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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0056
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4624 . -

Der letzte Karneval.

Ludwig Lessen.

War ein Maskenball! Bunt und dicht
Wogt' es im weiten Saale,

Goldig schimmerte Licht an Licht,

Lärmend erklangen Pokale.

Zierlich schwang der eine das Bein,

Tanzten die anderen hinterdrein;

Wein und Liebe und Fröhlichsein
Feierten Bacchanale.

Zierte den einen ein Diadem,

Blitzten drin Edelgestcinc;

In eine Kutte hüllte bequem
Jener Leib und Gebeine.

And ein dritter stelzt' im Talar,

Drein war gewoben, goldig und klar:

„Richte gerecht und urteile wahr.

Richte nicht nach dem Scheine!"

„Masken herunter!" der Rote rief.
„Wollt Ihr mich nicht verstehen?"

And sie tatcn's. Den Rücken tief
Beugten sie, als es geschehen.

Standen nun da, ohne Maske und Kleid.
Standen in zitternder Dürftigkeit,

Einer dem andern zum Spotte geweiht. . .
Mußten es lassen geschehen!

Gier und Wollust und Übermut sang
Rings in des Saales Runde. . .

Da rief mit ehernem Glockenklang
Zwölfmal die Mitternachtsstunde!

And als der letzte Glockenton schlug,
Weht's in den Saal, ein eisiger Zug:
„Masken herunter! Nun ist es genug!
Nief's aus gewaltigem Munde.

Trat da einer zum Tanzsaal herein.
Trug eine Laute am Bande,

Latte Augen wie Feuerschein,

Kam im roten Gewände.

Der war fähig zu jedem Streich,

Groß und stark, einem Riesen gleich!
Wurden die anderen bang und bleich
In ihrem Prunkgewande. . . .

Sahen einander so ähnlich ganz.

Ohne das Kleid, das pompöse.

Ohne der Edelgesteine Glanz,

Ohne Gcpräng' und Getöse:

Wer trug die Kutte und wer den Talar?

Wer flocht den funkelnden Goldreif ins Laar?

And zur Laute sang hell und klar
Der Rote die Marseillaise — —!

Klirrten in Waffen welche daher;
Rauschend in Sammet und Seide
Trugen andre sich stolz und schwer,
Blitzten nur so von Geschmeide.

Alter und Jugend, Männer und Frau'»,
Spreizten sich auf, als wären sie Pfau'n,
Ließen ihr schimmernd' Gefieder beschau'»,
Dem Nachbar zum Neide, zum Leide.

Sangen die Fiedeln, und Flötengetön
Jubelte lockend dazwischen;

Fanden sich Pärchen und taten schön.
Drückten sich in die Nischen. . .

And in den Fiedel-- und Flötenschwall
Brauste, wie lachender Wiederhall,
Tellergeklirr und Pfropfengeknall
Von den gedeckten Tischen.

Der Zegen der neuen Handelspolitik.

von allem, was uns Gott gegeben.
Dünkt uns das teuerste das Leben. -
Und darum ist die hochgeschätzte,
vom Herrgott selber eingesetzte,
Wohlweise Gbrigkeit bedacht,

Wie sie es uns noch teurer macht.

Ls führen nun der Pfade viele
Zu diesem gottgewollten Ziele;
viel Wege gibt es, grad und schief -
Der beste ist ein Zolltarif,

Der flugs mit einem Schlag vollbringt,
Was tausend Steuern nicht gelingt,
Indem er alles, was wir brauchen
Zum Lssen, Trinken oder Rauchen,

Auf diese oder jene Weise
Gar segensreich erhöht im Preise,

Daß jetzt die guten Gottesgaben
Zür uns den rechten Wert erst haben.

Auch sonst noch wirkt ein kräst'ger Zoll
Auf die Moral höchst nachdrucksvoll:

Lr schiebt der wüsten Schlemmergier
Des Pöbels einen Riegel für;

Denn: wer den Wirt nicht zahlen kann,
Gewöhnt sich schwer das prassen an.
Kurzum, wir sehn, daß allerwegen
Der Zolltarif bringt Heil und Segen.

Und dennoch und trotz alledem
Ist er den meisten nicht genehm.
Landwirtschaft, Handel, Industrie,

Sie schimpfen alle drei — und wie!

Lin Dzean von Hohn und Spotte
Lrgießt sich aus der roten Rotte!

Doch mancher auch, der zu den braven,
Gemäßigt nationalen Schafen
Sich zählt, die alles apportieren,

Kann nicht umhin, zu opponieren.

