Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
3964

Zeichnung von Nob. Langbein.

Mtrbelwtnö. -— Lin Traumbild.

Der Maronimann.

Lin Interview von Max Litelberg.

Man weiß, welche bedeutenden Opfer an
Geld und Zeit man oft bringt, uni eine inter-
essante Persönlichkeit interviewen zu dürfe»,

— selbst auf die Gefahr hin, daß am nächsten
Tage alles dementiert wird. Da ist mir neu-
lich ein solches Interview ohne jegliches Anti-
chambrieren und gegen Entrichtung von baren
sechs Hellern — ich würde sagen: in den
Schoß gefallen, wenn ich nicht während der
ganzen Unterredung aufrecht gestanden hätte.
Um den geirannten Betrag kaufte ich mir nämlich
eines Abends „heiße Maroni"*, und verzehrte
dieselben an Ort und Stelle, zugleich ei» Wie-
dersehen nach zweijähriger Trennung feiernd.
Ich kannte den Alten an der Ecke seit vielen
Wintern, und jedesmal pflegte er mir, wenn
ich an seinem Oefchen vorbeikam, unter irgenv
einem etwas marktschreierisch klingenden Scherz-
worte seine gebratenen Kastanien anzubieten.

„Wo der Herr denn nur hin is, - Hab' ich
'dacht scholl nach Paris . . begrüßte er mich
auch am letzten Abend im singenden Tonfall,
die schwarzberußten Hände taktmäßig hin- und
herbewegend. Sein struppiger Bart lvar in-
zwischen fast grau geworden. Die Mütze aus
einer undefinierbaren Fellsorte halb über die
Ohren gezogen, mit lustig blinzelnden Augen,
einen groblcinenen Sack als Fußwärmer und
das fürsterzbischöfliche Palais als Rückenlehne,

— so saß er auf seiner Butte wie seit un-
denklichen Zeiten. Im Nu war unsere alte
Freundschaft erneuert. „Wo waren S'denn im
vorigen Winter?" fragte ich ihn teilnahmsvoll.

„Ja, — hat mich der Herr denn nicht ge-
sehn —? — drüben am Graben . . . Hab'
meinen Standplatz verloren gehabt... 's hat
wer dem Magistrat gesagt, ich bin schon ge-
storben . . .!"

„Ja woher hat er denn das gewußt?"

„Aber gar net. . .! G'logeu hat er, und jetzt
bin ich da und er hat kein Platz! Wird mich
doch der Magistrat nicht wegschicken, wo ich schon
seit'm einundstebziger Jahr' Steuern zahl'...!"

„Was, — Sie sind schon seit dem Jahre 1871
hier ansässig?"

„Mehr no, Herr, seit'm »eunundfünfz'ger
Jahr! Aber da Hab i uo kan Kreuzer Steuern
zahlt! Da war i z'erst drüben, grad vis-ä-vis,
da hat's no ka Brandstätt'n** geb'u, und der
Hausmeisterin von durten Hab i fünf Guld'u

* Frisch geröstete Kastanien.

** Bekannte Wiener Straße.

für den ganzen Winter geb'n und da hat s'
mir den Ofen hinstell'n lassen. Ja, wir kennen
uns schon lang. . .! Alle Tag' gehts an mir
vorüber, sunst ist lauer mehr auf der Welt,
alle sau scho' g'storben. . .!"

„Wer hat Sie denn eigentlich heraufgebracht,
von daheim mein ich. . .!"

„Na, von Steiermark nuffi bin ich 'kommen,
ganze Gesellschaft von Kameraden, hab'u ma
Brot g'sucht. Und fürs Erst bin ich drüben
an der Eck' g'sessen, sechs Jahre laug, für an
Italiener. Hab' i acht Guld'n 's Monat
'kriegt. Erspar» Hab' ich mir nix könne»!
Aber mir is alleweil gut 'gangen, Not Hab
i nia g'litt'n, — und sitz' jetz siebenundreißig
Jahr' au demselben Plntzl. . ."

„Und im Sommer —"

„Na, da arbeit' ich in Dornbach drauß am
Feld, krieg' ich 40 Kreuzer täglich . . . und die
Kost! Hab' ichs besser als hier, gnä' Herr...!
Gestern Hab' ich nur sechsunddreißig Kreuzer-
Losung g'habt. . .!"

„Sitzen Sie Sonn- und Feiertag da?"

