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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 21.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.6365#0227
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• 4452

211111 Bremer Parteitag. m>

willkommen, ihr Boten des BolUesI
Aus Jedem deuffchen Sau
Vadt ihr euch heute verlammelt
Zur roten üeeresfchau.

2u raten und zu richten
Seid ihr hieher gesandt
willkommen, ihr Boten des Volkes,
willkommen am lveferffrand!

wir bau'n aus euch und hoffen,
Daß euch der alte Seift
Auch Heuer lenkt und leitet,

Sen rechten Pfad euch weist,
wir vau'n aus euch und hoffen,
Saß ihr uns vorwärts fuhrt,

Im Proletarierherzen
Die rote flamme schürt.

Macht, daß aus eurem Kreise
Vas rechte Wort erklingt,

Vas Wärme in die Kerzen,

Ucht in die Köpfe bringt;

Macht, daß die Millionen,

Sie freudig euch vertrau'n,

Zufrieden eures Mähens
fruchtreiche ferne fchau'n.

Und führen auch eure Wege
vurch Dorneu und Sefträuch,

Ihr Werver und Waffenmeister,
voran, wir folgen euch!
wir folgen eurem Banner
Ins goldene Zukunftsland
willkommen, Boten des Volkes,
willkommen am weferffrand!

ver wahre lacob.

Bremen.

Den Besuchern des Parteitages stellen wir
folgende orientierenden Notizen über den Schau-
platz ihrer Tätigkeit zur Verfügung.

Die Stadt Bremen macht auf den Fremden
sowohl landschaftlich als politisch einen in gleichem
Maße befriedigenden Eindruck. Sic ist sehr schön
an beiden Ufern der Weser gelegen; die beste
Aussicht genießt man auf der Altmaunshöhe, die
beste Einsicht im Nathanse. Die Stadt war früher
im Reichstag irrtümlicherweise durch einen Frei-
sinnigen vertreten, doch wurde der Irrtum bei der
letzten Wahl ans allseitigen Wunsch berichtigt.

Bremen ist, gleich dem antiken Rom und Athen,
eine Republik. Die sämtlichen, schon im Alter-
tum gefeierten republikanischen Tugenden —
Wahrhaftigkeit, Aufopfernugsfrendigkeit, Todes-
verachtung und Tyrannenhaß — finden sich noch
heute in konzentriertester Form bei der Blüte der
Bürgerschaft, den Bremer Kommerzienräten, vor.

Als die Hauptsehenswürdigkeiten Bre-
mens gelten der Ratskeller und Roland, der
Ries'. Der Ratskeller beherbergt das Heiligtmn
der strenggläubigen Bevölkerung, die zwölf Apostel.
Von diesen werden hier nicht nur, wie an anderen
Wallfahrtsorten, einzelne Reliquien aufbewahrt,
sondern man hat sie in ganzer Figur zu erhalten
gewußt. Leider sind ihre irdischen Hüllen durch
heftige Entleerungen für Andachtszwecke stark
entwertet worden. Roland, der Riese, galt in
alten, barbarischen Jahrhunderten als das Sinn-
bild bürgerlichen Freiheitsinnes. In unfern auf-
geklärten Zeiten, wo man weder au Niesen noch
an bürgerlichen Freiheitssinn glaubt, hat er nur
noch den Wert einer antiken Kuriosität.

Für die Bequemlichkeit der Partcitags-
abgeordnete» ist selbstverständlich in jeder Hin-
sicht Sorge getragen morden. Da die Stadt ein
für sozialdeiuokratische Versannnlnngcn geeignetes
Offizierskasino zurzeit nicht besitzt, wird der Partei-
tag im Kasino ans den Häfen stattfindcn. Sollte
sich im Laufe der Verhandlungen das unabweis-
bare Bedürfnis Herausstellen, diesem oder jenem

in besonders gründlicher Weise den Pelz zu waschen,
so empfehlen sich die in der Wollwäscherei zu
Burg-Lesum tätigen Fachmänner als sachkundige
Exekntoren. Im übrigen ist Bremen der größte
Tabaksmarkt der Welt. Diejenigen Genossen,
welche bei ihren Polemiken eine Vorliebe für
starken Tobak haben,.finden also hier reichliche
Gelegenheit, sich mit Material zu versehen.

Aber auch die Umgegend Bremens hat ihre
eigenartigen Reize. Wer sich von dem Glück und
Wohlstand des deutschen Vaterlandes überzeugen
will, der benutze die Gelegenheit zu einem Aus-
flug nach Bremerhaven, wo alljährlich Tausende,
dankbaren Gemüts der Segnungen der Heimat
gedenkend, sich zur Auswanderung nach Amerika
einschiffen. J. s.

Der moderne Han Sebastian.

Mirbach wird jetzt von allen Seiten migegnssell,
aber er siihit sich nicht getroffen.

„weißt du, wieviel..

Weißt du wieviel Schutzleut' stehen
Jährlich Wacht am ersten Mai?

Weißt du wieviel Spitzel gehen
Tag und Nacht an dir vorbei?

Ach, man kann sie nimnier zählen,
Wollt man noch so sehr sich quälen,
Allzu groß ist ihre Zahl.

Weißt du wieviel Rubel rollen
Nur in einem einz'gen Jahr?

Wieviel Jahr noch ducken wollen
Teutsche Männer sich vor'm Zar?

Ach, wer wollt die Zahl verkünden.
Niemand kann sie je ergründen,

Wäre selbst er Rechnungsrat.

Weißt du wieviel Bankiers sitzen
Schattigkühl und wohlgehegt?

Wieviel Geld in Rirchturmspitzcn
Lukrativ ward angelegt?

Ach, wer mag die Zahl ergründen,
Mirbach selber kann's nicht künden,
Und der weiß doch mancherlei.

Weißt du wieviel böse Suppen
Bäterchen uns eingebrockt?
welche Masse Marmorgruppcn
Stolz in uns'rer tzauptstadt hockt?

Ach, du kannst es nicht erraten,

Allzuviele Heldentaten

Wurde» stets bei uns vollbracht, s.s.
 
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