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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0214
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4142 - •

Das Jtteö von 6er Waötgtocke?

f^ort ihr vom Turm die Glocken heulen?
Lebt wohl denn, Weib, Knecht, Magd

und Kindl

Ich kann mich länger nicht verweilen,
Die Uhr ist zehn, die Wahl beginnt.

Munter fördert feine Schritte
Zu dem Wahllokal der Bürger.
Unentwegte Liberale,

Und des Zentrums
partgestirnte, fchwarze Scharen
Kommen brüllend,

Mit Papier die Urne füllend.

Schwer herein
Schwankt ein arger,

Stark besoffener Agrarier.

Das Klofettor schließt sich knarrend.

In den Topf wird ausgenommen,

Was der Umschlag keusch verhüllt —
Doch was wird zu Tage kommen?
Wird des Bürgers Wunsch erfüllt?
Kriegte sein Mandat
Der Kommerzienrat?

* Eugen Richter hat in der „Freisinnigen Zeitung"
den Vorschlag gemacht, bei den künftigen Reichstagswahlen
den säumigen Bürgern durch Läuten der Kirchenglocken den
Beginn und Schluß der Wahlhandlung bekannt zu geben.
Friedrich Schiller, der zu seinem Bedauern diese Ver-
wendung der Glocken noch nicht kannte, sendet uns aus dem
Elysium die obigen Verse als Ergänzung seines „Liedes von
der Glocke" zu.

ßebupft wie gesprungen.

Der Ultramontanismus führt in der Erzdiözese Breslau unter
Hopp in vcrslecklcr Weise einen ganz ähnlichen Kampf gegen
die Simultanscbule wie unter Komm.

„Der Horum ist freilich ein Zelot
Und schlüge am liebsten die Ketzer tot;

Der Kopp ist hingegen andern Geblütes,

IDilden, versöhnlichen Gemütes,

Lasst Andersgläubigen ihre Rubel“

£t cetera! 0 lasst das Getue!

]br harmlosen Seelen, lasst das Geschwätz —
lUisst ihr denn nicht: Ratz bleibt Katz?
wisst ihr denn nicht: sie lässt nicht vom mausen
trotz aller toleranter Nansen,
hier lässt sie offen die Krallen schauen
Und dort verhüllt sie fürsichtig die Klauen.

hier wo man glaubt, man kann sicb’s erlauben,
Schwingt die Kirche das Schwert mit Droben und

Schnauben;

Dort bisst sie freundliche Sriedenswimpel
Jür die harmlos-gutmütigen Gimpel.

Schwarz ist Schwarz — nennt es sich auch Rot,
Rom bleibt Rom, Zelot bleibt Zelot!

Pfaffenbeit bleibt Pfaffenbeit!

6s ist dieselbe Beschaffenheit,

So' rum oder so ’rum 1

Kopp oder Komm! verus.

Äus Sachsen.

Die Fraktion der königstrenen sächsischen Reichs-
tagsabgeordneten hielt vor kurzem eine vertrau-
liehe Sitzung ab. Nachdem der Vorsitzende Graese

Ach, vielleicht, indem wir hoffen,
pat uns Unheil schon getroffen!

Sieben ist's und von dem Dome —
Allen Säum'gen zum Verdruß —

Tönt die Glocke:

Wahlaktsschluß!

Ernst begleiten ihre Trauerschläge
Zwei verspätete Rentiers auf ihrem Wege.

Ileiß'ge Vorstandshände regen,
pelfeu sich in munterm Bund,

Und mit freudigem Bewegen
Wird der Zettel Inhalt kund.

Wohltätig ist des Wahlrechts Macht,
Wenn der Prolet ohu' Niedertracht,
Gehorsam, bieder, fromm und still,

So wählt, wie es fein Brotherr will.
Doch furchtbar wird die Pimmelskraft,
Reformbedürftig, lückenhaft,

Sobald der Sklav' und niedre Knecht
Der eignen Meinung sich erfrecht.

Gefährlich ist's, den Leu zu wecken,
verderblich wirkt die Eholera,

Jedoch der schrecklichste der Schrecken
Ist, fvas uns heute hier geschah!

Aus der Urne — pöll' und Tod! —
Strömt es rot!

die Sitzung eröffnet hatte, erteilte er dem Ab-
geordneten Graefe das Wort. Dieser wies in
einer glänzenden oft durch Beifallsstürme unter-
brochenen Rede nach, daß es vor allem gelte, die
Fahne der Loyalität hochzuhalten. Frenetischer
Jubel begleitete seine Worte aber, als er darlegte,
daß die Zahl der königstreuen Abgeordneten in
stetem Wachsen begriffen sei. Nach ihm sprach
noch der Abgeordnete Graefe, worauf der Vor-
sitzende Graefe die Sitzung mit einem Hoch auf
den König schloß, in welches der Abgeordnete
Graefe begeistert einstimmte. 8c.

