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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 21.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.6365#0321
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4546

Michels Weihnachten.

Und wieder hat ein Jahr inr Kreise
Der Monde seinen Lauf vollbracht,

Und wieder naht das Fest der Liebe,

Die gnadenreiche Meihenacht.

Dom Kirchturm Hallen Glockentöne
Und melden, daß zu dieser Frist
Zu Betlehem im Land Judäa
Der Heiland uns geboren ist.

Zweitausend Jahre sind verflossen,

Seitdem die große Botschaft kam,

Daß jetzt das ew'ge Reich des Friedens
Auf Erden seinen Anfang nahm.

Und Millionen gläub'ge Kerzen,

Sie träumen noch den schönen Traum,

Noch immer schmückt mit frommem hoffen
Der gute Michel seinen Baum.

Dumpfbrütend hockt in tiefem Sinnen
Der also reich beschenkte Mann
Und kraut sich zweifelnd hinterm Ohre
Und sieht sich die Bescherung an;

Und in das perz des stets Zufriednen
Schleicht sich ein bitteres Gefühl:

„wie lange treibt noch diese Sippe
Mit mir ihr frevelhaftes Spiel?

Ein andres Häuflein lieber Gönner
Beschert dem Biedermann zum Lohn
Für unentwegt bewies'ne Treue
Die Reichstagswahlrechtsrevision.

Drei neue Korps bringt ihm der Eine,
Man sieht, wie Michels Antlitz strahlt,
Der Zweite schenkt ihm hundert Panzer —
Die Rechnung ist noch nicht bezahlt.

pereroköpfe, alt' auch junge,

Beklebt mit Gold- und Silberschaum,
Die hängt ein Dritter unserm Michel
Froh schmunzelnd an den Weihnachtsbaum;
Und neue Zölle, neue Steuern
Als Julklapp fliegen durch die Tür —
Dem Michel graust's vor all den Gaben,
Er schiebt geschwind den Riegel für.

„wie lange wird im Namen Gottes

Die gnadenreiche Weihnachtszeit

Durch dies Gezücht von frechen Gauklern,

Durch heuchlerischen Trug entweiht?
wie lange währt es, bis dem Volke
Anbricht in Herrlichkeit und Pracht
Das Fest des Friedens und der Liebe —

Die erste wahre weihenacht?" j. s.

So oft ihn auch fein Posten trügte,

Der wackere blieb unbeirrt
Und harrt auch heut' geduld'gett Sinnes,
was man ihm wohl bescheren wird.
Denn siehe, zu dem Fest der Liebe
Versammelt sich der Gönner Schar
Und bringt mit frommen Segenswünschen
Dem Michel ihre Gaben dar.

Der Junker, den sein Fronen mästet,
Der schenkt ihm mit vergnügtem Sinn
Den größten aller Schweineschinken —
Mit etlichen Trichinen drin.

Ein herzerfrischend Angebinde
Kommt aus dem stillen Plötzensee:

Es sendet ihm drei Dutzend Kirchen
Der wolle spinnende pofbankier.

Russische Verfassung.

Ls sprach ein russischer Staatsmann
Deveinstens das große Wort:

„wir haben den Despotismus
Gemildert durch Meuchelmord!

„Das ist unsre Gtaatsverfassung,

Bei der zu jeder Krist
Das russische Volk, das gute,

Zufrieden und glücklich ist!" —

Iaja, man kann's begreifen,

Das war ein Glück ohne Grenz',

Ls ward bald geschleppt nach Sibirien
Des Landes Intelligenz.

Doch heute lautet ganz anders
von dort das erlösende Mort,

Das über des Landes Grenzen
Pflanzt weiter und weiter sich fort:

Ls soll nicht weiter regieren
Im Reich die Kosakenschaft,

Der Despotismus soll schwinden
Ersetzt durch des Volkes Kraft! H.r.

Gewissheit.

Zehntausend wann will haben
Der Kriegsminister mehr,

6s tobt dagegen grimmig
Des schwarzen Zentrums Reer.

Der Kriegsminister lächelt:

Kein Unfall in dieser Jrist
Passiert mir; je mehr sie toben,
Der Um fall sicherer ist.

Amoralisches Äefchichtchen.

