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— 4835

ihn begleitenden Nuntius, und iin stillen setzte
er hinzu: „Mir kann so was nicht leicht pas-
sieren! ... Im übrigen, Ablehnung eines Kol-
legen . . . ift . . . ift gerade kein Strafmilde-
rungsgrund!" • . . Und dann kamen ihm die
Worte des Nuntius wieder ins Gedächtnis:
„die aufrechte und trotzige Haltung der An-
geklagten" . . • Ja, die Weiber waren doch
fast immer aufsässiger als die Männer! . . .
Nun, er fühlte sich ihnen jedenfalls ge-
wachsen! • . . Und diese hier , . .

Da war man schon! Er trat gerade in dem
Moment in die Tür, als der abgelehnte
Kollege sich entfernte.

Und so reichten sich die
Herren mit einem kame-
radschaftlichen Lächeln
die Hand, mit einem
Lächeln, aus dem ein
einigermaßen Böswil-
liger die Versicherung
hätte herauslesen kön-
nen: „Nun, einen be-
sonderen Vorteil soll die
Angeklagte von diesem
Wechsel jedenfalls nicht
haben!" . . .

Natürlich mußte sich
der Landgerichtsdirektor
erst einigermaßen über
die Sache orientieren—

Also eine Kindsmörde-
rin hm ,,, hm .
ernste Sache . ..

Herr von Fehrendahl
erbat die Akten, der
Nuntius holte sie ihm
aus dem Gerichtssaal,
und der alte Herr blät-
terte in den mit „Hedwig
Mießner" Unterzeichne-
ten Protokollen. ... Er
wußte nicht, weshalb,
aber das unbehagliche
Gefühl überkam ihn wie-
der ... un d d as v ersch ärfte
seine Abneigung gegen
die Kindsmörderin.

„Beginnen wir also!"
sagte Herr von Fehren-
dahl und schritt seinen
Amtskollegen voran
durch die Tür in den
Schwurgerichtssaal.

Publikum, das er un-
gern vermißte, war in
Fülle da. Als Anwalt
der Angeklagten fun-
gierte der Or. Schweiger,
der das Gegenteil seines
Namens war, und auch
die von der Verteidigung vorgeschlagenen Sach-
verständigen, ein bekannter Gynäkologe und
ein Psychiater, waren da. Von dem letzten
behaupteten Kollegen, daß er selbst einen para-
lytischen Gorilla für zurechnungsfähig und
vollverantwortlich erklärt haben würde.

Hinter ihrem Verteidiger, starr, aufrecht, die
wachsbleichen Hände auf der Bank gefaltet,
saß die Angeklagte. Ihr Gesicht, das mit seinem
zarten Oval ehemals sehr anziehend gewesen
sein mochte, sah jetzt verfallen und düster
aus, und die braunen Augen blickten hart ins
Leere. Um den Mund war ein Weinen stehen
geblieben, ein unstillbarer Jammer, der nie
mehr der Freude und dem Lachen Platz machen
würde. ...

Auf die Frage des Vorsitzenden gab sie mit
einer Stimme, die laut war, ohne zu klingen,
ihr Nationale an, und wie er sie dann fragte:

„Bekennen Sie sich schuldig, Ihr am
12. März geborenes Kind vorsätzlich ermordet
zu haben?"

Da sagte sie nur kurz: „Nein."

„Also erzählen Sie den Sachverhalt!"

Die Angeklagte mußte zum zweitenmal
aufgefordert werden, ehe sie sprach:

„Mir wurde schlecht, aber ich dachte noch
nicht, daß es schon so weit war. Da sagte
Frau von Stabrecht, ich sollte mich hinlegen..."

„Welchen Posten bekleideten Sie bei der
Dame?"

„Ich war Leinenbeschließerin, und Frau

von Stabrecht hatte schon mehrfach Andeu-
tungen gemacht, als wenn sie was merkte..."

Der Vorsitzende nickte und strich den weißen
Bart.

