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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 21.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.6365#0027
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„Mr kriegen dich doch — trotz deines goldenen Uäfigs!"

Inr Vorort,
v

Frülzwinteriiacht. Sprühregen stäubt
Durch vorortstraßeil stumm und leer;
Ein leises, dumpfes Donnern treibt
Der Nachtwind nur vom Bahndamm her.
Durch blätterlose pappelreihn
Die blassen Nebel brau'n und ziehn —
Im Osten loht's wie Feuerschein:

Da liegt Berlin.

wie Feuerschein die ganze Nacht!

Der Menschheit Niesen scheint vertauscht,
wie Hab' ich oft, vom Traum erwacht,
Das ferne rote Licht belauscht!

Das sang mir durch die Zeit der Ruh
Die Mär vom ewigen Widerstreit,

Den Lockruf aller Lüste zu —

Und singt das alte Lied vom Leid.

Und durch den roten Dämmer schau'n
Mich irre Augen heischend an:

Im Federhut erlosch'ne Frau'n,

Im EpheuKranz der trunk'ne Mann;
Und Rinder, zitternd, frostdurchbebt, —
Das stöhnt und kichert, schluchzt und braust:
Und aus dem Hexensabbat hebt
Sich hammerhart die Arbeitsfaust!

Frühwinternacht. Der Regen sprüht
Durch Vorortstraßen tot und leer;

Ein funkelnd Höllenauge, glüht
Das Haltsignal vom Bahnhof her.
Durch blätterlose pappelreihn
Die nächtigen Nebel westwärts ziehn - -
Im Osten flammt's wie Irührotschein:
Das ist Berlin! sin™ snan«.

Die Vernunftehe.

Er: Du bist doch nicht etwa eifersüchtig mif
mich?

Sie: Dazu habe ich feilte Veranlassung —
aber ich meine, daß du mein Geld auf eine an-
ständigere Weise ansgeben könntest.

Die Ursachen der „-Landflucht".

Herr von Podbiclski, der preußische Landwirt-
schastsminister, hat einem Or. Heiser-Harttung
ein Stipendium bewilligt, um dessen Forschungen
über die Motive der Landflucht zu fördern. Pod's
Schützling hat nun von etwa zweihundert Land-
arbeitern Antworten auf einen von ihm aus-
gegebenen Fragebogen erhalten, doch werden so-
ivohl Fragen ivie Antworten ängstlich geheim ge-
halten. Der bekannte günstige Wind setzt uns in
die Lage, aus dent Fragebogen des Arbeiters Gott-
lieb Wilhelm Schulze folgendes mitzuteilen:

Erste Frage: Warum fliehen Sie eigentlich
das Land? — Antwort: Weil ich glaube, daß
auch meine Zukunst auf dem Wasser liegt.

Zweite Frage: Ist Ihnen vielleicht der Mist
au und für sich zuwider? — Antwort: Durch-
aus nicht, nur der Dreck, in welchem unsere
Sozialreform stecken geblieben ist.

Dritte Frage: Welche Lockungen der Groß-
stadt ziehen Sie ani meisten an? — Antwort:
Die Aussicht, mich hie und da sattessen zu können.

Vierte Frage: Was verdienen Sie bei acht-
stündiger Arbeitszeit auf dem Lande? — Ant-
wort: Überhaupt nichts, iveil es so etwas dort
gar nicht giebt.

Fünfte Frage: Wie stellen Sic sich das
Leben in der Großstadt vor? — Antwort: Das
wird Ihnen mein Herr von Stritzow besser be-
antworten können.

Sechste Frage: Genießen .Ihre Kinder auf
dem Lande etwa eine ungenügende Schulbildung?

— Antwort: Herrn von Stritzow genügt sie
vollkommen; ja, er hält sie sogar für sehr gut,
denn er läßt auch seine Hühner und Schweine
am Unterricht teilnehmen.

Siebente Frage: Interessiert Sie vielleicht
das Ballet besonders und lieben Sie Champagner-
gelage? — Antwort: Da muß ich mal erst
meine Alte fragen.

Achte Frage: Lieben Sie sportliche Veran-
staltungen, Lawutennis, Fußball und dergleichen?

- Antwort: Nein, denn ick lasse mir mit so'nem
lausigen Ball nich vor'n Bauch stoßen. Li.

Macht der Gewohnheit.

„Herr Doktor, der Zustand meiner Frau gefällt
mir gar nicht, seit acht Tagen hat sie ihre gewohnten
Gardinenpredigten vollständig eingestellt. Wenn
ich noch so spät heimkomme, spricht sie kein Wort!"

„Seien Sic doch froh, mein Bester! Es kann
Ihnen doch nur angenehm sein, wenn sie sich
still verhält."

„Aber wenn sie nicht redet, kann ich nicht eiu-
schlafen, Herr Doktor!"
 
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