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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0151
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4720

SL ftammonia’s IDanzen. LZ>

Sie krochen in finstere Winkel und Ecken
Und saßen in Haufen in dunkeln Verstecken.
Sprach eine der Wanzen: Die dickste bin ich;
Verehrliche Schwestern, so höret auf mich.

Von altersher konnten wir Wanzen nur taugen
Aum Stinken und Saugen.

Gefährden muß jeglicher Hauch aus dem Freien
Die Stickluft, darinnen wir Wanzen gedeihen.
Verehrliche Schwestern, o wehret geschwind
Dem wanzenvernichtenden klärenden wind!

Die reinlichen Lüfte sind unser Verderben,
wir muffen dran sterben.

Das Stinken und Saugen in diesem Gehege,

Das ffnd unsre teuersten Rechtsprivilege;
wir machen im Hause seit grauester Zeit
Auf Grund des ersessenen Rechtes uns breit.

Das wanzenrecht wollen, wie unsere Alten,
wir treulich erhalten!

Verehrliche Wanzen, ihr großen und kleinen.

Mir wollen die Rechte gefährdet erscheinen!

Schon fällt des erhellenden Lichtes ein Strahl
Auf unser Gewimmel und schaffet uns (Qual.

Das wanzengeschlccht kann das Licht nicht vertragen;
Gs macht zu viel Plagen.

So sagte die Wanze, die dickste im Kreise;

Bei Wanzen ist immer die dickste die weise.

Die anderen Wanzen, die hörten sie an -
Und fragten bescheiden: wie ist nun dein plan,

Au wahren der Wanzen geheiligte Rechte
Dem spätern Geschlechte?

Da schaute gar lange mit blinzelndem Blicke
Aufs Wanzengezüchte hernieder die Dicke:

Uns stets zu erhalten das Rechtsprivileg
Aum Saugen und Stinken, gibt's wohl einen weg
Dem Licht und dem winde den Antritt verwehren,
Die Stickluft vermehren. —

So haben in Hamburg die Wanzen erwogen,

So sind sie dann bittend zum Rate gezogen:

Fürtrefflicher, weiser, erhabener Rat,

C> rette uns Wanzen die Stickluft im Staat!

* . *

*

Die Ratsherren rührte der Stinkwanzen Klage.

Sie nickten und schufen zum Schillerfesttage

Die Wahlrechtsvorlage. se-und»-.

Iwan llalajew.

Am 23. Mai ^905 wurde Iwan Aalajew hingerichtet,
der am \7. Februar durch eine von seiner tzand geschleu-
derte Bombe einen der grausamsten Vertreter des rus-
sischen Willkürregiments, den Großfürsten Sergius, einen
Vheim des Zaren, tötete.

vor dem Gericht, das ihn wegen dieser Cat abzu-
urteilen hatte, legte Aalajew eine bewundernswerte
Hoheit der Gesinnung an den Tag. In seiner Verteidi-
gungsrede führte er aus: „Sie sind die Vertreter der
Tyrannei, ich bin der vom Volke betraute Vollzieher des
Rechtes. Lin Berg von Leichen trennt uns voneinander,
Hunderte und Lausende zerschmetterter menschlicher Lxi-
stenzen, Ströme von Tränen und Blut, welche überallhin
den Schrecken und die Revolte getragen, haben eine un-
überbrückbare Rluft zwischen uns gegraben. Ich habe
den Großfürsten Sergius getötet. Die Rache der regie-
renden Familie soll auf mich niederfallen. Aber man
wagt nicht, offen zu handeln. Der Pilatus, welcher die
Hände noch befleckt hat von dem Blute Anschuldiger,
schickt euch hierher, um das wild zu erlegen. Lehen Sie

