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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0164
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4733

Die tägliche Zeimpfennißziilage der tilenbahner.

„Menschenskind, bet hätte Budde ooch nich vermutet, bet du die Zulage
so leichtfertig vergeuden würdest!"

^ DoveWäne. eT

Ihr lieben Leutchen, jammert doch nicht,
Daß Sitzen im Loch eine Pein ist;

Habt ihr es denn nicht gelesen jüngst,
Wie es im Gefängnis so fein ist?

„Arbeit is jut und Essen is gut",

So wendet sich alles zum Besten.

Auch wird man im Kittchen sogar geheilt
Von seines Geistes Gebresten.

Was Sommerfrische, was Badekur!

Bist du in Leibesbedrängnis
Und hast kein Geld, so lasse dich nur
Einsperren in solch ein Gefängnis!

Das Leben der deutschen Soldaten ist das reinste Lustspiel. Es
folgt immer „Schlager" auf „Schlager".

Merkivürdig, — überall, wo sich der spanische König in Paris
sehen ließ, wurden ihm Blumen und Bomben gestreut.

Die böse Kapitalistenbrut Gefährlich könnt' es werden sonst

Frißt Kinder groß und klein, Der Sittlichkeit, ei ei!

Doch darf man so ivas sagen nicht Drum kriegt der Rühle Stadtverbot
In Schneebergs Mauern, nein! Von Schneebergs Polizei.

Die Seeschlacht bei Tsutschimä wäre anders ausgegange», wenn
die Russen, die Mangel an Munition hatten, eine Anleihe beim
Revolutions-Komitee in Petersburg gemacht hätten.

Ihr getreuer Säge, Schreiner,

Oer fiocbzeitsfiirst.

Bis Bülow des Morgens vom Schlafe erwacht,
Da war er ganz jählings znm Torsten gemacht,
Zum Jürsten mit zierlichem Jürstenbut,

Der steht unserm lächelnden Bernhard gut.

Jürst Bernhard, der €r$te und einzige, denkt:
D^bat mir mein Kaiser was Kechtes geschenkt;
Die Ehre, die heute mir widerfährt,

Ist mehr, als ich jemals im träum begehrt.

Die sonstigen Jürsten, die wurden’s durd) Krieg,
Durch blutige Schlachten und glorreichen Sieg.'
mich aber die prinzliche hochzeitsnacht,
Derweilen ich schlafe, zum Jürsten macht!

, , . Sccundus.

Der Lall über das Bergarbeitergesetz.

Adieu, Äerr Delcassü!

Eine Elegie.

Lört, was als neuste Nouveautö
Drang von Paris zum Strand der Spree:
Ein schneid'ger Windstoß, herb und jäh.
Blies weg die stolze Koryphä',

Die sieben Jahre fest und zäh
Frankreichs Geschicke leitete:

Des Zarentumes güt'ge Fee
And uittertänigster Portier,

Der schlaue Monsieur Deleassö,

Ward weggejagt — o jemine!

Lang wahrtest du dein Renommee —
Doch als lieb Väterchen zu See
And Land erfuhr manch Leid und Weh,
Da ging zu End' dein ABC,

Du wackrer Knecht und Protege
Der kriegeswütigen Armee.

Es sprach das Volk sein Wort, und eh'
Du dich versahst, hieß es: „Adieu!

Es ist genug, Lerr Deleassö,

Nun packe schleunigst dich, und geh!"

Ach, gestern noch auf stolzer Löh',

Leut abgesägt und ganz a. D.I

Fern sei's von mir, daß ich dich schmäh'!
Genieß dein Leben, ober inonsisur,

Als friedlich stiller Privatier
Doch was vom Schicksal ich erfleh'.

Ist, daß ein gleiches bald gescheh'

Auch jedem deutschen Deleassö! j. s.

Lieber Jacob!

Erst wird der Rasen jrien un denn blichen
de Rosen. Del verlangt de sittliche Welt-
ordnung von 'n richtijes, rejelrechtes Friehjahr.
Anno 1905 aber haben wir in diese Beziehung
'n umjekehrtes Friehjahr jehabt. Un zwar
verdanken wir diese Näturmerkwirdigkeit die
jroßartijen Einzugs- und Hochzeitsfestlichkeiten,
mit die der jutjesinnte Teil der höheren Steier-
klassen sich in de letzte Tage de Zeit vertrieben
hat. Zuerst singen de Rosen an zu bliehen —
jleich 'ne Masse uff eenmal, un zwar alle janz
unscheniert an Lindenbeeme, schockweise uff
jeden Ast un jede so jroß wie 'n juter Kohl-
löpp. Nachdein dieser jeschmnckvolle Boom-
schmuck unter pollezeiliche Uffsicht bet Zeit-
liche jesejent hatte, wurde in 'n Tierjarten
erst sachteken der Rasen jrien — nämlich uff
die Stellen an de Eharlottenburjer Chaussee,
wo opferfreidijer Birjersinn allens zusammen-
jetrampelt hatte.

Aber bei aller Freidigkeit fehlte es natier-
lich ooch an riehrende Szenen nich. So er-
zählte der Berichterstatter von 'ne jroße Pariser

Zeitung, bei de Einzugsfeier an't Branden-
burjer Tor hätte er eenen Jreis weinen je-
sehen. De Kenner un Freinde von de deitsche
Volksseele zerbrechen sich nu den Kopp un
fragen sich: wodrieber hat der Jreis jeweint?
Dachte er vielleicht an seine eijene Hochzeit,
die ihn vor fuffzig Jahren ahnungslos an
seine Olle kettete? Oder hatte er die fiinf
Spaliermeter, die ihm sein Prinzipal for de
Bekundung, der juten Jesinnung jezahlt hatte,
schon pränumerando versoffen? So fragen
de Leute un. wissen keene Antwort nich. Also
paß Achtung, wat ick Dir sage, , denn ick. bin
der einzije in janz Berlin, der in die Sache
Bescheid weeß. Der weinende Jreis. an't
Brandenburjer Tor war nämlich keen anderer
nich, als Jotthilf Rauke selber! Un wodrum
liefen mir de Tränen ieber de Backen? Weil
sich mir zivee dicke Damens, jede drittehalb
Zentner lebend Jewicht, de eene uff'n linken
Un de andere uff'n rechten Fuß jestellt hatten
un nich mehr runner zu kriegen waren, obwohl
ick ihnen mit Worten un Ellbogen dringend
darum ersuchte. Det Jedränge war nämlich
so doll, det keener freiwillig von den Platz
nich weichen konnte, uff den ihn een mitleid-
loses Jeschick nu mal jestellt hatte.

Aber Jotthilf, wirst de sagen, wat hast du
denn uff'n Pariser Platz zu tun, wenn so
wat los is?

Janz richtig, Jakob, ich hatte was zu tun.
In meine Beletage vier Treppen hoch wohnt
'n niedliches Mächen, die bei Aschingers Wurst-
marie spielt, un die hat eenen Sergeanten,
der jrade an Brandenburjer.Tor Posten stehn
tat, — den mußte ick een Festessen hinbringen,
wat ick in meiner jutmütigen Dämlichkeit nich
abschlagen mochte. Dafür bin ick bestraft
wor», und ick konnte mir erst nach zweestind-
lichen Uffenthalt als weinender Jreis mit ab-
jetrampelte Hiehneroogen wieder in jesicherte
Verhältnisse verflichtigen.

Woniit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein
jetreier Jotthilf Rauke,

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
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