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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 22.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.6368#0318
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4888

<§L Unser Weitznacht5vaum. m>

Don tausend Kerzen flammt der Weihnachtsbaum,
Don dem man ewig singen wird und sagen,

Denn in Erfüllung ging der kühnste Traum
Den voller Hoffnung wir in uns getragen.

In Rußland barst der Turm der Tyrannei,

Die auf die Köpfe trat und auf die Herzen;

Lllit einem Zauberschlag ward Rußland frei

Und rang sich froh empor aus Schmach und Schmerzen.

In buntem Schimmer blitzt der Weihnachtsbaum,

Ls strahlt aus dem Gezweig in allen Farben;

Die Freiheit schuf im Zarenreich sich Raum,
wieviel der Treusten auch im Kampfe starben.

Durch alle Gauen hallt der Racheschrei,

Zu Donnerschlägen ward das dumpfe Grollen;
Gebrochen ist das Lis der Tyrannei,

Geborsten treibt es hin in morschen Schollen.

In Rußland steht der Dölker Weihnachtsbaum.

Der der entrechteten, enterbten Klaffen!

Dort hielt man noch mit einer Hand im Zaum
Die murrenden, die unbequemen JUaffen.

Dort trug voll Inbrunst man das Sklavenjoch,

Ls herrschte dort, im kaiserlichen Rorden,

Die gottgewollte, heil'ge Ordnung noch,

Die längst im Westen schadhaft war geworden.

wir nennend jubelnd unfern Weihnachtsbaum,

Daß dieser Trost der Herrschenden zerronnen,

Daß sich erwies als Spinngewebe kaum,

was scheinbar man aus Stahl und Erz gesponnen,

Und daß des Gottesgnadentumes Hort,

Den man als unerschütterlich gepriesen,

Als ein Phantom, als leeres, eitles Wort,

Als lächerlicher Popanz sich erwiesen.

wir schwören freudig unterm Weihnachtsbaum,
was wir voll kühnen Höffens oft geschworen,
wird doch aus dieser Dölkerbrandung Schaum
Die Freiheit uns, die göttliche, geboren.

Europa steht, von Schauern tief durchbebt,

Zum zweitenmal vor einer Weltenwende,

Denn was in diesen Tagen wir durchlebt.

Kann nur der Anfang sein vom großen Ende.

Und tröstend sendet dieser Weihnachtsbaum
Den milden Schimmer seiner tausend Kerzen
Bis an des fernsten Südmeers blauen Saum
In der Enterbten kummervolle Herzen.

Der Hoffnung Adler schwingen sich vom Rest,
Sobald die ersten Weihnachtsglocken klangen:

Das Dolk der Arbeit hat ein weihnachtsfest,

Wie wir es heut begehn, noch nie begangen. u. r.

gleiches stecht für alle.

ln Cissa wurde ein adeliger Leutnant, der im Rausche seinen
Burschen erschoss, zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt.

Gin Leutnant von preussisebem Schrot und Korn
Kam nach hause, von Sekt bezecht.

Da geriet er über den Burschen in Zorn,
.Hufbrauste sein adlig Geschlecht,
f-s wogte gewaltig sein blaues Blut,

Der Sekt wogt’ im Rim ihm noch mehr,

Und Jlücbe schnarrend in schneidiger IUnt
Riss er von der Wand ein Gewehr.

Und der Leutnant von preußischem Korn und Schrot
Schoss den Burschen, den vermaledeiten, tot.

Doch so mutig auch diese Macke war,

Der Leutnant musst’ vor Gericht.

Sein Opfer war nur ein Bursche zwar.

Doch das schert die Demesis nicht.

Denn für jeden Preussen gilt gleiches Recht,

Wie’s in der Uerfassung steht;

Ob’s ein Leutnant sei oder nur ein Knecht,

Ob ein Jiirst oder ein Prolet.

Und grässlich gestraft ward vom Kriegsgerichtsrat
Des Leutnants altpreussisch-mutige Cat.

Man hat — o Wahrheit, verhülle dein Rauptr —
Den adligen Leutnant gestraft.

6r kriegte — wer hätte es je geglaubt? —

Zwei Monat Gefängnishaft.

Zu Gefängnis ein preußischer Leutnant verdammt!
Zwei Monat bei Wasser und Brot!