Rur Linen seh' ich, der hienieden
Geduldig lächelnd und zufrieden

Des Streites Lnde aus der Zern' harrt:
Das ist der wohlfrisierte Bernhard.

Der denkt bei sich: Ich halte still,

Sie tun doch schließlich, was ich will;

Und geht das ganze Reich zu Grunde,
Mir schlägt doch bald des Glückes Stunde;
Bis dahin Hab' ich keine Lite —

Und währt es auch noch eine Weile,

Und währt's auch etwas länger noch:

Ich kriege meinen Grden doch! I. s.

Deutscher Reichstag.

Kastnachts-Sitzung (905, [ Uhr.

Am Bundesratstisch:' Reichskanzler Graf
Bülow, v. Hammerstein, Schönstedt.

Zur Verhandlung steht ein Antrag der
preußischen Staatsregierung, betreffend „die
Übernahme des preußischen Ordens-
etats auf das Reich".

Minister v. Hammerstein: Meine Herren!
Wie Ihnen allen bekannt sein dürste, leben
wir in einer Zeit, für welche die ordinären
amtlichen Bezeichnungen „herrlich" und „glor-
reich" noch relativ matt erscheinen.stBravo! rechts
und NN Zentrum.) Die preußische Regierung, die
ja für die tiefsten und größten Fragen des
Zeitgeistes stets ein feines Verständnis be-
wiesen hat, ist auch gegenwärtig nach Kräften
bestrebt, dem Charakter der Epoche Rechnung
zu tragen. Und wodurch, frage ich, konnte
dieses eklatanter geschehen, als durch eine ver-
mehrte Abstoßung von Orden und Ehren-
zeichen? Das Deutsche Reich aber ist es, dessen
Glanz und Wohlfahrt der ordinäre preußische
Ordensbetrieb vor allem zugute kommt, und
es erscheint daher recht und billig, daß auch
das Reich hinfort die Deckung der Kosten
übernimmt. (Lebhafter Beifall.)

Abg. Or. Paasch e (natl.): Festgenoffen,
Pardon— Meine Herren! Meine Partei, als

eine durch und durch gemäßigt liberale, ver-
achtet in tiefster Seele die lächerliche Eitelkeit,
die in dem Streben nach bunten Bändchen
und glitzernden Sterneir liegt. (Bravo! bei den
Nationalliberalen.) Aber ebenso sehr erkennt
meine Partei den immensen volkserzieherischen
Wert der Ordensauszeichnungen an. (Bravo!
bei den Nationalliberalen.) Die in alten Zeiten
erhobene Forderung, jeder Untertan solle sein
Huhn im Topfe haben, war von einem un-
edlen Materialismus eingegeben. Heute streben
wir ideal gesinnten Bürger des geeinten Vater-
landes höher hinauf: wir wünschen, daß jeder
Reichsangehörige seinen Vogel (Zuruf bei den
Sozialdemokraten: Im Kopf! Lebhafte Pfui-Rufe rechts)
auf der Brust haben möge. Indem ich
nochmals meiner tiefsten Verachtung des kin-
dischen Ordenswesens, das in unsere Zeit
nicht mehr hineinpaßt, energischen Ausdruck
gebe, bitte ich Sie, den Antrag der preußischen
Staatsregierung anzunehmen. (Stürmischer Bei-
fall bei den Nationalltberalen.)

Abg. Rören (Zentr.): Auch in der Ordens-
frage werden wir nicht umhin können, uns
die erhabenen Institutionen der katholischen
Kirche zum Vorbild zu nehmen. Werfen Sie
einen Blick nach Rom! Die vom heiligen
Vater wiederholt an hochgestellte Damen ver-
liehene goldene Tugendrose hat viel Freude
und Heiterkeit in die Welt gebracht. Ich möchte
daher empfehlen, als Ergänzung zur päpstlichen
Tugendrose einen Orden für tatkräftig be-
wiesene männliche Keuschheit zu stiften: das
goldene Feigenblatt! Die Dekoration wäre
an der bei antiken und anderen sittenlosen
Statuen üblichen Körperstelle zu tragen und
könnte sowohl an Zivil- wie an Militärper-
sonen verliehen werden. Im übrigen behält
sich meine Partei ihre Zustimmung zu der
weltlichen Ordensvorlage so lange vor, bis
wir einige von uns aufgestellte Forderungen
betreffs der geistlichen Orden mit den Organen
der hohen Reichsregierung in aller Stille
werden geregelt haben. (Bravo! im Zentrum.)
 
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