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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0019
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„Mir juckt et janz verflixt in die Hände — ick muß Eenen verhaften!"

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Ich grüße dich im Voraus schon mit Feuer,
Du schlichter, braver, wackrer Arbeitsmann,
Den auch ein wahrhaft Reichs- und Kaisertreuer
Ganz unbedenklich fürder wählen kann.

Die harte Faust, mau wird sie zärtlich schließe»
In weiße weiche Hände, schönberingt,

In deinen Hals wird man Champagner gießen,
Bis dir der Gurt um deine Hüften springt.

So grüß' ich dich, „Tribun des vierten Standes",
Auf den als Stütze die Regierung zählt,

Du bist die Hoffnuirg und der Trost des Landes,
Doch sag' ich eins: Wärst du nur erst geivählt!

In Gera hat das Schöffengericht einen Redakteur, der wegen Beleidi-
gung einer spiritistischen Schwindlerin augeklagt ivar, freigesprochen mit
der Begründung, daß die Presse nicht nur das Recht, sondern auch die
Pflicht habe, Mißstäude öffentlich zu rüge». Dieses Urteil ist so ver-
nünftig, erfreulich und lobenswert, daß es zweifellos in der höheren Jn-
ftniij — umgestoßen werden wird.

Wer nie sein Brot mit Zöllen aß,

Wen: nicht die ersten Daseinsrechte
Die Habgier seines Nächsten fraß,

Der kennt euch nicht, Jnteressen-Mächte!

Ein Arbeitskollege fragte mich neulich, was das heißt: „Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte?" Na, wenn Einer in den Adelsstand befördert
wird, sagte ich. Das ist doch klar! Jh, gctreuer Säge, Schreiner.

Agrarier und Diäten.

*-

Wir wünschen Glück euch ;u der späten
Erkenntnis der Notwendigkeit,

Uns auszustatten mit Diäten,

Ls war fürwahr die höchste Zeit,

Doch wenn bei Kaffee und bei Bemmchen
Man auch in Sachsen kann bestehn
Ls muß der Mensch mit zwanzig Lmmchen
Im Reichstag ja zu Grunde gehn!

Lin Trinkgeld nur! Und locker säß es
Zn unsrer Westentaschen Raum,

Das langt für ein saisongemäßes
Berliner bess'res Frühstück kaum!

Denn diese lumpigen paar Dreier
Verputzt man leicht auf einem Fleck
Für erste Spargeln, Kiebitzeier,

Für Austern und für Schnepfendreck,

Auch eine hübsche Rechnung bilden
Kann sich der Mensch in seinem Tran
Durch Kaviar, den grauen, milden,

Den Malossol von Astrachan,

Womit, so sagt uns, soll'n bestreiten
wir bei Kempinski das Diner?

Und unerhörte Schwierigkeiten
Entstehen Abends beim Souper.

Sei man ein musterhafter Gatte —

Man findet drum nicht minder nett
Die dreiste, vigilante Ratte,

Die muntre Kleine vom Ballet!

Und Sekt der Kleinen einzuschenken
- In dem Artikel ist sie stark —

Wie kann der Mensch an so was denken,
Hat er pro Tag nur zwanzig Mark?

I

Soll überall man bar berappen,

Und das verlangt das Publikum.

So gebt uns einen blauen Lappen

Für jeden Tag — als Minimum! r. l.

Lieber Jacob!

Del heilje Christfest verlebt jeder Jemietsmensch
jern am häuslichen Herde. Ooch die beriehiute
Pariser Familie Humbert, die sich seit bet Früh-
jahr iu't Ausland uffjehalten hat, is zu de Weih-
nachtsfeierdage au ihren Unterstützuugswohnsitz
zurückjekehrt un de Pariser haben de Nachricht
von die Rückkehr der Humberts mit eene Be-
jeisterung uffjenommen, wie man et sonst
bloß bei'» Jnzug von jekrönte Häupter an't
Brandenbnrjer Tor erlebt. Un dabei bringen sc
ihre Landsleite »ich mal wat mit von de Reise.
Von de siebzig Millionen, die se uff Jrnnd ihres
Wnnderkoffers abjehobcn haben, soll keen Fennich
nich mehr iebrig sind. Ick verstehe bloß dct eene
nich, warum de Pollezei dm Koffer durchaus
uffmachen mußte. Hätte se ihm znjelassen, denn
wäre keenen Menschen keen Schaden nich znje-
ficgt ivorden, de Familje Humbcrt hätte noch
jahrzehntelang in Frieden un Freiden leben kön-
nen, der Papst hätte ihr noch'» paarmal jesejnet
un et ivüre 'ne Menge Jeld unter de Leite je-
kommen. Nn is allcns zum Deibel, de Jleibijer
stehlen sich anlackiert un die jroße Therese saß
mit ihren Jebetbuch uff'n leeren Koffer untern
Weihnachtsboom.

