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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 23.1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.6366#0007
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— 4916

»pichlüirgKs Klage Wer die neuen Zeitlänstc.

Bisher war's noch immer halbwegs zu ertragen
Und im allgemeinen keineswegs zu klagen.

Denn im ganzen blieb der rote Demokrat
In den Grenzen, die man weise setzen tat.

Zwar versammeln tat er sich, doch nur in Sälen,
Teils des Umsturz' halber, teils jedoch zum wählen;
In der Regel aber saß die Polizei
Mit dem Säbel und dem Bleistift auch dabei.

In der Jeitung las ich dann am andern Morgen
Gar gemütlich, ledig aller weitern Sorgen,

Die dort angenomm'ne Resolution,

Und ich dachte: „Ra, da kommt auch nichts davon!"

Wohl erregte hie und da es das Geblüte
Und ich sagte lebhaft: „D, du meine Güte,
warum duldet dies denn der Herr Kommissar?"

Aber sonsten sah ich keinerlei Gefahr.

Jetzt indessen wird mir merklich immer bänger
Und die schöne Ruhe habe ich nicht länger;

Zu der Zeitung greife ich mit wilder Hast,

Denn was neues bringt sie alle Tage fast.

Denn es mehren anjetzt schrecklich sich die Zeichen,
Daß die festen Bande aller Ordnung weichen
Und daß unsereinem jeden Abend droht
Kümmernis und Angst und wirklich schwere Rot.

Rämlich in Verachtung aller Paragraphen
Und der drinnen angedrohten strengen Strafen,

Ja sogar der hohen Polizei zum Hohn
Treibt man auf der Straße Demonstration!

Kann man ruhig noch zum Dämmerschoppen gehen,
wenn man gruppenweise muß die Roten sehen?

Ach, ganz plötzlich wird ein großer Zug daraus!
Unsereiner hat doch Weib und Kind zu Haus. . .

Auch in Rußland sing es an mit Demonstrieren,
Gleich darauf kam es zum wilden Revoltieren,
Schließlich ging auch noch der Generalstreik los.

Soll's hier auch so kommen? Dieses frag'ich bloß.

Mensch und Steuerzahler bin ich und verlange,

Daß ich starken Schutz für mein Gemüt empfange,
Damit sorglos ich mein Weib verlassen kann,
wenn der Durst mich kneipwärts treibet dann und wann.

Durchlaucht Bülow, schützen Sie den guten Bürger.
Seien Sie des roten Drachen edler Würger,

Und verbieten Sie, daß ferner überhaupt
Irgendwer sich irgend etwas noch erlaubt! s-cundus.

Die Büßpredigt.

Hört, ihr frommen Reichstagsmannen,
Was Graf pofa zu euch spricht:

„Alle Welt steckt tief in Sünden,

Und es geht fo länger nicht.

„Linsalt, Keuschheit, Gottesglaube,
Dpfermut und milder Sinn —

Sucht man die im Bürgertume,

Findet man sie nicht mehr drin.

„Demut, Sanftmut, Rächstenliebe
Sind verdrängt von Stolz und Haß,
Materiell ist man gesonnen,

Keiner gönnt dem andern was.

„Und drum ist es auch kein Wunder,
Daß in dieser argen Zeit
Leider Gotts das rote Unkraut
Üppig wuchert und gedeiht.

„wollet ihr von dieser Plage,
vielgeliebte, euch besrein,

Müßt ihr neugeboren werden,

Sündlos, selbstlos, sanft und rein.

„Geht in euch und raust des Teufels
Saat aus euren Herzen aus!

Darum" — also schloß Gras posa
„Bitte ich das hohe Haus."

Und die frommen Reichstagsmannen
Jubeln freudig ihr Hurra,

Während links im Lck der Rote
Sieht voll Angst fein Ende nah.

Denn er sagt sich: Wenn des Grafen
Bitten in Erfüllung gehn,

Wenn die Welt wird neugeboren,

Kann ich Böser nicht bestehn.

Wenn vom Pfade schlichter Wahrheit
Rie der Pfaffe sich entfernt.

Wenn der Spießer menschlich fühlen,
Recht von Unrecht scheiden lernt;

Wenn erlischt im Junkerherzen
Wüster Habsucht geile Gier —

Wenn die Katze läßt das Mausen:
Dann, ja dann ist's aus mit mir! 3. s.

Aus der Zentrumsbäckerei.

Gröber handelt Im Reichstag stets mit de» größten
Broten,

bei deren Anschnitt sich aber zeigt, daß sie doch zu viel
Wiirmer haben.

Was zuviel ist. ..

Der Reichsschatzsekretär stand nachdenklich
vorm Stranßenhaus im zoologischen Garte».

„Was frißt so ein Vieh eigentlich den Tag
über?" fragte er den Wärter.

„Na — seine gehörige Portion Weizen, Kleie,
Heu oder Stroh!"

„Und wenn er die nicht kriegt..."

„Dann frißt er halt die Borke von der
Stallwand und den Besuchern die Hüte vom
Kopf weg."

„Aber wenn man da nu Draht drum herum
macht, so daß er nicht 'ran kann . .."

„Dann schluckt er eben runter, was sonst
da ist: Kieselsteine. . . Flaschenscherben . . .
Mist... die eigenen Federn."

„Und bleibt dabei immer kreuzfidel und
gemütlich?"

„Immer!"

„Braves Tier das —" meinte der Minister:
„Hat 'ne Seele wie das deutsche Volk."

Hierauf griff er in die Tasche und steckte
ihm, weil der Wärter gerade nicht hinsah,
die Entwürfe zur Reichsfinanzreform in den
Schnabel.

Morgens drauf war der arme Strauß
verreckt, Sous-Marin.

Zeitgemäßer.

Wer kannte wohl das Sprichwort nicht,
Daß Glück und Glas gar leicht zerbricht?

Jedoch die Zeiten ändern sich
Und jedes Sprichwort läßt im Stich.

Zerbrechlicher sind zweifelsohne
Zur Zeit: ein Thron und eine Krone.
 
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