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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 23.1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.6366#0018
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4928

-5* Der 22. Januar. -Z-

Das war der blut'ge Tag der Greuel,
Der Tag der Schande und der Schmach,
Das Erntefest des Friedenszaren,

Des Rnutenfürften Opfertag.

Ls naht das Volk, um ihn zu bitten,
Zu bitten um fein heil'ges Recht,
Gebeugten Haupts vor seinem Throne
Erschien es als getreuer Rnecksi.

Ls kam das Rind zum lieben Vater
In Demut und Bescheidenheit —

And in des lieben Vaters Namen
Gab der Rosak ihm den Bescheid!

Doch aus der Nacht voll Blut und Leichen
Stieg aus zum Licht ein neuer j)fad,

Ls sproßte aus den Totenseldern
Der Freiheit srühlingsgrüne Saat.

Lin wutschrei gellt von Land zu Lande
Und weckt ein Echo tausendfach,

Der Racheengel rührt die Schwingen,

Der Sturm bricht los, das Volk wird wach!

Die Uerker öffnen ihre Tore,

Der Blick wird frei, die Fessel fällt,

Und aus des Zarenreiches Trümmern
Lrhebt sich eine neue Welt!

Zweitausend blieben auf der Strecke,
Rot färbte sich das Newa-Eis,

Und unter den Nagaikahieben
Verröcheln Weib und Rind und Greis.

Zum Wiegenfest der Völkerfreiheit
ward uns der blut'ge Tag der Schmach —
Drum Heil ihm, den wir heut' begehen
Als neuen weltenfeiertag! 3.3.

Die Strassenscblacbt in Moskau.

„Wo kommst du her in dem roten Kleid
Und färbst den Schnee auf dem weiten Plan?“
„Ich komm' aus blutigem Illännerstreit,

Ich komme rot von der Gbrenbabn;

Wir haben die blutige Schlacht geschlagen,

Drob müssen die Mütter und Bräute klagen,

Da ward ich so rot.

„Sag’ an, Gesell, und verkünde mir,

Wie heisst das Land, wo ihr schlugt die Schlacht?“
„Das Mütterchen Moskau ward Mordrevier,

Das manches Auge voll tränen macht:

Da flogen die Kugeln wie Winterflocken,

Und tausenden musste der Mein stocken
In llloskan, der Stadt.“

„Wie hiessen, die willig geopfert de.» Leih,
jils die roten Jahnen gerauscht im Wind?“

„6s stritten heroisch Mann und Weib,

Es schleuderte Bomben selbst das Kind.

Die Männer der Arbeit mit trotzigen Zügen,

Und sie, die mit Rim und mit Jeder pflügen,

Die zogen all ans.“

„Und siegte zuletzt des tyrannen Macht
Und zwang er aufs Knie der Empörer Keihn?“
„Acht tage tobte die Strassenscblacbt,

Dann schlief der Kampf vor Erschöpfung ein,

Und was sich verzog aus dem Pulverdampfe,

Das rüstete nur zu erneutem Kampfe,

In finstrem trotz.“

„0, das tut wohl! Rabe Dank, Gesell!

Das war ein Klang, der das Rerz erfreut!

Das klang wie Janfarengescbmetter hell !

Rab’ Dank der Mär von dem blut'gen Streit!

Lass’ Witwen und Bräute die toten beklagen,

Wir singen wohl noch in spätesten tagen
Die Moskauer Schlacht.“

0 Moskau, uralte Zarenstadt,

Dir ward ein leuchtendes Ehrenmal;

$0 lange rollet der Jahre Rad,

So lange scheinet der Sonne Strahl,

So lange die Ströme zum Meere reisen,

Wird noch der späteste Enkel preisen
Die moskauer Schlacht. k.:.

Der Zauberer Spahn.

Wer sagt, es gab’ keine Wunder heut,

Der täuscht sich in dieser nüchternen Zeit.

Ach, Wunder gibt es noch mehr als genug,

Wen» mancher sich dafür auch dünket zu klug.

Magst, Michel, du nur zm» Reichstag geh’n.
Dort wirst d» dein blaues Wunder wvbl seh’n.
Der Zaubrer dort mit dem Zylinderhut,

Li, der verstebk seine Sache gut.

Geheimnisvoll steht der Lut auf dem Tisch,
Der Zaubrer beginnt sein Spiel seht frisch.
Und sieh, es bringt der flinke Jongleur
Zunächst drei weiße Kugeln daher.

Der Kugeln Namen klingen nicht schlecht.

Sie heißen „Wahrheit" und „Freiheit" und „Recht",
Er wirbelt sie durcheinander so schön,

Gar unterhaltend ist's anzuseh'n.

In höchstem Bogen geschleudert so gut
Die Kugeln fliege» hinein in den Lut,

Der Zaubrer deetr ihn gewichtig zu.

Tut drüber sein Zaubersprüchlein in Ruh'. --

Er öffnet und ah! rings tönt es im Chor,

Es fliege» drei Raben tiefschwarz empor,

Die krächzen zusammen mit dumpfem Ton
Lin über das Volk: Reaktion! Reaktion!

Und in seinem Schnabel, schau Michel, wie nett!
Trägt jeder ein zierliches Steuerbouketk,
Verschwunden sind „Wahrheit", „Freiheit" u. „Recht",
Der große Jongleur, der zaubert nicht schlecht.

Ungläubiger Michel, du bist überführt.

Daß ganz Unbegreifliches heut’ noch passiert.

Und daß überraschende Wunder tut

Der fromme Lerr Spahn im Zylinderhul. H. FI.
 
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