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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0127
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4696

Das alte Cied.

„Casst ab von Streik und Nörgelei,
Ibr waekern Bergwerksleute,

Sonst werdet ibr in kurzer Zeit
Des bleichen Düngers Beute.

„ln uns allein lebt Mitgefühl
Mit eurem Leid und Barme -
Drum seid vernünftig, kriecht zu Kreuz
Und kommt in unsre Mine!"

Das edle Junkerparlament
Grweist sich als perfide - -
Schweigt, Dörgler, still: dieKommission
Ist erst die rechte Schmiede!

„ln dem, was euch bedrängt und kränkt,
Craut uns und eurem Gotte,

Und haltet euch - ihr seid gewarnt! -
Sern von der roten Rotte.

So lockt die hohe Obrigkeit
Mit schmeichelnden Geberden,
Und es vertrauen ihrem lüort
Die - so nicht alle werden. .

Die schmiedete ein Ungetüm
Bus vielen Paragraphen,.

Drob endlich Gift und Galle schwoll
Selbst in den frömmsten Schafen.

„Die schürt und hetzt voll Eigennutz
Zu unbesonnenen Laten,

Um dann an eurem Seuer sich
Die eigne UJurst zu braten.

Und die Moral von der Geschieht’?
Sie ist nicht schwer zu fassen:

Der Proletarier darf sich nur
Huf eigne Kraft verlassen;

Selbst manchem braven Zentrumshirn
Cat’s klar sich offenbaren:

Die benedeite Obrigkeit
Dielt schmählich mich zum Darren.

Sein Los ist Kampf und wieder Kampf
Um jeden kargen Bissen - -
(Denn er der Obrigkeit vertraut,

ÜJard er noch stets bescb-ummelt! 3 S.

Die Obrigkeit flickt ein Gesetz
Zusamm’ mit Heb und Krachen - -
Schweigt, Dörgler, still: das Parlament
UJird draus ein bessres machen!

Nach der Söjülerfeier.

Verklungen ist die SchiUerfeier,

Der große Jubel ist vorbei,

Und selig preist Herr Rentner TUeier
Den Seftkommers vom neunten OUai.

Erst mar er mit Familie Müller
Im Schauspielhaus beim Wilhelm Tell.
Dann aber klang zum Ruhm von Schiller
Lin Sektglas an das andre hell.

Was mard nicht alles da geredet
Von Freiheit und vom Vaterland!

Wie mard der Sozialist befehdet,

Der so den Dichter mißverstand!. ..

Ja! — Darum klang des Sängers Leier,
Darum hat er die Glut gemerkt,

Daß hundert Jahr nachher ihn Meier .
Dem Müller rühmt beim Glase Sekt.

Könnt' vom Dlymp er niederschauen,

Wie hätte Schiller mohl gelacht,

Säh' er den Bürger Gaviar kauen,

Der ihm die Komplimente macht! —

Und doch! Ihn könnt sein werk nicht reuen,
Säh' er das Arbeitsvolk sich schlicht
An seinem Räuberdrama freuen,

Und Hoffnung ziehen aus dem Gedicht.

Denn solche Saaten mollt' er säen;

Lin Volk ist da, das ihn versteht, —

Und das Ghampagnerjubiläen
Verächtlich aus dem Wege geht.

Fürmahr, das Volk trinkt gute Reben,
Das Volk erfreut sich guten Weins:

Die Ideale und das Leben —

Sie merden doch noch einmal Lins!

Lrich Mühsam.

Erklärung.

Für den Vertretertag der nationalliberalen
Partei in Dresden wird ein neues Organi-
sationsstatut geplant, in dem es unter anderem
heißt: „Den Mitgliedern der Wahlvereine wird
die Vertretung der Grundsätze der national-
liberalen Partei satzungsgemäß zur Pflicht ge-
macht." Ich erkläre hiermit meinen Austritt
aus einer Partei, die in ihren Zugeständnissen
an einen unfruchtbaren politischen Radikalis-
musso weit gehtzihremheiligstenPrinzip,
dem der Grundsatzlosigkeit, wenn auch
nur theoretisch, untreu zu werden!

Ergebenst

Roderich Neumann,

Rentier und Veteran der nationalliberalen
Partei.

Die Loffnung auf den Bergarbeiterschutz.

Frei nach Schiller.

Sie ist ein leerer schmeichender Wahn,
Erzeugt im Gehirne der Toren;

Mit dem Munde da kündigt es laut sich an,
Doch die Tat wird nie draus geboren.

Und was auch des Reiches Kanzler verspricht,
Das kümmert den preußischen Landtag nicht.

Von den Militärgerichten.

Kriegsgerichtsrat: Unteroffizier Mayer,
Sie sind angeklagt, den Gefreiten Knöpke mit
Ihren Stiefelabsätzen in den Magen getroffen
zu haben. Wie können Sie Ihr Vorgehen
entschuldigen?

Unteroffizier Mayer: Ich habe es mir
zum Prinzip gemacht, die Soldaten meiner
Kompagnie immer nur mit Handschuhen an-
zufassen. Wenn ich aber einmal statt der Hände
die Füße gebrauche, da kann man doch nicht

von mir verlangen, daß ich deshalb gleich
die Schuhe ausziehe!

Das Kriegsgericht erkannte nach kurzer Be-
ratung auf Freisprechung des Angeklagten,
weil Konsequenz eine Soldatentugend sei
und der Angeklagte nur konsequent gehandelt
habe. Ei.

Die verkannte „Novelle".

Nun Bergmann, leg ab dein Ehrenkleid
Und kleide dich fürder als Knecht;

Denn während du tief in der Erde geweilt,
Stahl oben man dir dein Recht.

Dein Recht, so karg, so winzig klein.

Den Junkern war's zu groß.

Und freundlich lächelnd murkste man's ab
Mit schneidigem Degenstoß.

Und nach dem Versprechen, das man gab.
Kräht heute kein preußischer Lahn. —

Die herrliche Bergnovelle war
-Nur ein Roman. g. 8.

Notstand.

Wie alljährlich kam auch diesen Winter der
Kassierer des Vereins für Ferienkolonien zum
steinreichen Bankier Usurati, der ihm freund-
lich „zu diesem ganz besonders humanitären
Zwecke" zwanzig Mark einhändigte. Der Kassie-
rer sah fragend erst das Geldstück, dann den
Spender an und wagte schüchtern zu bemerken,
daß er bisher stets fünfzig Mark von ihm er-
halten habe.

„Ich weiß, ich weiß, lieber Müller" — sagte
Usurati mit wehmütigem Lächeln — „aber ich
habe in letzter Zeit so enorme Ausgaben ge-
habt, daß ich mich notwendigerweise etwas
einschränken muß. Sehen Sie . . . hier liegt
noch die Quittung . . . erst gestern habe ich
über fünfzigtausend Mark Erbschaftssteuer
zahlen müssen." ßvl6.
 
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