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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0241
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Hauff durch Walter Scott gelenkt worden; im
ersten Kapitel seines „Lichtenstein" schrieb
er mit stolzem Selbstgefühl:

„Haben vielleicht die Berge von Schottland
ein glänzenderes Grün als der deutsche Harz,
der Taunus und die Höhen des Schwarz-
waldes? Ziehen die Wellen des Tweed in lieb-
licherem Blau als der Neckar und die Donau,
sind seine Ufer herrlicher als die des Rheins?
Sind vielleicht jene Schotten ein interessanterer
Menschenschlag als der, den unser Vaterland
trägt, hatten ihre Väter ein rötheres Blut
als die Schwaben und Sachsen der alten Zeit,
sind ihre Weiber liebenswürdigeil, ihre Mäd-
chen schöner als die Töchter Deutschlands?
Wir haben Ursache, daran zu zweifeln."

Hauff selber betitelte den „Lichtenstein", —
welcher nach Notier von entschiedenem Einfluß
auf Viktor Scheffel war — „romantische Sage",
und ein streng schulgerechter historischer Roman
ist derselbe wirklich nicht in jedem Stücke. Allein
wen zieht dies Gemälde mit dem satten Kolorit
und dem poetischen Goldglanz darauf nicht
mächtig an? In die Ereignisse des Kampfes
zwischen dem Herzog Ulrich und dem Schwä-
bischen Bunde ist eine unendlich anmuthige
Liebesgeschichte eingewoben. Das Schicksal des
jugendlichen Helden Georg von Sturmfeder
und seiner Trauten, deren Vater jenem im
Felde gegenübersteht, weckt warme Antheil-
nahme des Gemüthes. Ebenbürtig den Szenen
des städtischen Lebens sind die des Kriegslagers
gezeichnet. Drollige Gesellen grüßen aus dem
letzteren - wir begegnen ihnen auch in Schillers
Wallenslein — und köstlich ist ihr Geflunker.
Da prahlt einer der Landsknechte, da von den
Schweizer Söldnern die Rede ist:

„... Dat well ich man och meenen. Landsknechte
oder keener können den Heertog wieder eup den
Stuhl setzen. Die Schweizer können man gar
nichts, als mit den Hellebarden in die Glieder
stechen; dat ist all ihre Kunst. Aber ihr solltet
man sehen, wie wir die Donnerbüchsen laden,
uf die Gabel lege» un mit dem Lunden drauf,
dat dich dat Wetter; dat Manäfer macht
uns keener nich nach; Gott straf mir, keener.
Sie brauchen eine halve Stunde, um ihre
Kugeln loszuschießen, und wir Landsknecht eine
halve Viertelstund. .. ." Und da ein Bote des
Herzogs meldet, die wackeren Landsknechte
sollten sich nur dem Herzog anschließen, er-
zähle gerne den bedungenen Preis, brüllt eine
der Gurgeln: „Oanto oaoramsllto! daz ist ein
frommer Herr! Een Goldgülden dez Monats
und täglich vier Maaz Wein! Er zoll leben!"

Wer Vergangenes preist, ist unweise, sagt
der Prophet. Hauff ist auch kein Rückwärts-
schauer, der thöricht rückwärts denkt und ob
Entschwundenem, Verlorenem greinen möchte.
Ihm gewährt es vielmehr Trost, ans alte, ge-
sunde, markige, unbillig vergessene Volksthum
zu erinnern, auf seine Keime und Kräfte hin-
zuzeigen. seine Gestalten aufleben zu lassen.

der Gegenwart zum Genuß, zur Erbauung und
zum Sporn. Und wie er ein feines Auge für
alte Bilder und Bräuche hatte, erlauschte
er auch die alten Sprüche und Scherze und
Lieder. Wo sind nicht schon sein „Morgenroth,
leuchtest mir zum frühen Tod" und „Steh'
ich in finstrer Mitternacht", zwei von ihm
nmgedichtete Weisen, erklungen?

Das lyrische Gepäck Hauffs war bescheiden;
seine Gedichte füllen etwa dreißig Seiten. Der
„Schwester Traum" und „Mutterliebe" zeugen
von innigem Gefühl, einige Nummern athmeu
freiheitlichen Sinn, wie er in der Studenten-
schaft damals herrschte; es fehlt auch nicht ein
„Trinklied", das in den Strophen austönt:

So haben immer wirs gehalten.

Und bleiben jürder auch dabei.

Es mag die Welt um uns veralten.

Wir bleiben ewig jung und neu.

Denn wird einmal der Geist uns trübe.

Wir baden ihn in altem Wein,

Und ziehen mit Gesang und Liebe
In unfern Freudenhimmel ein.

