Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0266
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4836

Oie waMnlle vegehrUchkett.

Michel! Nein, ich kann's nicht glauben,
was man in der Zeitung tieft:

Daß du jeden Tag der Woche
Fleisch zum Mittagbrote ißt!

Gott bewahr'mich! Deiner Väter
Denk' ich, der entschwundnen Zeit,

Da man Hering und Kartoffeln
pries als höchste Seligkeit.

Nur an hohen Feiertagen
Gab es da ein Fleischgericht,

Und man lutschte an den Knochen
Treudeutsch, bieder, fromm und schlicht.

Aber heute! welch ein Abgrund
Zeigt sich meinen Augen dar!

Teures Volk, auf welche weise
Nett' ich dich aus der Gefahr?

Täglich Fleisch! Kein gutes Ende
Künd' ich deiner Lüsternheit,

Künd' ich deinem Übermute,

Der fürwahr zum Himmel schreit!

wenn schon du, mein teurer Michel,
Täglich Fleisch verlangen kannst,

Mit so auserlesnen Sachen
Füllest den Plebejerwanst,

was soll dann erst ein Minister
Lssen, der doch höher steht?

Bleibt denn diesem gar kein Vorrecht,
Übermütiger Prolet?

warnend heb' ich meinen Finger
Bis zur Nasenspitze, und
Zch erklär' es: Solche Neigung
Ist pervers und ungesund!

Heute Fleisch — und Kaviar morgen
Forderst du mit frechem Wort,

Und so schreitet die Lntwicklung
Bis zum Unerhörten fort!

wer so lüstern ist und gierig,

Kennt nicht Achtung und Nespekt —
Und in frevlem Übermute
Fordert Notspohn er und Sekt!

Und in kurzem zeigt stch's, daß du
Körperlich entartet bist,
weil du so viel Leckerbissen,

Die dir ungewohnt sind, ißt!

Kehre zur bescheidnen Denkart
Deiner Ahnen bald zurück,

Und in feuchter Bodenkammer
Gründe dir ein stilles Glück.

Hering und Kartoffeln halten
Fromm und bieder dein Gemüt —

Und nach Feierabend fingst du
Wohlgemut ein geistlich Lied! A. D.

Schnelle Abhilfe.

„Wie viel Hektoliter schenken Sie durch-
schnittlich in der Woche aus?" fragte ein
Stammgast den Bräuhauswirt. — „Ungefähr
fünfzehn Hektoliter," entgegnete dieser. —
„Fünfzehn? Das finde ich wenig," bemerkte
darauf der Gast, „es müßte Ihnen doch ein
leichtes sein, das Quantum auf zivanzig Hekto-
liter zu bringen." — „Das wäre mir schon
recht. Aber wie soll ich das anfangen?" —
„Ganz einfach," meinte darauf lächelnd der
Gast, „schenken Sie in Zukunft Ihre Gläser
richtig voll!"

Die Meuterei aus dem.Fürst Potemkin".

Eine der eigenartigsten Erscheinungen im
Verlauf der russischen Freiheitsbewegung war
zweifellos die Meuterei der Mannschaft auf
dem Kriegsschiff „Fürst Potemkin", welches
einige Tage lang die russischen Machthaber
in atemloser Spannung hielt, da ein Über-
greifen der Meuterei auf die übrigen Teile
der russischen Armee und Marine nicht aus-
geschlossen schien. Von dem Verlauf der
Meuterei ist in einer französischen Revue eine
zusammenhängende Darstellung erschienen, die
wir im folgenden zur Kenntnis unserer Leser
bringen, ohne damit für die Richtigkeit jeder
wiedergegebenen Einzelheit eintreten zu wollen.

Des weiteren sind wir in der Lage, dieser
Schilderung obiges Bild des Führers der
Rebellion, Matuschenko, beizugeben, das
sicherlich lebhaftes Interesse erregen wird. Die
Schilderung selbst lautet wie folgt:

Der Prolog zu der seltsamen Odyssee des
„Fürst Potemkin" spielte sich ain 26. Juni
in Odessa ab. Der Generalstreik war dort
proklamiert worden, und eine auf dem Platz
an der Kathedrale geworfene Bombe hatte
zwei Menschen getötet. Jeder empfand, daß
eine Revolution bevorstand, und man be-
fürchtete schlimme Ereignisse, als in der Nacht
vom 27. zum 28. Juni der „Fürst Potemkin"
in Sicht kam. Auf dem Panzerschiff waren
die Offiziere niedergemacht worden, weil einer
von ihnen durch einen Revolverschuß den
Matrosen Omeltschuk getötet hatte, der Be-
schwerde über das ihm verabreichte schlechte
Essen geführt hatte. Die Mannschaft be-
mächtigte sich unter der Führung des Matrosen

