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„So — das Bäumchen stellen wir jetzt auf
den Tisch dort, neben den Schrank; mögen die
Lichter auslöschen! Ist Öl in eurer Lampe?
D, es reicht schon, und nun sieh — jetzt gibt
es noch etwas . . . etwas, was du dir neulich
so sehr gewünscht hast —"
Und er nahm seine Veilchen und warf sie
Marie auf das Bett, über das sie jetzt die
schöne wollene Decke gebreitet hatte. Da ging
der Jubel von neuem an. Ein jedes einzelne
nahm sie und meinte, ein jedes habe einen
besonderen Duft. Ihre Wangen glühten, ihre
dunklen, tiefen, von Schmerz und Leid sprechen-
den Augen hatten einen eigenen Glanz, fieber-
heiß waren die abgemagerten Hände. Aber
glücklich war sie — überglücklich, und auch
Philipp, der neben ihrem Bett saß und nun
von seiner Zukunft sprach.
„Weißt du noch die Veilchen, die wir zu-
sammen gesucht, Fips?" unterbrach ihn Marie.
„Ja, draußen am Anger, es war im vor-
vorigen Frühjahr, seitdem ist der Platz dort
verbaut, Kohlenhaufen und Fabriken sind dort,
wo wir gesucht haben ...," und er kam wieder
auf seine Pläne zurück: „Es ist, glaube ich,
gar nicht so schwer, reich zu werden, Marie;
weißt du, mir ist's, als wüßte ich ganz genau
den Weg, als müßte es mir gelingen. . . ."
Er schwieg eine Weile. „Dann aber, dann
wirst du auch wieder gesund, und suchst auch
wieder Veilchen, nicht — willst du? Veilchen,
die blühen dann in unserem Garten, in einem
Garten, wie sie vor der Stadt sind, wo die
reichen'Leute wohnen in den schönen Häusern,
und dann kaufe ich dir noch viel mehr als
heute, Kleider — schöne Kleider. . .."
Marie schien von ihrem Glück und ihrer
Aufregung ganz müde geworden zu sein. Sie
hatte, ohne es zu wissen, die Augen geschlossen,
und der Kops war auf die Seite gefallen, er
lag beinahe auf Philipps Schulter. Jetzt aber
fuhr sie auf: „O, wenn du mir ein Kleid kaufst,
dann muß es so eins sein, wie ich einmal hatte,
früher — ganz früher. . . ."
Und sie dachte an ein hellblaues,verwaschenes
Kattunkleidchen, welches ihr Stolz gewesen war,
als wohl die Not, aber noch nicht das Elend
bei ihnen war. Ach, es konnte doch schön sein
auf der Welt! Sie hob den Blick zu Philipp
und sah ihn eine Weile an, ohne etwas zu
sagen. Dann lachte sie leise: „Ich danke dir,
Fips, aber jetzt, jetzt bin ich müde. . . ."
„Dann ruh dich ein bißchen." Da raffte sie
ihre Veilchen zusammen, dicht, ganz dicht an
sich und legte ihren Kopf wie selbstverständ-
lich an Philipps Schulter; ein Lächeln huschte
dann und wann über ihre Züge, sie mochte
träumen, träumen von Weihnacht und Erden-
glück, von Licht und Schönheit. Und auch
Philipp träumte mit offenen Augen goldene
Träume von dem, was da werden sollte —
und werden konnte ... immer höher, immer
leichter schwebten sie — und als die Glocken von
den Türmen das Weihnachtsfest einzuläuten
begannen, da trugen die Klänge seine Sehn-
sucht in ungemessene Weiten. ...
Er wurde nicht müde dieser Gedankenfahrt
in die Ferne, nicht müde dieser schweifenden
Träume, und war doch gerade so müde wie
Marie. Jeden Morgen mußte er schon um
fünf Uhr auf sein, der Ziehmutter Holz spalten
und zum Gärtner fahren, um ihr Obst zu holen
und dann um sieben Uhr an die Arbeit bis
wiederum um sieben Uhr — und heute noch
die Freude dazu, die große, große Freude.. . .
Und so sah er es nicht, daß ein Licht des
Christbäumchens im letzten Ausflackern einem
Wollfetzen zu nahe gekommen war, der aus
dem Schrank heraushing, daß er weiterglomm
und die alten Lumpen im Schrank ansteckte,
und daß schließlich immer mehr und mehr ein
Qualm die Stube füllte, und hier und da ein
Flämmlein züngelte und leckte — weiter und
weiter-
Die ganze Mietskaserne brannte in der Christ-
nacht ab. Erst am anderen Morgen fand man
unter den Trümmern Philipp und Marie; sie
waren nicht zerschmettert worden, zwei Balken
hatten sich über sie gelegt und sie geschützt.
Noch im Tode hielten sie sich fest umschlungen.
Und als man die Leichen voneinander löste,
fand man zwischen ihnen, kaum verwelkt, süß
und lieblich duftend — Veilchen — Veilchen
von weither. h. f.
