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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 21.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.6365#0057
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• . 4280

Noch tönen mir im Ohr die Hochzeitglocken,

Noch seh' ich deutlich die bewegte Schar

Geleiten unter jubelndem Frohlocken

Den Naumann und den Barth zum Traualtar.

wie leuchtete zu jener sel'gen Stunde

Die Zukunft euch in ros'gem Hoffnungsstrahl,

Denn seinen Segen gab zu eurem Bunde

Der reiche Ohm, das heil'ge Kapital. >

Ihr botet Trotz der gegnerischen Hatze,

Ihr lachtet ob des feindlichen Krakeels,
llnd salbtet froh die liberale Glatze
Mit ein'gen Tropfen sozialen Öls.

Doch während ihr die junge Brunst euch kühltet,
Lies ab der Liebe trügerische Uhr:

Denn das, was ihr für eine Ehe hieltet,
war leider eine Eheirrung nur.

. V'''-

Bald blickte scheel zu eurem jungen Bunde
Der strenge Onkel, der die Gelder gab —

Denn seinem Herzen schlugt ihr eine Wunde,
Grubt selber töricht eurer Liebe Grab,
wie konntest, Naumann, du auch sowas wagen?
Gesteh' es selbst, es war recht wenig schlau,

Mt derbem Tritt zu treten vor den wagen
Des Onkels Freundeskreis in Crimmitschau!

Noch gestern throntet ihr aus stolzem Hoffe,

Heut' hockt ihr da, verspottet und blamiert.

Das Scheidungsurteil sprach der grimme Moste,
Da heißt es Maul gehalten und pariert. —

Doch tröstet euch: ihr armen Zwitterwesen,

Ihr taugtet nicht zu eh'lichem Verein;

Behüt euch Gott, es war' zu schön gewesen,
Behüt euch Gott, es hat nicht sollen sein! ,T.S

(Sntil Rosenow f

Stfjou wieder hat der Lad einen Vorkämpfer des
deutschen Proletariats in den Reihen unserer Reichstags-
fraktion dahingerafft! Am 7. d. M. starb ihr jüngstes
Mitglied Lmil Rosenow, der Vertreter des 20. säch-
sischen Wahlkreises Zschopau-Marienberg, noch vor Voll-
endung des 33. Lebensjahres. Am 9. März \87\ in
Köhl a. Rh. geboren, besuchte er die dortige Volks-
schule und widmete sich dann dem kaufmännischen Be-
ruf. Bereits mit \7 Jahren schloß er sich der sozial-
demokratischen Bewegung an und trat in die Redaktion
unseres Kölner Parteiblattes ein. Am l. Mai H892
wurde er Redakteur des „Chemnitzer Beobachters", die
er sieben Jahre lang inne hatte. Seine Tätigkeit brachte
ihm nicht nur sechs Monate Gefängnis ein, sondern auch
das echt sächsische Polizeigebot, seinen Aufenthalts-
ort Chemnitz nicht zu verlassen. Die sächsische Polizei
verfügt ja vor wie nach über ein besonderes Ausnahme-
gesetz: bestrafte Personen nach russischem Mujter zu
internieren. ^898 sandte ihn der 20. sächsische Wahl-
kreis in den Reichstag, ebenso ^903.

Da er sich der schönen Literatur widmen wollte, zog
er im Herbst ^900 nach Berlin. Zur freudigen Über-
raschung seiner Freunde verkündete im vergangenen
Jahre der Theaterzettel in Breslau, daß Rosenow eine
sünfaktige Komödie „Kater Lampe" verfaßt habe.
Sie schildert humorvoll und satirisch das Leben im säch-
sischen Erzgebirge, das ihm ja zur zweiten Heimat ge-
worden war. Ähnlich wie Hauptmanus „Biberpelz" ver-
spottet die Komödie den kleinlichen Polizeigeist und
schildert die Rot und Entsagung der armen Lrz-
gebirgler!

Der lebhafte Beifall, den die Komödie fand, machte
sie zu einem Repertoirstück deutscher Bühnen.

