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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0263
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Veihnachtsüöerraschung.

ri

-Dies ist üer Cag,
tlen Sott gemadjt!*

von Clara Müller.

U

üud wieder ist’s zur UUeibnacbtszeit.

Durch meine Seele schleicht ein träum
Hon wundersamer Herrlichkeit,

Uom goldumstrahlten Cichterbaum.

Der Kindheit Zauber spinnt mich ein,
mit seiner töne siisser Pracht
Umflutet mich das Jubellied:

„Dies ist der tag, den Gott gemacht!“

„Den Gott gemacht“ —: ein Glockenton
Durchirrt die Eüfte weich und lieb
„Den Gott gemacht“ - : ein Sturmwind pfeift
Durch (Hinfernacht wie Schwerteshieb.

„Den Gott gemacht!“ - ein Lache» gellt
Durch all die tust und schluchtzt und weint....
Aus einer Hütte komm’ ich her,
ln die kein Strahl der Gnade scheint.

Gisblumen blüh’n am Fensterglas,

Die (Hände glitzernd, feucht, berusst;

Huf dürftigem Stroh ein sieches (Heib,

Das Kind an abgezehrter Brust;

Der Mann auf harter Ofenbank

Mit stierem Blick, mit dumpfem Sinn ...

Die Liebe, die sie einst verband,

Im Glend starb sie längst dahin.

Im Glend starb sie, wie das Paar
Hon Menschenknospen, jung und frisch,

Das Mädel, braun und tannenschlank,
Der Knabe, blond und träumerisch.

(Hie jauchzten sie zur Sommerszeit!

(Hie senkten sie die Köpflein mild',

.Hls in des (Hinters harter Doth
Ihr Cebensflämmchen matt verglüht_

Und gestern trug man sie hinaus
Im schwarzen Sarg aufs weisse Feld;

Kein Strahl der Liebe leuchtet mehr
1» dieses Jammers enger (Heit.

Und drüben blitzt im Herrenschloss
Das Lichtmeer auf, die (Heihnachtspracht,
Und brausend klingt das Jubellied:

„Dies ist der Lag, den Gott gemacht!“

Zwei Rosenknospen welkten hin
Und starben in des (Hinters Bann,

Die dritte seufzt nach Duft und Eicht,

Dass sie zum Lenz erblühen kann.

Der neue Heiland geht und weint

Und findet keiner Krippe Raum_

(Hann grau st du, Lag. den Gott gemacht?
(Hann wirst du (Hahrheit, (Heihnachtstraum?

Die alten Griechen nannten beit Menschen
„den Aufwärtsschauenden", nnt ihn von allem,
was sonst ans Erden kreucht und fleucht, zu
unterscheiden. Hätte Herr Sekretär Kielwnrm
damals schon gelebt, als die griechische Sprache
erfunden wurde, so wäre vielleicht im Hinblick
auf ihn ein anderes Wort gewählt worden;
denn ihn hatte Mutter Natur mit einem großen
Talent zum Kriechen begabt. Sein Studium
waren vor allen Dingen die Wünsche, Launen,
Eigenheiten und Schwächen seiner Vorgesetzten.
Er verfehlte auch nie, seine Kollegen auf etwaige
Fehler aufmerksam zu machen, wenn gerade
der Herr Bureauvorstand in der Nähe war.
Daher brachten ihm die Kollegen nicht die zärt-
lichsten Gefühle entgegen, und Kielwurm sollte
dies auch einmal gründlich erfahren.

Er hatte in Elbing einen Schwager, von
dem er sich häufig ein Kistchen geräucherter
Aale oder Flundern schicken ließ, die er: dann
mit mäßigem Gewinn an seine Kollegen abließ.
Die Adresse des Elbinger Schwagers war da-
durch im Bureau bekannt geworden. Niemand
aber wußte, daß auch der Expedient Schulze
einen Freund in Elbing besaß, der bereit war,
bei einer Schandthat gegen Kielwurm Beihilfe
zu leisten. Hätte dieser geahnt, welch schwarze
Seele in Schutzes Busen wohnte, er hätte
sicher nicht kurz vor Weihnachten dem Herrn
Kanzleirath hinterbracht, daß der junge Mann
während der Bureaustunden dem verbotenen
Genüsse von bayerischem Bier fröhue.

Schulze hatte seinen Rüffel vom Herrn Kanzlei-
rath äußerlich mit Zerknirschung, innerlich aber
mit höchst unchristlichen Rachegefühleu in Em-
pfang genommen. Er ging nach Bureauschluß
in den nächsten Kramladen, um dort verschie-
dene Dinge einzukaufen, die sonst nicht in die
Interessensphäre junger Beamten gehöre». Dann
ging er nach seiner Wohnung, wo er sich ein-
schloß. Nach einer Stunde eilte er zum Post-
amte, wo er ein unförmliches Packet auflieferte.
Es war am Tage vor Weihnachten Mit-
1 Uhr. Herr Sekretär Kielwurm stand
seiner geliebten Gattin am Küchentische und
beide bewunderten ein zierliches, ganz neues
Füßchen, welches die entzückende Aufschrift:
„Echt Astrachaner Caviar" trug. Der treue
Schwager hatte es zum Weihuachtsfeste geschickt
mit dem kurzen Wunsche: „Wohl bekomm's"
auf der Begleitadresse. Da kam es plötzlich
über den Herrn Sekretär wie eine Erleuchtung !
„Marie", begann er, „ich habe eine glorreiche
Idee! Den Caviar hat der Himmel eigentlich
nur für Feinschmecker geschaffen und ich weiß,
daß der Herr Kanzleirath sich gern einmal
recht nach Herzenslust daran laben würde.
Ich werde ihm dieses Füßchen als Weihnachts-
gabe übersenden. Eine Dienstzulage ist mir
dann auf alle Fälle sicher, meinst Du nicht
auch?" Frau Marie meinte natürlich auch,
nachdem sie sich mit der dem weiblichen Ge-
schlechte in solchen Fällen eigenthümlicheu
Geistesgegenwart auf Rechnung der Dienst-
zulage einen neuen Frühjahrshut und zwei
Majolikavasen für den Salon eidlich halte zu-
sichern lassen. Das Füßchen ging also ab.

Mit Schmunzeln hatte der Kanzleirath die
SpendeinEmpfanggenommen.DerWeihnachts-
 
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