Und dabei schoss er, von Sekt entflammt,

Doch nur seinen Burschen tot!

Beschmutzt ist das ganze Hdelsgeschlecht —

Uerflucht sei das allgemein gleiche Recht.

€ricb Mühsam.

v. Arnim-Schnodderheim
an v.Below-Pleitenburg.

Mein Allerwertester! Tun, rveiß Gott, sehr
recht daran, dieses Jahr gewohnte Berliner
Herbstspritztour ansfallen zn lassen. Bin Ihrem
Beispiel gefolgt und habe ebenfalls auf Ver-
gnügen verzichtet. Verdammtes rotes Ban-
ditennest soll rnal exemplarische Strafe für
nichtsnutzige Stadtverordnetenwahlen haben!
Wäre wahrhaftig wünschenswert, daß ganzer
preußischer Adel sich zusammenschließen und
total verkommene Metropole boykottieren
möchte. Sollten mal sehen, was Berliner
Großschnauzen für Gesichter machen würde»,
wenn in Hochsaison goldbeladene Kamele aus
Ostelbien ausblieben! Jagd-, Amor-, Blumen-
säle sofort pleite, überhaupt Berliner Volks-
wohlstand untergraben: Bande lebt ja bloß
von agrarischen Notgroschen! Werde in nächster
Generalversammlung beantragen, daß auch
Bündlertag nicht mehr in Berliner Zirkus
abgehalten wird. Bomst, Gumbinnen oder
Schievelbein viel geeigneter für standesgemäße
Zusaimnenkunft. Schnaps für Bauernlümmel
auch dort auskömmlich vorhanden und paar
Schock Weiber für Kameraden leicht aus gut-
gesinnten Bürgerkreisen zu beschaffe». Jeden-
falls keine sozialdemokratischen Lasterhöhlen,
sondern Städte mit disziplinierter Bevölke-
rung, die noch weiß, was dem Adel schuldig
ist, und die einem nicht in Hotelbetten nach-
schnüsfelt und jede Pulle Sekt in Magen zählt.
Hoffentlich überlegen sich mal die Sache und
uirterstützen meine» Antrag.

Aus Kolonien nach wie vor erfreuliche Nach-
richten. Südwestafrika einziger Lichtpunkt in
traurigen Zeiten. Kriegführung Gott sei Dank

mal endlich in agrarischem Sinne gehandhabt.
Wenn Sache so feste weiter geht, werden bald
ivieder paar Tausend Hererogäule an Militär-
fiskus zu Liebhaberpreisen losschlagen können.
Habe Dutzend Schinder in Stall stehen, die
zrr nichts zu brauchen und Winter über durch-
gefüttert werden müßte». Auch sonst mit
Kolonialverwaltung sehr einverstanden. Freue
mich namentlich, daß Jesko Puttkamer endlich
aus Kamerun zurückkommt. Kenne ihn von
seiner Königsberger Referendarzeit her und
weiß, ebenso wie Kolonialverwaltung, daß
tatenfreudiger und entschlossener Charakter für
elendes Niggergesindel denn doch zu.schade
ist. Wird hoffentlich afrikanisches Antt irr
Disziplinarverfahren los werden und danir
bald Gelegenheit bekommen, glorreiche Tradi-
tionen seiner Familie auf hohem preußischem
Posten weiter zu pflegen.

Was sagen zu österreichischein Skandal?
Einfach grenzenlos empörend und beschämend.
Was „passive Resistenz" ist, wissen Aller-
wertester natürlich ebensowenig wie ich. Habe
auf Kreisversammlung von Bund und neulich
bei Liebesmahl in Kasino nachgefragt: fein
Mensch eine Ahnung. Finde bedrohlich, daß
revolutionäre Halunken schon mit Fremd-
wörtern wirtschaften dürfen, die bessere Kreise
überhaupt nicht verstehen. Auch über Ruß-
land brauche kein Wort zu verlieren. Letzte
kraftvolle Stütze von unserer Sache, wie
scheint, rettungslos dahingerafft. Bleibt von
ordentlich regierten Ländern neben Deutsch-
land tatsächlich nur noch Türkei übrig, mit
der Regierung schleunigst heilige Alliance
schließen muß, rvenn strammer Absolutismus
und wahre Religiosität nicht in ganz Europa
zum Teufel gehen, sollen!

Inzwischen Ihr Arnim.
 
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