Vor dem Dessauer Kriegsgericht erklärte der Vertreter der
Anklage, daß der Untergebene die Pflicht habe, sich von dem
Vorgesetzten mit der rechtswidrig gebrauchten Waffe abschlachten
zu lassen, ohne sich dabei zur Wehre zu setzen.

Valentin Segensreich aus dem Wuppertal war
ein guter Soldat. Er schoß hundsmiserabel, aß
sechs Kommißbrote an: Tage und war bereit, mit
dem Bajonett dahin zu pieken, wo man es befahl.

Ganz anders Robert Blau ans Elberfeld. Die
verschiedenen Dienstgrade trauten ihm nicht. Sie
hatten das dunkle Gefühl, er lache im Grunde
seiner roten Seele über sie, wenn er so äußerlich
stramm seinen Dienst tat. Robert Blau hatte
sich eben das zu eigen geinacht, womit ein alter
Armeewitz die Subordination erklärt: das Be-
streben, stets dümmer zu erscheinen, als der Vor-
gesetzte wirklich ist.

Eines Tages standen sie nebeneinander in Reih
und Glied. Robert Blau als fünfter, Valentin
Segensreich als sechster Mann vom linken Flügel.

Da kamen der Herr Sergeant Fuselpolter. Aus
der Kantine natürlich. Ob er nun gut gefrüh-
stückt hatte, ob ihm Valentins Gesicht nicht gefiel,
ob er das jüngste Gericht markieren wollte —
kurz: er zog plötzlich das Seitengewehr, begann
„Amok!" zu brüllen, sprang auf den sechsten Mann
von links zu und haute ihm eins über die Schädel-
decke, daß besagte Schädeldecke entzwei ging, was
in Anbetracht ihrer Dicke eine tüchtige Leistung
darstellte.

Und da er so schön im Zuge war, wollte er
sich gerade auch den fünften Mann von links
vornehmen, dessen Gesicht ihm vielleicht ebenfalls
nicht gefiel, nur aus einem anderen Grunde.

Der jedoch mar schneller als er und schlug das
wilde Tier mit dem Kolben nieder.

Und es kam das Kriegsgericht.

Sergeant Fuselpolter, der inzwischen laut ärzt-
lichen Gutachtens nicht an dem Kolbenschlag, son-

dern am Delirium und vorgeschrittener Gehirn-
paralpse selig entschlafen, war damit auch allen
irdischen Ehrungen entrückt. Man setzte ihn aber
wenigstens auf die Kandidatenliste für niilitärische
Heilige. Sein Bild kam ins Unteroffizierkasino
und seine Heldentat in die Regimentsgeschichte.

Valentin Segensreich war im Dienst verunglückt
und kam in den Himmel. Seine Mutter erhielt
eine amtliche Bescheinigung darüber in Dreifarben-
druck und außerdem monatlich fünf Mark Ent-
schädigung. Sie bedankte sich beim Regiments-
kommandeur mit Tränen in den Augen.

Robert Blau war lebendig. Er konnte also
der Segnungen des Militürstrafgesetzes teilhaftig
werden. Gewiß: sein hitziges Blut war mit ihm
durchgegangen. Aber er hätte sich erst ruhig tot-
schlagen und dann tags darauf beschweren sollen.
Streng nnd gerecht müssen wir nun mal sein,
sonst hält der ganze Kitt keine Legislaturperiode
inehr.

Man billigte Robert Blau in weitestem Maße
die mildernden Umstände zu, und so kam er bloß
auf fünf Jahre und einen Tag ins Zuchthaus.

8ous-klarin.

Der neue Arminius.

Der schlaue Hendrik witboi
Hat jetzo revolutzt,

Nachdem die deutsche Freundschaft,

Lr rveidlich ausgenutzt.

Und deutsche Patrioten
Geraten drob in Wut,
weil Hendrik hat den falschen
Deutschfreund gespielt so gut.

Zwar lebt der Hendrik fern«

In einem wilden Tand,

Doch hat berühmte Muster
Gr sicherlich gekannt.

An Hermann, den Cherusker,
bjat er gewiß gedacht,

Der einstens mit den Römern
Ls ähnlich hat gemacht.
 
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