„So — das Bäumchen stellen wir jetzt auf
den Tisch dort, neben den Schrank; mögen die
Lichter auslöschen! Ist Öl in eurer Lampe?
D, es reicht schon, und nun sieh — jetzt gibt
es noch etwas . . . etwas, was du dir neulich
so sehr gewünscht hast —"
Und er nahm seine Veilchen und warf sie
Marie auf das Bett, über das sie jetzt die
schöne wollene Decke gebreitet hatte. Da ging
der Jubel von neuem an. Ein jedes einzelne
nahm sie und meinte, ein jedes habe einen
besonderen Duft. Ihre Wangen glühten, ihre
dunklen, tiefen, von Schmerz und Leid sprechen-
den Augen hatten einen eigenen Glanz, fieber-
heiß waren die abgemagerten Hände. Aber
glücklich war sie — überglücklich, und auch
Philipp, der neben ihrem Bett saß und nun
von seiner Zukunft sprach.
„Weißt du noch die Veilchen, die wir zu-
sammen gesucht, Fips?" unterbrach ihn Marie.
„Ja, draußen am Anger, es war im vor-
vorigen Frühjahr, seitdem ist der Platz dort
verbaut, Kohlenhaufen und Fabriken sind dort,
wo wir gesucht haben ...," und er kam wieder
auf seine Pläne zurück: „Es ist, glaube ich,
gar nicht so schwer, reich zu werden, Marie;
weißt du, mir ist's, als wüßte ich ganz genau
den Weg, als müßte es mir gelingen. . . ."
Er schwieg eine Weile. „Dann aber, dann
wirst du auch wieder gesund, und suchst auch
wieder Veilchen, nicht — willst du? Veilchen,
die blühen dann in unserem Garten, in einem
Garten, wie sie vor der Stadt sind, wo die
reichen'Leute wohnen in den schönen Häusern,
und dann kaufe ich dir noch viel mehr als
heute, Kleider — schöne Kleider. . .."
Marie schien von ihrem Glück und ihrer
Aufregung ganz müde geworden zu sein. Sie
hatte, ohne es zu wissen, die Augen geschlossen,
und der Kops war auf die Seite gefallen, er
lag beinahe auf Philipps Schulter. Jetzt aber
fuhr sie auf: „O, wenn du mir ein Kleid kaufst,
dann muß es so eins sein, wie ich einmal hatte,
früher — ganz früher. . . ."
Und sie dachte an ein hellblaues,verwaschenes
Kattunkleidchen, welches ihr Stolz gewesen war,
als wohl die Not, aber noch nicht das Elend
bei ihnen war. Ach, es konnte doch schön sein
auf der Welt! Sie hob den Blick zu Philipp
und sah ihn eine Weile an, ohne etwas zu
sagen. Dann lachte sie leise: „Ich danke dir,
Fips, aber jetzt, jetzt bin ich müde. . . ."
„Dann ruh dich ein bißchen." Da raffte sie
ihre Veilchen zusammen, dicht, ganz dicht an
sich und legte ihren Kopf wie selbstverständ-
lich an Philipps Schulter; ein Lächeln huschte
dann und wann über ihre Züge, sie mochte
träumen, träumen von Weihnacht und Erden-
glück, von Licht und Schönheit. Und auch
Philipp träumte mit offenen Augen goldene
Träume von dem, was da werden sollte —
und werden konnte ... immer höher, immer
leichter schwebten sie — und als die Glocken von
den Türmen das Weihnachtsfest einzuläuten
begannen, da trugen die Klänge seine Sehn-
sucht in ungemessene Weiten. ...
Er wurde nicht müde dieser Gedankenfahrt
in die Ferne, nicht müde dieser schweifenden
Träume, und war doch gerade so müde wie
Marie. Jeden Morgen mußte er schon um
fünf Uhr auf sein, der Ziehmutter Holz spalten
und zum Gärtner fahren, um ihr Obst zu holen
und dann um sieben Uhr an die Arbeit bis
wiederum um sieben Uhr — und heute noch
die Freude dazu, die große, große Freude.. . .
Und so sah er es nicht, daß ein Licht des
Christbäumchens im letzten Ausflackern einem
Wollfetzen zu nahe gekommen war, der aus
dem Schrank heraushing, daß er weiterglomm
und die alten Lumpen im Schrank ansteckte,
und daß schließlich immer mehr und mehr ein
Qualm die Stube füllte, und hier und da ein
Flämmlein züngelte und leckte — weiter und
weiter-
Die ganze Mietskaserne brannte in der Christ-
nacht ab. Erst am anderen Morgen fand man
unter den Trümmern Philipp und Marie; sie
waren nicht zerschmettert worden, zwei Balken
hatten sich über sie gelegt und sie geschützt.
Noch im Tode hielten sie sich fest umschlungen.
Und als man die Leichen voneinander löste,
fand man zwischen ihnen, kaum verwelkt, süß
und lieblich duftend — Veilchen — Veilchen
von weither. h. f.