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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0260
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4830

Jena.

Du freundlich Städtchen an der Saale Strand
Von deinen Höhen sendet der Beschauer
Dir frohen Gruß und winkt dir mit der Hand
Doch weckt dein Name Sinnen auch und Trauer,
Denn Jena hieß die fürchterlichste Schmach —

Gen Himmel loderten der Dörfer Flammen
Und vor dem Stoß des Schlachtenkaisers brach
Das Kartenhaus der Monarchie zusammen.

Bezopften Erben alten Kriegerruhms
ward über Nacht ein neuer Text gelesen;

Das Paradies des faulen Junkertums
ward ausgekehrt mit einem Lisenbesen.

Lin strenger Lehrer wurde dieser Krieg,

Der vorwärts wies durch Scham und Jorn und Trauern,
Und was als Phönix aus dem Brande stieg,

Das schien ein Staat der Bürger und der Bauern.

Doch war's zu früh, daß man verjüngt ihn pries;

Nie hat er eingesehn, was ihm verderblich,

Und nur zu bald, nach Kampf und Sieg, erwies
Der Junkersippe Macht stch als unsterblich.

Nach hundert Jahren steht sie plump und feist
Noch immer da mit aufgeblasnen Backen —

Nach hundert Jahren setzt noch immer dreist
Sie uns den Sporenstiefel auf den Nacken.

wohin der Staat, dem ste Gesetze schreibt,

Sehr unbesorgt um der Geschichte Nache,
wohin das Preußen unsrer Junker treibt,

Das pfeift der Spatz von jedem Scheunendache.
Nur gibt es diesmal einen vierten Stand,

Und zäh und trotzig ringt er sich nach oben,

Und einen Niegel hat mit nerv'ger Hand
In Jena er den Junkern vorgeschoben.

Ihr zweites Jena haben sie erlebt
Am gleichen Drt in den Septembertagen,

Denn wo die rote Fahne sich erhebt,

Da sind sie schon im vorhinein geschlagen.

Sie hatten's freilich anders sich gedacht:

Sie hielten uns für hoffnungslos gespalten,

Und hatten drum die angestammte Macht
Mit Gottvertraun für festfundiert gehalten.

Jerbrach das erste Jena uns den Staat,
war es ein Tag der Schande und der Trauer,
So ist das zweite eine Nettungstat
Und schirmt das Reich durch eine starke Mauer,
wir sehen klar und kennen unsre Pflicht,
wir sind des Reichs und seiner Schätze Lrben,
Und dieses Reich soll uns der Junker nicht
Jum zweitenmal verraten und verderben! >

Das Lied von der Kompottschüssel.

Ihr Proletarier all, Glückauf!

Die Not hat nun ein End':

Ein ew'ger Festtag stieg herauf
An Deutschlands Firmament!

Und jedermann im Vaterland
Lobsingt und preiset Gott,

Der durch die Obrigkeit uns sandt'

Die Schüssel voll Kompott!

Vor Jahren wünschte väterlich
Ein frommer Potentat,

Daß Sonntags jeder Bürger sich
Im Topf sein Lühnchen brat'.

Die graue Weisheit dieses Manns
Ist heute schon bankrott:

Uns winkt alltäglich, voll und ganz.

Die Schüssel voll Kompott.

Wenn Weib und Kind vor Lunger schrein.
Kein Brot im ganzen Laus —

So jubl' ich froh: „Was kann da sein?
Ich mache mir nichts draus!"

Ich geh' zum nächsten Schutzmann 'ran
Und frag' ihn/ frisch und flott:

„Wo steht doch gleich, mein lieber Mann,
Die Schüssel voll Kompott?"

Und wenn mir Unrecht mal geschieht.
Wenn man niich knufft und tritt —

Ich nörgle und ich hadre nicht.

Ich nehm' es dankbar mit.

Mein schlauer Proletaricrsinn
Sagt mir ohn' Laß und Spott:

Das sind die Essigpflaumen in
Der Schüssel voll Kompott!