Achtung!

Nein armes Volk, die neuen Lteuern,

Die du geahnt, sie drohen dir;

May will dir wiederum verteuern

Das Gläschen Lchnaps, das Gläschen Vier.

Und wieder braucht man neue Truppen,

Und welchen Trost wohl bringt man dir?
Ls kochen breite Bettelsuppen
Die Pfaffen freundlich dir dafür!

Sicherem Vernehmen nach haben die europäischen
Potentaten beschlossen, eine größere im Mittelmeer
gelegene Insel anznkanfen, wo sie vollkommen ge-
schützt und ganz unter sich sind. Die europäischen
Völker sehen der Verwirklichung dieses Planes mit
großer Sympathie entgegen.

Eine medizinische Entdeckung.

Der pommersche Arzt Or. Berndt hat sich um die
Wissenschaft ein unsterbliches Verdienst erworben.
Seine epochemachende Entdeckung, die uns eine
ungeheure Gefahr für unsere Volksgesnndheit

Wehe, weh', die stolzen Reihen
Unsrer staatserhaltenden Parteien
Sind gelichtet!

Alles rennet, rettet, flüchtet!

Pfaffen wimmern
Unter Trümmern.

Pört ihr's wettern, keifen, kreischen?

Das ist Eugen!

von den Seinen

Wählt' man keinen! — —

Einen Blick
Nach dem Grabe
Seiner Pabe

Wirft der Bürger noch zurück.

Dann spricht er froh mit stolzem Munde:
Gings mir auch diesmal schändlich schlecht -
Ein süßer Trost wohnt noch tut Perzen:
Uns blieb ein Arzt für unsre Schmerzen,
Uns blieb der Doktor Giesebrecht!

Darauf greift die stinke Linke
purtig in das Portemonnaie,

Und in Giesebrechtens pinke
Wirft sie flugs der Märker zwee.

Jetzt nicht viel gefackelt!

Seht, das Wahlrecht wackelt!

Töne, Glocke, uns zum Streite,
Staatsstreich sei dein erst Geläute! j. s.

enthüllt hat, muß an Bedeutung mindestens
der Entdeckung der Röntgenstrahlen gleichgestellt
werden.

Er hat gezeigt, daß die Arbeitslöhne von einer
gewissen Höhe an gesundheitsgefährlich wirken.
Scharfsinnig hat er den Nachweis dafür geliefert,
daß ein Arbeitslohn von monatlich 25 Mark die
Menschen für einen bis jetzt unbekannten Krank-
heitserreger (Bazillus) empfänglich macht. Die
Folge des Eindringens dieses Bazillus in den
Körper ist der Ausbruch der Faulfettkrankheit,
die, ivenn sie sich verbreitet, zu einer der schreck-
lichsten Geißeln der Menschheit zu werden droht.

Das Reichsgesundheitsamt wird nicht umhin
können, sich mit der neuen Entdeckung zu be-
schäftigen. Die Sache ist sehr ernst, und man
darf sich nicht durch .den vaterlandsfeindlichen
Hohn der Sozialdemokratie irre machen lassen,
welche in ihrer Presse die Frage aufgeworfen
hat, wie viel Faulfett dann ein Einkommen von
monatlich 2500 Mark ans Renten und Dividenden
Hervorrufen könne. Man weiß ja, daß die Sozial-
demokratie eine Feindin der Wissenschaft wie der
Kultur überhaupt ist.

Bereits ist auch eine Anzahl edelherziger Kapi-
talisten zusammengetreten, die auf ihre Kosten
llntersuchnngen anstellen lassen wollen, wie weit
der Lohn herabgesetzt werden muß, um unser
arbeitendes Volk vor der schrecklichen Faulfett-
seuche zu bewahren. Dem Herrn Dr. Berndt
wollen einige für das Wohl des Vaterlandes be-
geisterte Menschenfreunde einen Lehrstuhl für Ar-
beiterhygiene übertragen wissen, und sie wünschen,
daß ihr Anliegen im preußischen Landtag zur
Verhandlung gelangt. Eugen Ricktter will dafür
wirken, daß bis zum Zeitpunkt dieser Verhandlung
noch keine Sozialdemokraten in den preußischen
Landtag eingedrungen sind. h. f.
 
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