„Müssen mi do eh' seh'n, gnä' Herr . . .!
Und Hab' ich alleweil zum Herrgott bet', daß
ich kein'» Rheumatismus erwisch' . . ., weil
der Wind da so scharf daher blast ums Eck . . .
A andrer war' scho längst krank word'n. . .
Aber mir machts nix. . . i bin frisch und
g'sund! Ja das kommt davon, weil ich schon
von Kind auf da sitz . . ."

„Und waren Sie niemals auf einer Unter-
haltung? In keinem Theater?"

„Aber nia nix . . . Gnä' Herr! Um sieben
in der fruah komm' i her und bleib da bis
spät auf d' Nacht . . .!"

„Und haben Sie nie mit einem Mädel . . ."

„Nie was — bis i g'heirat' Hab'!"

„Sie haben eine Frau: Hier in Wien?"

„Na, in Steiermark. . . Im Frühjahr komm'
ich auf ein' ganzen Monat z'Haus. Und meine
Kinder haben a fort müssen wia i, zivei sau
in Amerika, a Bua is in Budapest. Das letzte
Mal Hab i s' vor dreizehn Jahr g'sehn, aber
i möcht's glei wiederkennen. . . ."

Ein paar junge Schulmädchen gingen vor-
über. Rasch nahm er eine Handvoll Maroni
und hielt sie ihnen, nach seiner Gewohnheit,
singend und lachend entgegen. „Kaufen S'
schöne Fräuln heiße Maroni . ..!" Auf meinen
etwas verwunderten Blick entschuldigte er die
Vertraulichkeit: „Aber ich kenn' doch die Leut'
hier wie 's dnrchg'schlagene Geld. . ." und
ließ sich in seiner Anrede an die Straßen-
passanteu nicht stören.

Ich sah den Alten noch öfter, zu jeder
Tageszeit und Witterung, im größten Schnee-
gestöber und bei eisigstem Frosthauch, auf seinem
Posten ausharren, mit steifen Fingern die
Kastanien auf den Rost legend. Aber find ich
eines Morgens seinen Platz leer, daun lasse
ich zum ewigen Gedächtnis eine steinerne Tafel
anbringen mit de» goldenen Lettern:

„Hier, an dieser Ecke, hatte seinen Stand-
platz der Maronibrater Johann Petermann.
Von seinen Kindesbeinen angefangen bis in
sein Greisenalter übte er an dieser Stelle
seinen Beruf aus und erlangte schließlich eine
hervorragende Fertigkeit darin, Maroni zu
brate» und sie den Vorbeigehenden auzubieten.
Seine Ansprüche au das Leben waren: von
Rheumatismus verschont zu bleiben und ein
Minimalverdienst von 35 Kreuzern den Tag.
Ein gütiges Schicksal hat seine Wünsche glän-
zend befriedigt. Er überlebte die österreichische
Verfassung, zwei Dutzend Regierungen und
neun Wiener Bürgermeister nebst einem Fürst-
erzbischof. Ihn verzehrte kein anderes Streben
als das, mit musterhafter Pünktlichkeit seine
Steuern zu entrichten. Dies gelang ihm auch
vollständig. Er sah sein Weib kaum einen
Monat im Jahr. Sein Familienleben war
daher ein ungemein glückliches. .Unbekümmert
um das Lärmen und Treiben bewahrte er sich
die ivunschlose abgeklärte Ruhe des Weisen,...
Für ihn hatte weder „Goethe geschrieben" noch
„Schiller gedichtet", und die Burgmusik war
die einzige, die an sein Ohr tönte. Er sah
Tausende und Zehutauseude an sich vorüber-
gehen oder in glänzenden Karossen dahinsausen
und er fragte nicht, warum er denn sein ganzes
Leben lang auf seiner Butte sitze» mußte.
Hetzer und Wühler hatten keine Macht über
sein Herz. So blieb er Zeit seines Daseins
ein stilles treues Glied der Gesellschaft, und
da er die Augen schloß, beweinten ihn seine
Gattin in Steiermark, seine Tochter in Brook-
lyn, sein Sohn in Ungarn. . . Geht hin und
thuet desgleichen!"

Die Kosten des Denkmals wird mir hoffent-
lich der Staat ersetzen. Denn es wäre ein
ungemein verdienstliches Werk.. . .
 
Annotationen