Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0032
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3954

In der Rüdesheimer Weinstube sah ich stets
einen alten Herrn mit weißem Schnurrbart und
rothem Gesicht, der mit innigem Behagen seinen
Rheinwein schlürfte. Vielleicht ein pensionirter
Major oder ein Kouponabschneider, schätzte ich,
doch belehrte er mich eines Bessern, als ich eines
Tages mit ihm ins Gespräch kam.

„Es giebt noch Beschäftigungen", sagte er,
„mit denen man sich und anderen Menschen
Freude machen kann — und eine solche Be-
schäftigung habe ich mir erwählt."

„Wie", fragte ich, „Sie haben eine Beschäfti-
gung, einen Beruf?"

„Gewiß — ich bin Fabrikinspektor."

Ich machte ein erstauntes Gesicht.

„Ja, wissen Sie", erklärte er, „der Arzt hat
mir eine von Aufregungen und Anstrengungen
verschonte Lebensweise empfohlen, und als das
meine beiden Neffen erfuhren, die im Ministerium
beschäftigt sind, da haben sie mir die Anstellung
als Fabrikinspektor verschafft."

„Und besitzen Sie die dazu erforderlichen Kennt-
nisse?"

Der Gefragte that einen kräftigen Zug aus
seinem Römerglase und schüttelte lächelnd sein
Haupt.

„Allzu genaue Sachkenntniß trübt nur zu oft
den klaren Blick. Ich weiß, was ich zu thun,
oder vielmehr, was ich nicht zu thun habe, und
das ist in meinem Beruf die Hauptsache."

Ich bat um nähere Erläuterung dieses Aus-
spruches und er begann:

„Sehen Sie, vor Allem ist es nothwendig, daß
ich den Betrieben, die meiner Aufsicht unterstehen,
möglichst fern bleibe. Die Unternehmer haben
es nicht gern, wenn man seine Nase in Alles
hiueinsteckt, und warum soll ich die Leute ärgern,
sie thun mir ja auch nichts zu Leide. Na, ge-
legentlich muß man doch einmal vorsprechen —
da melde ich mich natürlich vorher an; ein un-
verhoffter Besuch ist ja meist unwillkommen,
namentlich in meinem Fache! Der Fabrikbesitzer
empfängt mich dann in zuvorkommendster Weise
Sie glauben nicht, wie höflich und liebens-
würdig diese Leute sind — wir setzen uns zum
Frühstück nieder, rauchen nachher eine gute
Zigarre, und dabei erzählt mir der Mann Alles,
was ich zu wissen brauche."

„Aber auf diese Weise wird doch nie ein Ar-
beiter Gelegenheit finden, eine Beschwerde bei
Ihnen anzubringen."

„Soll er auch gar nicht", sagte der Alte leb-
haft. „Sie glauben gar nicht, wie unangenehm
das ist, wenn sich ein Arbeiter über etwas be-
schwert. Ich kann dem Manne nicht helfen, und
wenn ich den Fabrikleitern von der Beschwerde

Mittheilung mache, dann bekommt er noch Ver-
druß; wenn ich aber den Namen des Beschwerde-
führers nicht nenne, dann faßt der Fabrikbesitzer
einen Groll gegen mich, und das muß man doch
vermeiden."

„Und wenn ein Arbeiter direkt mit Beschwerden
zu Ihnen in die Wohnung kommt?"

„Ja dann", sagte der gemüthliche Zecher mit
einem leisen Seufzer, „dann nruß ich eben sehen,
wie ich mit ihm fertig werde. Gewöhnlich sage
ich ihm, daß die Sache auf dem Wege der Gesetz-
gebung geregelt werden dürfte, sobald wieder
durchgreifende sozialresormatorische Entwürfe vom
Bundesrath vorgelegt werden. Das kann man
ja ruhig versprechen, denn das erleben wir Alle
nicht. Will er sich damit nicht beruhigen, so
suche ich ihn vom Thema abzulenken, zeige ihm
meinen photographischen Apparat und schließlich
photographire ich ihn. Was kann er noch mehr
von mir verlangen?"

„Sie könnten doch den Beschwerdcfall in Ihren:
Jahresbericht erwähnen?"

