Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 23.1906

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.6366#0373
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3tfuftrirfe

UirtAchLLtAirZS-BriTagr

des wahren Jacob

Friede auf Erden.

Aus tausend Kirchen Glockenklang
Und Orgelton und frommer Sang
And schöne, bunte Lichter.

Der Pfaff zerfleußt vor Seligkeit
Und Frieden allem Menschenleid
Verkündet und verspricht er.

Der brave Bürger ist gerührt.

Schon bei der Predigt er verspürt
Ein hoffnungsfrohes Ahnen —

Die frohe Botschaft ist kein Wahn,

Wie ihn die Äimmelsworte an
Den Festtagsbraten mahnen!

And Frieden rings. Siesta hält
Vom Mittagsmahl die fromme Welt,

Die guten Bürgersleute.

Sie aßen gut und träumen lind
Wie glücklich alle Menschen sind —

Denn Feiertag ist heute!

Nur draußen, wo die Gassen schmal.

Die Läufer schmutzig, arm und kahl,

Da will's nicht Festtag werden —

Bracht man denn euch die Kunde nicht,
Daß alle Not zerbrochen liegt
Und Friede ist auf Erden?

Lahahaha! In Löchern dumpf
Da hockt das Elend irr und stumpf,

Die Leiber matt und blutlos.

Der Blick vergrämt und tränenleer.

Die Seele düster, schwarz und schwer,
Verzweiflungsvoll und mutlos. —

Geht — löst die Glocken aus dem Turm
And läutet Blut und läutet Sturm,

Fort, fort mit den Schalmeien!

In Not versinkt die Menschheit schier.
Was, Pfaffen, und da greinet ihr
Uns Friedenslitaneien? A.D.

Veilchen.

Eine WeihnachlSgeschtchle.

sich durch die Straßen und sah verwundert
durch die Fenster der Häuser auf die schroffen
Gegensätze von arm und reich! Dem einen
bereiteten ein Dutzend Hände und mehr die
Gaben des Weihnachtstisches, und dem an-
deren reichten nur zwei mühselig schaffende

Hände eine arme Gabe, und dem, der gibt,
und dem, der empfängt — beiden tut das
Herz weh. ■ .

Der Druckereibesitzer Kaufhardt, der schon
zum Fortgang gerüstet war, durchschritt noch
einmal die Räume seines Betriebs, um sich
der frohen Gesichter seiner Angestellten zu
freuen, die soeben ihre Weihnachtsgratifi-
kationen erhalten hatten, als ihm der Ausgeh-
junge in den Weg lief: „Philipp", sagte er,
„komm mal her!" Und er schritt ihm voraus
in sein Privatkontor.

„Du bist erst seit Ostern bei uns", Hub er
nun an, „und hattest deshalb noch keinen An-
spruch auf etwas Extras heut — aber du hast
dich gut geführt, und ich weiß, daß du keine
Eltern mehr hast, und kurz und gut, ich wollte
dir heute nur sagen, daß ich in deinem Alter
auch so arm war wie du; bleib weiter brav,
mein Junge, und das hier nimm — weil's
heute Weihnacht ist."

Aus der Hand des Herrn glitt in die des
Jungen ein blankes Zwanzigmarkstück. Phi-
lipp Lang wußte nicht wie ihm geschah. Aber
er fand sich doch schnell in seinen Reichtum.
Denn er war nicht nur ein braver Kerl, son-
dern auch ein praktisches Männlein. Die Schule
der Not und des Elends erzieht selten zum
Guten, öfter zu einer gewissen praktischen Art,
die leicht ausartet in List und Trug. Aber es
gibt auch in Not und Elend junge Menschen-
blüten, die ihren Kopf zum Licht heben. Und
so einer war Philipp. In ihm war eine innere
Kraft. Grade weil seine Umgebung und all das,
was sich ihm in dem Wort „zu Haus" zusammen-
faßte, so zerrüttet und elend war, strebte er zu dem
Guten, er liebte es, weil es ihm schön erschien.

Zunächst wechselte er das Zwanzigmarkstück;
zehn Mark wurden ein paarmal eingewickelt
und in die tiefsten Gründe seiner Westentasche
versenkt — als Grundstock eines Kapitals, das
ja schnell anwachsen mußte, wenn ihm das.
Glück weiter so hold war. Zehn Mark wurden
ausgegeben. Ja, da konnte man einmal nach
Herzenslust von allem Schönen nehmen! Er
kam sich wie ein Verschwender vor, aber er
machte sich doch keinen Vorwurf, er kaufte ja
für sich nichts, als ein billiges, grobwolliges
Halstuch. Seiner Ziehmutter, einem schmäh-
süchtigen Obstweib, die sicher an diesem Abend
mit keinem Gedanken an ihn dachte, bestimmte
er ein Paket Lebkuchen und ein Paar Filz-
schuhe. Das übrige Geld aber fand eine viel
vornehmere Verwendung. Dafür wurden Nüsse
und Apfel und feine Anisbrötchen, Lichter und
Flitter, ein Tannenbäumchen und eine große,
weiche, warme Decke — ja ein buntes Band
gekauft — und zu allerletzt in einem prächtig
erhellten Laden, der voll Duft war, Veilchen —
eine Handvoll lieber, süßer Veilchen. . . von
weither . ..