Das war endlich ein Lichtpunkt in dem Leben Rose-
nows, der bisher mit dürftigen materiellen Verhältnissen
zu kämpfen hatte. And — welch tragisches Geschick! —
gerade diese besseren Lage brachten ihm den Tod. Seit-

dem er in behaglicheren Verhältnissen lebte, stellte sich
ein böser Gelenkrheumatismus bei ihm ein, der Rosenow
vor einigen Wochen auf das Krankenlager warf und ihn
am Sonntag den 7. Februar hinwegraffte.

Die Partei trauert über den Verlust Rosenows, von
dem sie noch so manche tüchtige Arbeit erwarten konnte!
Sie wird ihm ein dauerndes Andenken bewahren.

Konstitutionell.

Deutschland zählt, wie männiglich bekannt.
Zu den konstitutionellen Staaten;

Doch am schönsten sind im Preußenland
Die Verfassungs-Tarantien geraten.

wirklich ist's das Volk, das mitregiert.
Seinem willen muß sich alles fügen —
Darum ließ man auch so ungeniert
Jenen ,Lauskanal° ins Wasser fliegen.

Darum hat man flugs den Zolltarif
Dhne Hirlefanz erweckt zum Leben —
weil das Volk nach wucherzölleu rief
Mußte die Regierung sich ergeben.

Darum läßt man die Dreiklassenwahl
Unberührt in ihrer Schönheit Hülle,
weil durch dieses Mittel allzumal
Ular zu Wort erst kommt des Volkes Wille.

wer dies alles noch nicht wissen sollt',
Der mag horchen aus die schönen Worte,
Die entfleußen, klar wie eitel Told,
Staatsministern jetzt an jedem Vrte.

Ja, soweit der Uorb aus Silberdraht
Nicht der Exzellenzen Mund verschlossen,
Dröhnen rings im preußisch-deutschen Staat
Worte — Worte — Worte — unverdrossen.

„wir befehlen", heißt es, „ihr pariert!
Die Verwaltung liegt in unfern Händen!
,Konstitutionell' seid ihr regiert,

Und bei diesem Wort hat's sein Bewenden!"

8. 8.

Das Koalitionsrccht der Kiaalsarbeiter
hat Freund Legien kürzlich im Reichstag sehr
warm verteidigt und insbesondere dem Zentruni
zu bedenken gegeben: „Fürchten sie etwa zum
Beispiel einen Eisenbahnerstreik? Was würde es
denn schließlich schaden, wenn einmal der Eisen-
bahnbetrieb eilt paar Stunden stillstände?"

Das wäre allerdings nicht so arg. Aber es gibt
doch noch andere Staatsarbeiter als nur die Eisen-
bahner. Welche allgemeine Erbitterung würde nicht
sofort entstehen, wenn zum Beispiel einmal ein
Streik der Sienerexekutoren ausbräche! Will Ge-
nosse Legien der Bevölkerung vielleicht zumuten,
sich die Pfandsiegel selbst auf die Möbel zu kleben?

Welchen Umfang die Ansrcgung des Volkes
über die Möglichkeit eines Staatsarbeiterstreiks
bereits angenommen hat, kann Legien noch aus
einer uns kurz vor Redaktionsschluß zugegangenen
Anfrage des Studiosus Pump aus München er-
sehen, der in Angst darüber ist, daß auch den
Gcldbriefträgern am Ende das Streiken erlaubt
werden könnte? Es scheine ihm, als wenn so
etwas im Werke sei, denn bereits seit sechs Wochen
werde der Geldbrieftrügerzuzug von seiner Woh-
nung serngehalten! Unter diesen Umständen
werde ihm wohl niemand verübeln, wenn er
möglichst bald Streikbrecher herauzuziehen suche.

- Pic.

Die kleinen Garnisonen.

Im Reichstag Herr v. Einem spricht:
„Ein zweites Forbach gibt es nicht."
Mir Sachsen glvvm das gerne,

Denn mir Hain unser Verne.* rrz.

* Pirna. _^_

ökmüüicß.

Russischer Student lauf dem Polizeib„rea»>:

Ich habe eine Vorladung erhalten — wird irgend
eine Auskunft von mir gewünscht?

Kriminalbeamter: Durchaus nicht! Ich
habe Sie für diese Stunde nur vorgeladcn, da-
mit inzwischen der Schutzmann Ihre Wohnung
ungestört nach verdächtigen Schriften durchforschen
kann... Sie können schon wieder gehen!
 
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