Matuschenko des Schiffes und machte ge-
meinsame Sache mit den Revolutionären, die
unter dem Schutze des „Fürst Potemkin" sich
zu den Herren der unteren Stadt machten.
Der Leichnam des Matrosen Omeltschuk, den
man am Hafen zur Schau stellte, erregte die
Menge, so daß es zu schweren Plünderungs-
szenen kam. An vielen Punkten der Stadt
wurde Feuer angelegt. Die Kosaken konnten
sich nach der Ankunft von fünfunddreißig
Kanonen der Stadt wieder bemächtigen und
nahmen die Matrosen, die Omeltschuks Leich-
nam bewachten, gefangen. Das Panzerschiff
schleuderte, um sich zu rächen, zwei Gra-
naten in die von den Truppen zurückeroberte
Stadt.

Der Schauplatz der Tragödie wurde als-
dann das Meer. Die Schwarze Meer-Flotte,
die den Auftrag hatte, sich der Aufrührer zu
bemächtigen, wagte aus Furcht vor dem Aus-
bruch einer allgemeinen Meuterei nicht, das
rebellische Schiff anzugreifen, und ging vor
Anker. Der „Fürst Potemkin" verließ endlich
Odessa am 1. Juli und ging in die offene
See, Furcht und Schrecken in allen Häfen des
Schwarzen Meeres verbreitend. Er begab
sich nach Theodosia und dann nach Constanza,
wo er die rumänische Behörde aufforderte, ihm
Kohlen und Lebensmittel zu überlassen.

Angesichts der energischen Weigerung der
Stadt wagten die Matrosen nicht, die an-
gekündigten Drohungen zur Ausführung zu
bringen. Sie stachen wieder in See, wobei
sie, um sich frisch zu verproviantieren, die
Schiffe, die ihnen begegneten, plünderten. Am
8. Juli erreichte dieser abenteuerliche Vorgang
sein Ende, als der „Fürst Potemkin", begleitet
von einem Torpedoboot, gegen Mitternacht
600 Meter vom Hafen von Constanza entfernt
Anker warf.

Die rumänischen Behörden hatten alle Maß-
regeln vorgesehen, welche nötig waren, um
Überraschungen zu verhüten. Die elektrischen
Scheinwerfer des rumänischen Panzerschiffs
„Elisabeth" beleuchteten ununterbrochen den
Hafeneingang, die Reede und besonders den
„Fürst Potemkin" und das Torpedoboot, an
deren Bord alles in tiefstem Schweigen zu
verharren schien. Man hatte bald den Ein-
druck gewonnen, daß der „Fürst Potemkin"
zurückgekehrt war, um sich zu ergeben. Der
auf einer Inspektionsreise befindliche Minister-
präsident von Rumänien, Fürst Cantacuzöne,
fuhr sofort nach Constanza.

üm 9'/- Uhr begab sich ein mit zehn Matrosen
besetztes Boot vom „Fürst Potemkin" an Land,
um sofort wieder zum Schiff zurückzukehren.
Zwei an Land zurückgelassene Matrosen be-
richteten, daß die Meuterer nach Constanza
zurückgekehrt seien, um ihre Übergabe unter
der Bedingung zu vollziehen, daß sie nicht
nach Rußland ausgeliefert würden. Von
den zwanzig Mitgliedern des revolutionären
Komitees hätten nur zwei die Übergabe ver-
weigert. Die Mannschaft des „Fürst Potem-
kin" erwarte in einer Stunde die Entscheidung
der rumänischen Behörden. Die Garnison
von Constanza wurde am Hafen zur Vorsicht
für alle Vorkommnisse konzentriert. Eine große
Menge von Neugierigen war ain Ufer ver-
sammelt.

Darauf wurde die Mannschaft des Panzers
ausgeschifft. Die Leute waren sämtlich bereit,
sich zu ergeben, mit Ausnahme des ersten
Führers, Matuschenko, der einige Zeit
zurückblieb in der anfänglichen Absicht, das
Schiff in die Luft zu sprengen. Die Mann-
schaft erklärte, in Rumänien verbleiben zu
wollen, und Matuschenko reiste nach Buka-
rest ab.
 
Annotationen