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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0084
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—» 4652

-L» Den Gberkosaken. ^-

Neunmalweise Staatenkünstler,
wie seid nunmehr ihr blamiert!
Das Gebäude will versinken,

Das ihr sorgsam aufgeführt.

Festgegründet glaubt zu haben
Ihr es sür die Ewigkeit
Und noch wird sich's nur erhalten
Line kurze Spanne Zeit.

Eure Fracht habt ihr gestaltet
Aus des Volkes tiefster Not
Und ihr hingt ihm immer höher
Seinen kargen Uorb mit Brot.

Ueber allen schwang die Unute
Grinsend der Uosaken Trost
Und ihr hingt des Volkes Freiheit
Vor den Mund ein eisern Schlost.

Tausend edle Geister schmachten
In Sibiriens ödem Land,
weil sie Heist ihr Herz getrieben
Und sie sich den Mund verbrannt.

Mancher Tapfre hing am Galgen,
Mancher gab dahin fein Blut,
weil ihn für fein Volk zu sterben
Spornte der Begeistrung Mut.

Grad als fester ihr zu sitzen
Glaubtet wie zu jeder Zeit,

Richtet euch die Weltgeschichte
Voller Unerbittlichkeit.

Schmetternd fährt aus eure Häupter
Nun herab der Rache Blitz
Und es kündet sich an euch, wie
Grost der Menschen Aberwitz. h.s.

Zwei Ameigen aus dem Petersburger
Regierungsan^eiger.

i.

Allen meinen Freunden und Bekannten zur
gefälligen Nachricht, daß mein bislang nur
nebenher betriebener Heringshandel durch auf-
sehenerregende Massenabschlüsse des für mich
reisenden Herrn Rosdjestwensky vermehrten
Umfang angenommen hall Infolgedessen werde
ich mich demselben ganz widmen und zu diesem
Zwecke nach Whitechapel (London-East) über-
siedeln. Mein Petersburger Hauptgeschäft
geht an die Firma Liberalski-Parlamentarski-
Allesheilski über und bitte ich meine geehrte
Arbeiterkundschaft, der neuen Firma dasselbe
schrankenlose Vertrauen entgegenbringen zu
wollen, wie mir. Nikolaus der Letzte,

in Firma: Väterchen & Co.

II.

Wegen Aufgabe meines bisherigen Peters-
burger Haupt- und Regierungsgeschäfts ist
von meinem Inventar billig zu haben:

1. Eine noch gut erhaltene Krone mit dem
berühmten, allein echten Orlowdiamanten —
geliefert durch Taits Diamond Company aus
der Friedrichstraße. Täuschend ähnliche Imi-
tation, auf die hin sogar Mendelssohn pumpte.
Hundert Rubel jedem, wer sie vom Original
— das sich auf dem Pariser Versatzamt be-
findet — zu unterscheiden vermag!

2. Ein zahmer Doppeladler. Zoologische
Monstrosität. Hört auf den Ruf „Wutki!"
und frißt alles, was er kriegt — mit Vorliebe
Tausendfrankscheine. Konnte früher „Boshe
Zara Krani“1 rufen; sagt aber heute bloß
noch achselzuckend „ölltsokmvo!"" Ist über-
haupt neuerdings etwas kribbelig geworden

auch schäbig im Gefieder — und hat mich
ein paarmal in die Hand gebissen. Das kommt
jedoch alles nur davon, daß er mausert.

Besichtigung vormittags nach 11 im Winter-
palast. Es wird dringend gebeten, keine ver-
dächtigen Pakete mitzubringen.

Nikolaj Alexandrowitsch
Heringe en gros.

1 „Boslie Zara Krani“ — tote russische Nationalhymne.

! „ES macht nichts !"

Das geschiedene Vaterland.

Der König von Sachsen hat die weitere Behandlung
der Angelegenheit seiner früheren Frau Luise, Gräfin
Montignoso, dem Staatsmtnifterium übertragen.