Und dann stürmte Philipp heimwärts. Wie
hüpfend ging sein Herzschlag vor Freude —
und auch er hüpfte seines Wegs. Zu solcher
Stimmung paßte kein Gehen. In einer alten,
schmutzigen, dunklen Mietskaserne war sein
Heim, im Hinterhaus drei Treppen hoch, auf
einem Flur, der gleichzeitig zu vier „Woh-
nungen" gehörte.

Die Obstfrau kam nie vor zehn Uhr nach
Haus, so blieb Philipp ungestört. Nach einer

halben Stunde trat er wieder aus der Stube.
Das Bäumchen war aufgeputzt, alles, was er
gekauft, zwei-, dreimal in Papier gehüllt —
so schlich er noch eine Stiege höher, huschte
über einen langen Gang, stellte seine Weih-
nachtslast auf die Erde und öffnete behutsam
eine Tür.

„Marie!" rief erleise in den dunklen Raum.
Und aus einer Ecke antwortete es: „Ja —
bist du's — Fips?" — „Bist du allein?" —
„Wie immer —" sagte das müde Stimmchen.

— „Dann — wart einmal —"

Vor der Tür steckte er die Lichter seines
Bäumchens an und trat dann mit einem Mal
über die Schwelle. O, war das ein Glanz!
Die Armseligkeit, die Verlotterung der ganzen
Stube schwand dahin, golden war alles im
strahlenden Licht, wie ein Jubeln klang es
von der dürftigen Lagerstatt in der Zimmer-
ecke, zwei magere Händchen patschten dabei
zusammen, und Marie rief: „Geh — Fips —

das ist zu schön-o du fröhliche —

o du selige . . ." sie wußte das Lied nicht mehr
richtig, denn sie war schon seit einem Jahr
ihrer Krankheit wegen nicht in der Schule
gewesen, aber nach einer Weile rief sie jubelnd
von neuem: „Weihnachten — Weihnachten —"

Marie war viel, viel ärmer als Philipp,
obgleich sie noch ihre Eltern hatte. Aber der
Vater tat nichts und kam nur nach Hause,
um seinen Rausch auszuschlafen und um sein
Weib, das tagsüber bis in den späten Abend
hinein mit einem Leierkastenmann umherzog,
zu prügeln. Und Marie war krank, unheilbar.
Sie siechte dahin, und wenn ihr magerer
Körper auch schwer litt, schwerer litt ihre kleine
Seele; kaum ein Stück trockenes Brot erhielt
sie von den Eltern, aber Vorwürfe allezeit,
weil sie krank war und nichts verdienen konnte,
und oft schon hatte sie es hören müssen,
warum sie lange zögere mit dem Sterben.

„Aber Fips, wie kommst du dazu; zu all
der Pracht?"

„Ja — das möchtest du gerne wissen — sehr
einfach — weil ich ein reicher Mann bin!"

Und dann erzählte er ihr alles. Dabei stellte
er das Bäumchen vor sie hin auf die Erde
und packte seine Überraschungen aus: dieNüsse,
die Äpfel und die Anisbrötchen, das bunte
Band und die schöne, warme Decke. . . und
die Leckerbissen zum Weihnachtsschmaus: ganz
weißes, feines Brot und herrliche, rote Wurst
und ein Stück rosigen, gekochten Schinken.

Es gibt nichts Unglückseligeres auf der Welt,
als arme Grobstadtkinder! In diesem Wort
liegt eine Welt von Jammer. Den hatte die
dreizehnjährige Marie ausgekostet bis auf den
Grund, sie war darin manchmal fast erstickt,
aber ihr schien es jetzt, als läge das alles weit
hinter oder unter ihr, als sei es abgetan für
immer, ihre Seele schwebte über dem häßlichen,
dunklen Moor wie eine jubelnde Lerche im
Frühling. Als alles genugsam betrachtet war

— das Schönste blieb doch das Bäumchen in
seinem strahlenden Glanz— begann das Mahl.
O, so gut hatte es noch nie geschmeckt! Phi-
lipp aß jetzt und hatte keine Zeit zur Unter-
haltung, aber Marie plauderte fortwährend.
Sie war ganz Aufregung und Freude. Zu-
guterletzt wurden die Nüsse und Äpfel und
die Süßigkeiten probiert. Mit einem Male
stand Philipp auf.

»«« ,Ä**br*Ä Ur. 5L3«. 190h
 
Annotationen