„Und wie ich in meiner Kammer war, mußt'
ich mich hinlegen. .."

Die Angeklagte schwieg wieder.

„Und dann? . . . was geschah dann?" . . .

„Dann kriegt' ich solche Schmerzen . . ."

Das Mädchen ächzte, als empfände sie das
wütende Reißen im Rückgrat jetzt noch. . . .
Schnell setzte sie hinzu:

„Dann weiß ich nichts mehr . . . wie ich
aufwachte, war das Kind tot."

„Sie behaupten also, es sei erstickt?"

„Ja, ich hatte mir die Bettdecke ganz hoch
'rauf gezogen.»

Mehr war nicht aus ihr herauszubringen.
Allen Fragen des Vorsitzenden nach der Art

ihres Verhältnisses zu dem Vater des Kindes,
nach den Aussichten, die sie für ihre Zukunft
hätte, ob sie noch mit ihm verkehre und ob
sie nicht auf seine Unterstützung hätte rechnen
dürfen in ihrer schweren Zeit, setzte sie
starres, trotziges Schweigen entgegen. Nur
einmal, als er sie fragte, ob denn keine Aus-
sicht gewesen sei, daß ihr Verführer sie hei-
raten würde, da lachte sie. Und aus diesem
Lachen klang der ganze Groll, die ganze
Verzweiflung eines zerbrochenen und in den
Staub getretenen Herzens. . . . Aber das
Gericht fand darin nur die unbotmäßige
und reuelose Haltung
einer Angeklagten, die
selbst vor der hohen
Stellung des Richterkol-
legiums keinen Respekt
empfindet, und der Prä-
sident rügte dies Lachen
streng.

Dann hielt der Staats-
anwalt sein Plaidoyer:
einZweifel an der Schuld
der Angeklagten könne
wohl kaum bestehen, und
bei ihrem frechen Leug-
nen könne selbst ein Mit-
gefühl für die ja mög-
licherweise Verführte
nicht Platz greifen. Er
bäte die Geschworenen,
sie im vollen Umfang
schuldig zu sprechen.

Nunredeten die beiden
Sachverständigen lange
und gründlich. Der Gy-
näkologe kam zu dem
Schluß, das Kind sei
erstickt, ob mit Absicht
oder nicht, lasse sich nur
schwer feststellen; und
der Psychiater erklärte,
die Angeklagte sei voll-
verantwortlich für ihre
Tat, denn Frauen seien
bei der Geburt eines
Kindes so ipso zurech-
nungsfähig, eine Geburt
sei keine Krankheit.

Danach erfolgte die
Rechtsbelehrung seitens
des Vorsitzenden, die
wiederum einer Verur-
teilung glich, und die
Geschworenen sprachen
nach kurzer Beratung die
Hedwig Mießner der
vorsätzlichen Tötung ih-
res neugeborenen Kindes
schuldig. . . .

Während die Richter aus dem Volke draußen
waren, hatte Herr von Fehrendahl wieder an
den für seinen Sohn bestimmten Brief gedacht,
ihn hervorgezogen und das Kuvert, da sein
Nachbar eben eine Frage an ihn richtete, in
die Akten gelegt. Wie er ihn jetzt, da das Ge-
richt sich zur Beratung zurückziehen wollte, an
sich nahm, verglich sein Auge unwillkürlich die
Handschrift auf dem Kuvert mit der Unter-
schrift der Protokolle: Hedwig Mießner. . . .

Und der Landgerichtsdirektor wurde asch-
fahl. . . .

Das Gericht zog sich zurück.

Aber bald traten die Beisitzer ohne den
Präsidenten wieder in den Saal, und dev eine
von ihnen verkündete mit bedauerndem Tone,
daß die Urteilsverkündung vorläufig ausgesetzt
werden müsse, da der Herr Vorsitzende plötz-
lich schwer erkrankt sei . . .

Die Sonnenfinsternis in veutManü.

beobachte» von dem Spezialaßrotiomen des -wahren Jacob«.
 
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