Wie verschieden bloß de Menschen jebant sin!
De Humberts sehnten sich zu de Feierdage nach
Hanse, nn de sächsische Kronprinzessin, die et jar
nich neetig hatte, verlebte det Fest der Liebe mit
Hilfe von eenen französischen Sprachlehrer in't
Ausland, fern von ihren allerhöchsten Jatten un
die trauernde Kinderschar. Ick bejreife nich, wie
eener uff det Studium von't Französische so ver-
rickt sein kann. Sächsisch is doch ooch 'ne janz
scheene Sprache!

Bei uns jab et zu Weihnachten 'n Mords-
spektakel, der leider nich ohne jerichtliche Foljen
jeblieben is. In't Vorderhaus wohnt eene sehr
seine Familje Meyer — der Olle is Rentjeh nn
Mitjlied von de freisinnje Volkspartei —, die die
in Berlin verbreitete birjerliche Jewohnheit hat,
det se an 'n heilijcn Abend, teils um janz unter
sich zu sind, thcils um de Jeschenke zu sparen,
ihr Dienstmädchen nach eenen vorausjejangmen

Zank mit Hurra an de Luft setzt, Nachher wird
erst der Boom anjestochen un stille Nacht, heilje
Nacht jesungen. Ick habe diese birjerliche Feier nn
schon mehrere Jahre beobachtet, un ooch diesmal,
wie ick so jejeit sieben aus de Arbeet kontine, un
an Meyers Hintertüre vorbeidefiliere, höre ick in
de Kieche 'n mächtijen Krach un Uffstand, uic
schon fliegt de Türe uff nn Jette mir an den
Busen, so det ick janz versteert jejen de Wand pralle.
Bevor ick ihr noch recht an't Herz jeschlossen nn
nach ihrem Kummer jefragt hatte, war se bereits
unter Verivinschnngen uff de Straße entivichen.
Da ick mir jrnndsätzlich nie in fremde Anjelejen-
heiten mische, bejab ick mir schweijend in meine
Wohnung, wo ick in zeitjemäße erbauliche Be-
trachtungen ieber det Fest der Liebe versank. Aus
meinem Dussel erweckte mir plötzlich een jewal-
tijer Lärm. Obwohl ick mir sonst in fremde An-
jelejenheiten jrnndsätzlich nich mische, bejab ick mir
eilends an den Ort der Tat. Bor Meyers Hintcr-
türe stand Jette, init einem Schutzjeist bewaffnet,
dem se sich jeholt hatte, um ihre Sachen rans-
znbekommen, die se bei ihren plötzlichen nn un-
vermuteten Abschied aus den Meyerschen Famil-
jenkreis nich hatte mitnehmen kennen. Aus det
Innere von die Wohnung ertönte jrade 'n schöner
frommer Jesang, als Jette nn ihr Sicherheits-
orjan anfingen, an de Türe zu bullern. Mitten
in de stille Nacht, heilje Nacht stoppte der Wohl-
klang, de Türe wurde 'n bisken jeöffnet, un aus
eenen unnennbaren Topp erjoß sich eene ätzende
Flissigkeit uff de llneform von den Schutzjeist,
so daß die scheenen blanken Knöppe jlcich jrien
anliefen. Ick jloobte erst, det sollte 'ne Art
Jnlklapp sind, aber bald stellte sich heraus, det
et 'n Attentat war. Die frommen Sänger hatten
Jetten treffen wollen un aus Versehen det Ooge
des Jesetzes benetzt. Wejen diesen seichten Wcih-
nachtsjruß aus dem Schoße der Familje Meyer
soll ick nn als Oojenzeije vor Jcricht vernommen
werden, wat mir um so peinlicher is, als ick mir
in freinde Anjelegenheiten jruitdsätzlich nich mische.

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein je-
treier Jotthilf Ranke,

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.

wir ersuchen die I'arteigenvffen, eine recht krustige Agitation für den wahren jjacov zu entfalten,
\J « « « I'robennniniern werden auf vorhergehende Bestellung gratis und franko geliefert. • « «
 
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