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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 19.1902

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https://doi.org/10.11588/diglit.8186#0265
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- . 3922

Heickmma von *R. .^erbtle.

Die Nottzieiüenüen.

von Mephisto.

¥

Qe, Johann spann die Gäule an
Und mach' dich in die Stadt,

Fahr zu deni braven Biedermann,
Der Sekt und Austern hat.

Und spricht der Uerl von Schulden
— Man kennt ja das Geschmeiß —
So sag', er soll sich gedulden,

Die Schweine steigen im Preis.

Mit Gott für Uönig und Vaterland
So lang es uns gefällt,

Nun hat man endlich doch erkannt,
Daß wir die Herrn der Welt;
wir sind es, die regieren,

Und gut ist's, daß man's weiß,

Nur nicht den Math verlieren —

Die Schweine steigen im Preis.

Hurrah, wir sind gerettet,

Es lebe der Lausekanal!

Hätt' keinen Thaler verwettet,

Nun kommt's mit einem Mal.

So'n halbes Tausend Flaschen
Standesgemäß ans Eis .. .

Es klimpert in den Taschen,

Die Schweine steigen im Preis.

Ob das Gesindel hungert,

Das macht uns wenig aus,

Die freche Bande lungert
Auch sonst um unser Haus,
was kann's dem Pöbel schaden,
Brennt ihm der Hunger heiß —
wohlauf, stoßt an, Uameraden,

Die Schweine steigen im Preis!

Craum eines reichen und
frommen vrommcherers.

(Frei nach Schillers „Räuber".)

Personen: Der Brotwucherer. Daniel, sein Diener.

(Finstere Nacht.)

Brotwucherer: Bleib'! Setz'Dich neben mich
auf diesen Sopha! — So — Du bist ein gescheiter
Mann, ein guter Mann. Laß Dir den Traum
erzählen.

Daniel: Jetzt nicht, ein andermal! Ich will
Euch zu Bette bringen, Ruhe ist Euch besser.

Brotwucherer: Nein, ich bitte Dich, laß Dir
erzählen und lache mich derb aus! — Siehe, mir
däuchte, ich hätte ein königlich Mahl gehalten und
mein Herz iväre guter Dinge und ich läge berauscht
im Nasen des Schloßgarkens und plötzlich — es
war zur Stunde des Mittags — plötzlich, aber
ich sage Dir, lache mich derb aus!

Daniel: Plötzlich!

Brotwucherer: Plötzlich traf ein ungeheurer
Donner inein schluinnierndes Ohr; ich taumelte
bebend auf und siehe, da war mir's, als sehe ich
aufflammen den ganzen Horizont in feuriger Lohe,
und Berge und Städte und Wälder wie Wachs
im Ofen zerschmelzen, und eine heulende Winds-
braut fegte von hinnen Meer, Himmel und Erde
— da erscholl's wie aus ehernen Posaunen: Erde
gieb deine Todten, gieb deine Todlen Meer! Und
das nackte Gefilde begann zu kreisen und aufzu-
iverfen Schädel, Rippen und Kinnbacken und
Beine, die sich zusammenzogen in menschliche Leiber
und daherströinten unübersehlich, ein lebendiger
Sturm. Damals sah ich auswärts und siehe, ich
stand am Fuße des donnernden Sina, und über
mir Gewimmel und unter mir und oben auf der
Höhe des Berges auf drei rauchenden Stühlen
drei Männer, vor deren Blick floh die Kreatur.
Da trat einer von ihnen hervor, der hatte in der
Hand eine eherne Wage, die hielt er zwischen Auf-
gang und Niedergang und sprach: Tretet herzu,
ihr Kinder von Adam — ich wäge die Gedanken
in der Schale meines Zornes und die Werke mit
dem Gewicht meines Grimmes. Schnecbleich
standen Alle, ängstlich klopfte die Erwartung in
jeder Brust. Da war mir's, als hörte ich meinen
Namen zuerst genannt aus den Wettern des
Berges und mein innerstes Mark gefror in mir
und meine Zähne klapperten laut. Jetzt begann
die Wage zu klingen, zu donnern der Fels und
nun zogen sie endlos heran, bleich, verhungert,
hohläugig gleich Skeletten, zuerst ausgcmergeltc
Weiber mit dürren Armen, grainverzerrten Ge-
sichtern und welken Brüsten, viele von ihnen trugen
ein verhungertes Kind im Arm und alle deuteten

aus mich und jede warf einen Stein in die links-
hängende Schale, in die Schale der Schuld, dann
erschienen viele tausend abgemagerte Männer, sie
hoben ihre Fäuste wie zum Fluche gegen mich
und alle warfen von Neuem einen Stein in die
Wage, Nun näherten sich Weiber und Männer
gefesselt mit schweren eisernen Keilen, die sie gegen
mich schüttelten, daß es weithin schauerlich hallte
und klirrte. „Wir haben nur aus Noth gefehlt,
nur aus Noth uns am Eigenthum Anderer ver-
griffen, D u bist daran schuld", rief der Vorderste,
lind dann streiften sie ihre Fesseln ab und
schleuderten sie unter furchtbaren Verwünschungen
auf die Steine in der Schale der Sünde. Sie
wuchs zu einem Gebirge an, aber die andere,
voll vom Blute der Versöhnung, hielt sie noch
immer hoch in den Lüften. Zuletzt kam — jetzt
aber lache mich recht fest aus — zuletzt kani also
ein Mann mit seinem Weibe und vier Kindern.
Ihm strömte Blut aus den Schläfen, seiner Frau
aus dem Herzen, seinen Kindern aus der Stirne.
„Ich habe mich und die Meinen aus Elend ge-
mordet, Flnch über Dich!" schrie er mir zu. Dann
griff er in seine Wunde, zog eine Kugel heraus und
warf auch sie in die Schale. Nach ihn: kam das
Weib und nach diesem drei Knaben, sie alle holten
das Todesgeschoß hervor und thaten dann wie
der Vater. Aber als letztes Kind kroch ein
Säugling heran, dem hatte der Schuß den ganzen
Schädel zerschmettert und nein griff der kleine
Wurm in das offenliegende Gehirn, zog mit
blutigen Fingerchen die Kugel heraus und legte
sie in die Schale der Schuld. Da gab diese einen
Klang von sich wie eine riesige Todtenglocke,
langsam sank sie zum Abgrund und die Scbale
der Versöhnung flatterte hoch auf. Nun schauten
alle die Millionen von Menschen, über mir, unter
mir, neben mir mit entsetzten Augen mich an,
ich fühlte förmlich den Abscheu, der aus ihnen
sprach, Eiseskälte kroch mir durch Mark und Bein,
mir war's, als sei ich der letzte der Menschen.
Und eine Stimme tönte aus dem Bauche des
Felsens: „Gnade jedem Sünder der Erde. Du
allein bist verworfen!" (Lange Pause.) Nun,
warum lachst Du nicht Daniel?

Daniel: Kann ich lachen, wenn mir die
Haut schaudert? o „

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