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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 23.1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.6366#0026
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4936

Stammtisch und Kegelklub.

Willst du erfahren, wo gedeiht
Die Geisteswürze unsrer Zeit?

Wo sich entladen ganz und voll
Des Bürgers Stolz, des Bürgers Groll?
Von wo fein Blick ins fernste Land
Äinausschweift, kühn und wutentbrannt?

Wo Mannesmut sich zeiget? — hupp! —
Am Stammtisch und im Kegelklub!

Am Stammtisch - da wird's ausgedacht,
And manches Loch drauf ausgebracht,

Was Deutschland not: ein großes Leer,

And Schiffe immer noch viel mehr!

Am Stammtisch, wenn die Nasen glüh».
Gedenkt man unsrer Kolonien,

Verspeist die Schwarzen nur so — schwupp! -
Am Stammtisch und im Kegelklub!

Im Kegelklub — da zeigt er sich.

Der brave Krieger, fürchterlich —

Darf er im männlichen Verein

Den innern Feind hau'n kurz und klein!

Am Stammtisch wird es offenbar.

Wie festgeschirmt Thron und Altar;
Bestände Deutschland ohne die
Im Kegelklub? Am Stammtisch? — Nie!!!

_, Dr. Ei.

Kulturbilder a us verdeutschen Gegenwart.

I. Oer Arbeitsmann.

Der Arbeitsmann ist der einzige, der sich
in Deutschland einer absolut gesicherten Exi-
stenz erfreuen kann. Während der Landwirt
beständig vor Seuchen zittert, die ihm seinen
Viehstand zerstören, während der Börsianer
nur mit Hangen und Bangen den Kurszettel
studiert, der ihm vielleicht die Tatsache ent-
hüllt, daß er über Nacht zum Bettler gewor-
den sei, darf der Arbeiter tagaus tagein den
fröhlich verdienten Lohn in die Schenke tragen.
Nach lustigem Becherkreisen eilt er nach Hause,
weiß er doch, daß er daselbst sein blühendes
Weib, seine rosigen Kinder um den Tisch ver-
sammelt findet, wo sie sich nach Herzenslust
aus der vollen Kompottschüssel laben können.

Wie gerne möchte mancher Fabrikant, dessen
vor Sorgen früh ergrautes Haupt von der

ungetreuen Gattin mit Hörnern geschmückt
wird, sein Los gegen das seines schlechtbezahl-
testen Arbeiters eintauschen! Wer weiß denn,
ob nicht morgen seine Fabrik infolge eines
Streiks leer steht und er um Hab und Gut
gebracht ist?

Aber kein vernünftiger Arbeiter wird auf
einen solchen Tauschhandel eingehen. Ihm
kann nie ein böses Verhängnis die sichere
Grundlage seiner Existenz rauben, und selbst
für den Fall einer voriibergehenden Geldbeutel-
verstimmung ist ihm die leichte Möglichkeit
geboten, sich vermittelst einer Majestätsbeleidi-
gung oder dergleichen für die nächsten Monate
eine völlig ausreichende Versorgung zu be-

Grundsähliche Bedenken.

„Wat tu' tcl mit dem Jequassel von die freie Liebe?
Dte lejttimen Ehemänner find for »nsereenen die jesunde
Jrundlage von's janze Jeschäft!"

schaffen. So sehen wir, daß in keinein Staate
der Welt ein solches Paradies für den Arbeits-
mann zu finden ist, wie in Deutschland.

2. Oer Junker.

Ein erfreuliches Bild von rein idealistischer
Weltanschauung bietet uns inmitten der all-
gemein sich steigernden Genußsucht und Be-
gierde nach reellen Gütern der ostelbische
Junker dar. Er erhebt sich pünktlich beim
ersten Morgengrauen von seinem harten Lager,
das er, wenn verheiratet, öfters mit seiner
Gattin teilt, und begibt sich, ein trockenes
Stück Brot in der Tasche, auf seine Besitzungen,
an Fleiß und Genügsamkeit solcherart dem
geringsten Taglöhner ein aneiferndes Beispiel
gebend! Nur selten gönnt sich der Junker ein
bescheidenes Vergnügen in Form eines Theater-
besuchs, wobei wir ihn dann regelmäßig das
billigste Billett, Stehplatz auf der vierten
Galerie, lösen sehen. Hat er sich so an unseren
Klassikern erbaut und gestärkt, vom Tingel-
Tangel hält er sich wegen seiner streng mora-
lischen Grundsätze überhaupt fern, — dann
ivendet er sich ivieder der rauhen Feldarbeit zu.

Dieser außerordentlich einfache» und nüch-
ternen Lebensweise ist es auch zu danken, daß
das Junkertum der einzige Stand des Reiches
ist, der grundsätzlich keine Schulden inacht und
das Wechselrecht nur vom Hörensagen kennt.
Die Liebe zum heimatlichen Vieh nimmt in
seinem Herzen die erste und letzte Stelle ein,
so daß darin andere Neigungen, etwa für
Mädchen aus der dienenden Klasse oder gar
vom Ballett, von wegen Raummangels keinen
Eingang finden.

Und so wie er selbst nach Kräften zum
Gedeihen des nationalen Wohlstandes bei-
trägt, ebenso weiß er auch seine Kinder zu
nützlichen Staatsbürgern zu erziehen; die an-
gestrengtesten und hingebungsvollsten Berufe,
wie die der Ärzte, Lehrer, sowie die brotlosen
Künste werden bekanntlich fast ausschließlich von
Junkern ausgeübt. Leider ist unsere Bevölke-
rung noch immer nicht zur Einsicht gekommen,
daß sie im Junkertum die aufs höchste ent-
wickelte Blüte der Kulturmenschheit zu erblicken
habe und sich glücklich schätzen sollte, eine solche
Rasse zu besitzen. Hoffen wir jedoch, daß dies
bald anders wird! M. <s.
 
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