Wein, Weib und Gesang sind drei gewaltige
Noten der deutschen Musik. Gegen das Ende
des vorigen Jahrhunderts sind der ersteren un-
versöhnliche Feinde erstanden, deren Reihen
stetig wachsen. Ob ihren Fahnen zuletzt der
Sieg wird, ob das Wasser über den Saft
der Rebe triumphirt —, wer will da entschei-
den? Ist doch so viel möglich geworden, was
anfangs für unmöglich betrachtet wurde.
Schwerlich aber dürfte ein Dichter der Absti-
nenz je seine heilige Sache mit so göttlichem
Humor besingen, wie Hauff den Wein in seinen
Phantasien im Bremer Rathskeller be-
sungen hat. Sie sind kein forcirtes, papierenes
Lob auf den Trunk überhaupt oder gar auf den
garstigen Suff, — sie sind ein Hymnus auf die
reinen, edeln, feurigen Tropfen, die an den
Ufern des Rheines quellen, ein Hymnus zu-
gleich aufs gediegene Zecherthum:

„. .. Seht Ihr denn nicht, wie er eingießt in
den grünen Römer, wie er das herrliche Blut des
Apostels mir darreicht? Gleich dunkelrothem
Golde blinkt es im Glase. Als ihn die Sonne
aufzog auf den Hügeln von St. Johannes, da war
er blond und helle; ein Jahrhundert hat ihn
gefärbt. Welche Würze des Geruches! Welche
Namen leg' ich dir bei, du lieblicher Duft, der
aus dem Römer aufsteigt? Nehmet alle Blüthen
von den Bäumen, pflücket alle Blumen in den
Fluren, führt Indiens Gewürz herbei, besprengt
mit Ambra diese kühlen Keller, löst den Bern-
stein in bläuliche Wölklein auf — mischet aus
ihnen alle die feinsten Düfte, wie die Biene
ihren Honig aus den Blumen saugt, die wie
schlecht, wie gemein, wie unwürdig gegen die
zarte Blume deines Kelches mein Bingen
und Laubenheim, gegen deine Wohlgerüche
Johannes und Nierenstein von 1718. . . ."

„Wo find sie hin, die Gespielen der Kind-
heit, die Genossen jener goldenen Tage, wo

kein Rang, kein Ansehen gilt; Grafen und
Barone dienen ... an Höfen als Kammerherren;
arme Teufel pilgern als Handwerksbursche
durchs Reich, das schwere Bündel auf dem
Rücken, ohne Schuhe an den Füßen, haschen
nach Pfennigen aus dem Kutschenschlag, die sie
mit dem vom Regen gebräunten Hut künstlich
aufzufassen missen; und die Liebe drückt sie oft
noch schwerer als das Bündel auf dem Rücken.
Andere Kameraden, Seelen, die sich in der
Schule durch geordneten Fleiß in Humanioribus
hervorgethan, sitzen jetzt schon auf einer Pfarre,
im Schlaf- oder Chorrock bei der Frau Liebsten.
Andere sind Amtleute, Apotheker, Referendare
und dergleichen, und nur wir beide, ausschweifend
aus dem gewöhnlichen Gang der Dinge, sitzen hier
im Keller und thun uns gütlich im Weine. Und
was sind denn wir Absonderliches geworden?
Doktor? Das kann Jeder werden, der vernünftig
genug ist, eine Dissertation zu schreiben."

„Doch ich trinke das vierte Glas, Seele. Das
vierte! Fühlst du nicht einen gewissen Nexus
zwischen dem Weine und der Zunge? zwischen
der Zunge und dem Gaumen? Hier, behaupte
ich, ist ein Scheideweg und daran ein Wegeweiser
aufgestellt. Nämlich auf der einen Seite steht:
Weg nach dem Magen. Eine breite fahr-
bare Straße; es geht so schnell, so glitschend
bergab! daher auch der gemeinere Stoff gewöhn-
lich diesen Weg nimmt. Der andere Arm des
Zeigers heißt: In den Kopf. Dahin ziehen
die Geister, die sich schon im Faß lange genug
bei dem schnöden, gemeineren Stoff gelangweilt
haben, und jetzt, da sie freien Lauf nehmen
können, schielen sie nach dem Wegezeiger rechts
hinauf. Während die Masse links hinabströmt,
steigen sie aufwärts und finden sich im Wirths-
haus zur Zirbeldrüse wieder zusammen. Es find
friedliche, verständige Leute, diese Geister. Sie
erhellen dein Haus, o Seele, so lange ihrer vier
oder fünf beisammen sind; nachher möchte ich
für nichts stehen, denn sie raufen sich dann
und treiben allerhand Unfug im Gehirn."

Am Schluß seiner Einleitung zu den Schriften
von Kurz bemerkt Paul Heyse:

„Eine nachhaltige, den Tod überdauernde
und mit den Jahren zunehmende Werthung wird
nur dem Künstler vergönnt, der, was er schuf,
nicht aus dem Kitzel eines blos artistischen
Vermögens, eines einseitigen Talentes, sondern
aus der Fülle seiner Persönlichkeit als eine
Offenbarung seines innersten menschlichen Ker-
nes hervorbrachte." Die Charakteristik trifft
zu auch für Wilhelm Hauff, der uns obendrein
theuer bleibt ob der mannhaften Sinnes-
weise, die ihn „zur Feier des 18. Junius" die
Hoffnung ausdrücken ließ, ein künftig Ge-
schlecht werde den Druck abschütteln und den
politischen Bann im Reiche brechen, doch „nicht
durch Völkerzwist und Waffenruhm".
Das Ziel ist noch unerreicht; wir nahen ihm
langsam, Schritt für Schritt. -a. -g.
 
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