sich doch um: Ueberall Blut und schmerzvolles wimmern.
Der äußere Arieg und der innere Arieg. Zwei Welten
stoßen wild aufeinander, zwei unversöhnliche Welten:
das Leben, das ausschäumt, und der Marasmus, die
Zivilisation und die Barbarei, die Freiheit und die Ge-
walt, das Volk und der Zarismus. Und die Wirkungen?
Die Schande militärischer Riederlagen und die Vernich-
tung der Militärmacht, der finanzielle und moralische
Bankerott, die Zersetzung aller monarchischen Prinzipien,
der Drang nach der Freiheit, die offene Revolution der
arbeitenden Alassen, die permanente Revolution im
Ramen des Sozialismus und der Freiheit, was be-
weisen diese Erscheinungen? Ls ist das Verdikt der
Weltgeschichte gegen Sie! Das ist der Pulsschlag eines
neuen Lebens, das ist das Brausen des Sturmes, der so
lange angekündigt wurde, das ist der Cotenspiegel des
autokratischen Regiments."

And nachdem Aalajew das Todesurteil vernommen,
bemerkte er: „Ihr Urteil macht mich glücklich. Ich hoffe,
daß Sie auch den Mut haben werden, es ebenso öffent-
lich ausführen zu lasten, wie ich das Todesurteil der
revolutionären Partei öffentlich vollzogen habe. Sie
müssen lernen, der nahenden Revolution Aug' in Aug'
zu sehen."

¥

Das Iubelgewerbe.

In Berlin haben in diesen Tagen verschiedene
Hoffestlichkeiten stattgefunden. Aus diesem
Anlaß waren von einigen Stellen an die
Arbeiter Aufrufe ergangen, sich hierbei durch
Spalierbilden zu beteiligen. Den Betreffenden
wurde nicht nur der volle Taglohn für die
versäumte Arbeit, sondern auch noch fünf Mark
Extravergütung gezahlt.

Es ist zweifellos eine sehr gesunde Idee,
den Patriotismus und die Loyalität, mit deren
Betätigung ja die besitzenden Klassen schon
seit lange viel Geld verdienen, auch für die
sogenannten niederen Stände nutzbar zu
machen.

Um nun diese vom politischen und sozialen
Standpunkt aus in gleicher Weise wünschens-
werten Ziele zu erreichen, wird es sich emp-

fehlen. die Ausgestaltung des Jubelgewerbes
von Anfang an planmäßig in sichere Bahnen
zu lenken. Vielleicht könnte man folgenden
spezialisierten Lohntarif als Grundlage für
eine solche Tätigkeit benutzen.

1. Kräftige Männer, wenn möglich
im Bratenrock, zum Spalierbilden und Hoch-
rufen. je nach der Breite der Brust, drei bis
sechs Mark pro Kopf. Jubelgreise, die bereits
durch ihr Außeres (Dienstauszeichnungen, rote
Nasen usw.) auf eine langjährige erfolgreiche
Wirksamkeit in der Armee oder im Krieger-
verein Hinweisen, erhalten fünfundzwanzig
Pfennig mehr. Alte Zylinder können von der
„Gesellschaft für staubfreie Müllabfuhr" gratis
entliehen werden.

2. Schlichte Männer und Jünglinge
im Arbeitskittel, für Ausbrüche spontaner
Volksbegeisterung. Sie werden an Plätzen
und Straßenecken, die der Festzug berührt, in
Rudeln von fünf bis zehn Stück zwanglos
gruppiert und brechen beim Anblick der be-
treffenden hohen Persönlichkeit plötzlich in ein
Freudengeheul aus. das allmählich in ein
patriotisches Lied, die „Wacht am Rhein" oder
den „Sang an Ägir", übergeht. Die Szenen
müssen durch einen tüchtigen Hoftheater-
regisseur oder Gardennterosfizier gründlich
einstudiert werden, damit das Freiwillige und
Improvisierte der Kundgebung deutlich heraus-
kommt und die Herzensergüsse ordentlich
klappen. Bezahlung soll je nach der Stärke
des theatralischen Talents von vier Mark an
erfolgen.

8. Ältere Damen des kleinerenMittel-
stand es zumTaschentuchwedeln, fünfund-
siebzig Pfennig bis eine Mark.

4. Ehrenjungfrauen zu beliebiger Ver-
wendung. Garantie durch polizeiliche Sitten-
atteste usw. nicht erforderlich, dagegen ist der
Besitz eines weißen Kleides unbedingt not-
 
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