Kummervoll ist jede Eheirrung
And sie stiftet mancherlei Verwirrung.

Ganz besonders ist's ein übles Ding
Für den Gatten, der sie nicht beging.

Doch wie schluchzt erst jegliches Gemüte,
Wenn gewallt hat fürstliches Geblüte.

Denn ein treues Volk nimmt alleweil
An dem allerhöchsten Schicksal teil.

Als daher vom Weg geriet Luise,

Da betrog mit ihrem Fehltritt diese
Nicht den Gatten nur, der Sachsen lenkt —
Nein — das ganze Volk ward schwer gekränkt.

Darum ist der Gatte nicht zufrieden.

Wenn er selbst von jedem Weib geschieden.
Nein — sein Land stimm' ein in seinen Fluch
Ob so schandbar grausem Ehebruch.

Also ist im schönen Lande Sachsen
Jener Fall zur Staatsaktion erwachsen —
And es steht ein Ministerium
Am des Monikachens Wiege 'rum.

Ach, wie ist dies Kindchen zu beneiden.

Nicht nur liegt es in dem Bett von Seiden —
Nein — ein ganzes Volk fühlt sich Papa
Von der kleinen Pia Monika. Erich Mühsam.

Zchillerfeier.

Serenissimus war damit beschäftigt, auf die
ihm zur allergnädigsten Genehmigung vorge-
legten Bittschriften eigenhändig seinen Namen
zu schreiben, als ihm eines der Schriftstücke
wegen seiner besonders schönen und korrekten
Schrift auffiel.

„Wer hat das Gesuch eingereicht?" fragteer
den in ehrerbietiger Entfernung vom Schreib-

tisch wartenden Prüsidenteu der allerhöchsten
Hof- und Kabinettskanzlei.

„Der Obmann des hiesigen Schillerkomitees,
Hoheit."

„Was will das Komitee von mir?"

„Es bittet Euere Hoheit untertänigst um
die allerhöchste Gnade, die von ihm geplante
Schillerfeier unter Allerhöchstdero huldvollein
Protektorat begehe» zu dürfen."

„So, so! Es gibt also eine Schillerfeier?
Aus ivelchem Anlaß findet denn die Feier
statt?"

„Es jührt sich, mit hochdero gütiger Er-
laubnis, Schillers Sterbetag Heuer zum Hun-
dertstenmale."

„Gott, wie die Zeit vergeht! Sagen Sie
mir einmal: sollten wir, zu deren Pflichten
es gehört, Kunst und Wissenschaft zu fördern
und zu schirmen, nicht auch etwas zur Ver-
herrlichung dieses Dingsda, dieses Schiller,
veranstalten?"

„Gewiß! Hoheit würden damit das Band,
das Allerhöchstdieselben mit hochdero Unter- f
tanen verbindet, nur noch fester knüpfen."

„Hm! Also . . . War Schiller nicht von
Adel?"

„Ja, Hoheit, wenn auch nur ein Herr „von"
und nicht besonders ahnenreich."

„Er war auch Soldat, nicht wahr?"

„Ja wohl, Hoheit. Und zwar hat er als
Regimentsmedikus bei den Grenadieren ge-
dient."

„Das trifft sich herrlich! Da werden wir
an seinem Sterbetag eine kleine Schillerparade
mit musikalischem Zapfenstreich anbefehlen."

„Wollen Hoheit huldvollst gestatten, daß
ich dagegen ein untertänigstes Bedenken gel-
tend mache. Schiller ist seinerzeit von seinem
Regiment desertiert und eine militärische Feier
ihm zu Ehren würde mehr wie eine Verherr-
lichung des Deserteurs Schiller, als des
Dichters Schiller aussehen."

„Hm! Sie haben nicht unrecht. Wie sollen
wir nun diesen Menschen feiern, ohne der
militärischen Disziplin und der Heiligkeit des
Fahneneides Abbruch zu tun?"

„Wollen Hoheit gütigst festhalten, daß es
sich um eine Feier des hundertsten Sterbe-
 
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