„Aber ich bitte Sie", rief der Fabrikinspektor,
„ivem würde ich damit eine Freude machen?
Dem Minister gewiß nicht, dem Unternehmer
noch weniger. Und der Arbeiter liest den Bericht
vermuthlich gar nicht."

„Wie verhalten Sie sich, wenn Lohnbewegungen
in Ihrem Bezirk auftrcten?"

Der Alte that einen tiefen Zug aus seinem
Glase und sah mich von der Seite an, als ob
er meinte: „Was der Mensch dumm fragen
kann!" Dann sagte er bedächtig:

„Wenn der Arbeiter mehr Lohn haben will,
so hat er ganz Recht, denn wer möchte nicht gern
seine Einnahmen erhöhen; und wenn der Be-
triebscigenthümer weniger zahlen will, so hat er
auch Recht, denn wer giebt gern mehr aus, als
unbedingt nöthig? Ich weiß aber, daß in Geld-
sachen die Gemächlichkeit aufhört, und ignorire
daher solche Zwischenfälle grundsätzlich."

„Aber Sie halten doch strenge Aufsicht dar-
über, daß die Schutzvorrichtungen gegen Unglücks-
fälle überall richtig angebracht werden? Und
wenn Sie einer Vernachlässigung auf die Spur
kommen, dann machen Sie unnachsichtlich An-
zeige?"

„Na, na", meinte er, „so schroff darf man
nicht gleich vorgehen. Wenn ein Unglück ge-
schehen soll, so geschieht es eben doch, und schließ-
lich - wir haben ja die Unfallversicherung; der
beschädigte Arbeiter bekommt seine Rente — wel-
cher andere Mensch ist in der Lage, so im Hand-
umdrehen Rentenempfänger zu werden?"

Ich warf dem Manne einen forschenden Blick
zu. Nein, er war nicht boshaft, seine Aeußcrung

entsprang lediglich dem Bestreben, jeder Sache
die angenehmste Seite abzugewinnen.

„Und wenn ein Verunglückter auf der Stelle
gctödtct wird?" warf ich ein.

Jetzt umwölkte sich seine Stirn, auf der sonst
olympische Heiterkeit thronte. „Ach, reden Sie
nicht vom Sterben", sagte er. „Sterben müssen
wir ja leider Alle; es steht nur das Wann und
Wie in Frage. Aber können Sie sich einen schöne-
ren Tod denken, als mitten im freudigen Schaffen
bei Ausübung eines nützlichen Berufs schnell
und ahnungslos abgerufen zu werden?"

Ich kannte keinen schöneren Tod, und ich
äußerte, daß durch Zufall auch ein Fabrik-
inspektor, der mangelhaft geschützte Betriebe be-
sucht, einen solchen schönen Tod erleiden könne.

„Meinen Sie?" fragte er beinahe ängstlich.
„Dann werde ich die gefährlicheren Betriebe in
Zukunft lieber gar nicht mehr inspiziren."

„Aber Sie sagten ja selbst, es sei der beste
Tod-"

„Ach, ich muß nicht vom Besten haben —
wenigstens nicht immer", bemerkte er und be-
stellte eine frische Flasche Rheinwein — von:
besten.-

Aus dem nächsten Fabrikinspektorenbericht er-
sah ich, daß im Bezirk meines braven Alten
Alles in schönster Ordnung und nirgends eine
Klage laut geworden war. Es wunderte nnch
daher gar nicht, daß amtliche Mittheilungen ver-
kündigten, er habe das allgemeine Ehrenzeichen
für treue Pflichterfüllung erhalten.

U

Der Köhler im Harze.

(Siehe nebenstehendes Bild.)

Der Whler an dem Meiler fleht
Und schürt ihn wohlgemulh;

Cs leuchtet durch den grünen Tann
Der Flammen rolhr Glukh.

„Du darfst verlöschen nimmermehr",
Spricht ernst er in den Brand,

„Und prassle nur da drinnen fort
Zum Segen für da» Fand.

„Und wie in diesem Weiler tief
Die Flammen immer sxrühn,

So wird in meines Volkes Her;

Die Freiheitsflamme glühn.

Knechtschaft und Elend wird vergehn
In solcher großen Gluth,

Und kommen wird rin Nuferstehn —
Wein Feuer, brenne gut!" w. b.
 
Annotationen