielleicht so tief gesunken, daß sie
nicht mehr an solche Worte glaubt,
meine Stimme verhallt vielleicht in
dem tausendstimmigen Hurrah, wo-
mit man in diesem Augenblick einen
frischen Strauß „Vergißmeinnicht" *
empfängt. Doch wenn meine Worte
auch nur ans Einem Antlitz jene
Rothe der Scham aufjagten, die wie
die Morgenrölhe der Bote eines
schöneren Lichtes ist, wenn auch nur
zwei, drei Herzen entrüstet sich von
i h m abwenden, so habe ich für mein
Bewußtsein genug gethan! Weiß ich
doch, daß es in diesen Landen noch
Männer giebt, die mir im Geiste
danken, die mir die Hand drücken
und sagen: Du hast gedacht wie
wir! Amen. . . ."

Bei der Kritik blieb Hauff nicht
stehen; der spitzen Feder entflossen
einige Novellen von eigenartigem
bunte» Reize: Die Bettlerin
vom Pont des Arts, Die letz-
ten Ritter von Marienburg,
Das Bild des Kaisers,
Othello, Die Sängerin und
endlich Jud Süß, zu dem er den
Stoff aus dem Schachte der heimi-
schen Geschichte heraufholte, aus der
Zeit, in welcher das Württemberger
Ländle unter Sultans- und Wncher-
wirthschaft sich schmerzvoll wand.
Ein glücklicher Fund, den er glück-
lich gestaltete. Der Jude ist treu,
doch unbefangen gezeichnet; die Anti-
semiten könnten daraus was lerne»,
wenn es ihnen ums Lernen zu thu»
wäre. Auf die Schätze des vater-
ländischen Grundes und Bodens war

* Titel eines Claurenschen Almanachs.
 
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