Und mach' ich Feierabend hier
Und geh' zum Limmel ein.

Dann schreibt mit goldnen Lettern mir
Auf meinen Leichenstein:

„Lans Friedrich Schulze hat genug
Und ruht nunmehr in Gott,

Dieweil sein Magen nicht vertrug
Die Schüssel voll Kompott!"

Die Cholera.

lNach der „Norddeurschen Allgemeinen Zeitung".)

Wiederum ist es dem schamlosen Treiben
gewisser gewerbsmäßiger Nörglerkreise ge-
lungen, das gesunde Empfinden unseres Volkes
durch Verleumdungen und Verhetzungen irre
zu führen. Das bereits amtlich bestätigte,
also einwandfreie Auftreten der asiatischen
Cholera in unseren östlichen Provinzen war
diesen Kreisen ein nur zu erwünschter Anlaß,
die öffentliche Meiüung gegen den uneigen-
nützigsten und treuesten Freund der verbün-
deten Regierungen, gegen Rußland, in un-
freundlicher Weise zu beeinflussen! In welcher
weitsichtigen und gewissenhaften Weise aber
die russischen Behörden bereits seit langem der
Choleragefahr entgegengearbeitet haben, dürfte
jedem Einsichtigen schon allein die Tatsache
beweisen, daß, um auch nur einer etwaigen
Beunruhigung des Publikums vorzubeugen,
bereits im vorigen Frühjahr der von russischen
Ärzten geplante Cholera-Kongreß polizeilich
untersagt worden ist!

Gegenüber den durch die erwähnten Hetzer-
kliquen ausgestreuten Gerüchten können wir
übrigens, nach Informationen aus besten
Quellen, konstatieren, daß man sich in maß-
gebenden deutschen Interessentenkreisen über
den Ürsprung der gegenwärtigen Cholera-

epidemie noch durchaus nicht klar ist. So
hörten wir von mehreren intelligenten Ver-
tretern des östlichen Großgrundbesitzes die
Meinung äußern, daß der übermäßige Fleisch-
genuß der niederen Stände und insonderheit
der unvernünftige Konsum fremdsprachiger
Schweine die Hauptschuld trage — eine Mei-
nung, der, soweit wir informiert sind, auch
unser Herr Landwirtschaftsminister beipflichtet.

In alldeutschen Kreisen glaubt man dagegen
die Entstehung der Seuche mit dem englischen
Flottenbesuch in Verbindung bringen zu müssen.
Deshalb halten diese Kreise es für richtig, als
bestes Vorbeugungsmittel gegen die Cholera
zunächst eine beträchtliche Verstärkung unserer
Seemacht ins Auge zu fassen.

Im übrigen warnen wir vor einer Über-
schätzung der Choleragefahr. Die Erfahrung
hat gelehrt, daß von der Seuche vornehmlich
die niederen Bevölkerungsklassen ergriffen
werden — infolge der in diesen Kreisen be-
liebten unrationellen Lebensweise, die sich
namentlich im dauernden unmäßigen Genuß
von Speisen und Getränken kundgibt. Der
Adel und das gebildete, staatserhaltende
Bürgertum bleiben in der Regel verschont,
da sie, dank ihrer energischeren Selbstzucht,
in der Lage sind, sich beim Ausbruch der
Epidemie in die Schweiz oder an die Riviera
zurückzuziehen. j. s.

Ländlich-sittlich.

Serenissimus besuchte auf seiner Reise ein
kleines Landstädtchen und unterhielt sich leut-
selig mit dem Bürgermeister. Zum Schluß
sprach er seine Freude über die Ehrenjungfrauen
aus, die alle noch so sehr junge Mädchen seien,
worauf der Bürgermeister treuherzig erwiderte:
„Im Vertrauen, Durchlaucht, über zwölf Jahre
alt haben wir keine mehr auftreiben können."
 
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