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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0046
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— 5331

Der Kandidat: Ah, Herr Müller! Außerordentlich erfreut, Sie zu sehen.
Der Wähler: Keine Ursache! Ich habe schon gewählt.

vernburg als vichter.

Berr vernburg macht jetzt Verse - 0ar schwungvolle Poesien
Er ist ja längst bekannt Bat er in Ziffern gemacht,

Als phantasievollster Dichter Gr hat schon Überbote»

Im weiten deutschen Land. Längst tausend und eine Nacht.

IDit Bold und Diamanten
Dichtet das Land er uns voll -
Das Land der Dichter und Denker
UJird vor Dichteritis noch toll.

<ss lioDelfpäne. r©

Wenn brave Spießer treu und bieder
Anstimmen ihre frommen Lieder,

So stimme lieber nicht mit ein,

Und sei's auch bei — der „Wacht am Rhein"!

Es trifft dich ein erboster Blick
Und eine Hand saßt dein Genick;

Dan» wundervollen Schwunges saust
Aus dich herab die Schutzmannsfaust. . .

So war ja stets der Dinge Lauf.

Neugierig aber sind wir drauf,

Ob alle, denen das passiert,

Nun ganz und gründlich sind kuriert. . .

Die Nationalliberalen sind stolz auf ihre Rekruten: die früheren
Nichtwähler. Natürlich — wer von Politik nichts versteht, wählt
nationalliberal! . ,

Ein Fichtenbaum steht einsam
Auf kahlem Felsgestein.

Ihn fröstelt: ihm fallen die Wahlen
Vom Januare ein.

Er träumt von einer Palme
Mit bittrem Schmerz und Kummer:

Der deutsche Liberalismus

Schläft drunter den letzten Schlummer. . .

Deutschland sitzt im Sattel? — Mir scheint: Deutschland ist ge-
sattelt und soll jetzt konservativ-liberal zugeritten werden!

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Lieber Jacob!

De Wahlen wären ja nu mit Jottes Hilfe
jlicklich ieberstanden un bet siegreiche freisinnije
Birjertum, bet noch ebent ’n jroßmächtijes
Jubeljetöse veranstaltet hatte, is'n bisken kleeu-
laut jeworden. Indem bet et de Rejierung
de Kastanijen aus bet Feier jepolkt hat, hat
et sich selber im Wurschtkeffel jesetzt, aus den
et nu zu de alljemeene Velustijung Eiropas

Heil dir im Sieger ...

nick rvidder 'raus kann. Der Triumphzug der
birjerlichen Reichsstitzen vor bet keenigliche
Schloß un de pollezeiliche Bewillkommnung
uff de Puppenbricke scheint de Jemieter ooch
'n wenig abjekiehlt zu haben. Jlicklicherweise
is keen Menschenleben nich dabei zu beklagen
jewesen. De staatserhalteuden Köppe hielten
de Schutzmannsplempen stand, denn wat 'ne
richtije näzjonale Bejeisterung is, die wohnt

a

... Kranz! ...

Jott sei Dank noch immer unter sehr wider
standsfähije Schädeldecken.

Aber nich bloß de Freisinnijen, sondern ooch
de Rejierung is, wie et scheint, mit de Wahlen
nich so janz zufrieden. De schwarzen Brieder,
jejen die der Krieg besonders jefiehrt wurde,
sind wohlbehalten aus det Treffen hervor-
jejangen un der Zentrumsturm hat sich wieder
mal als 'ne vollkommen sturmfreie Bude be-
wiesen. Dem tapferen Bundesrat wird nu
woll nischt anderes nich iebrig bleiben, als
zu Kreiz zu kriechen un vor de schwarze Neben-
rejierung 'n janz krummen Buckel zu machen.
Det Verjniejen hätte er vor de Wahlen ooch
schon haben kennen, un sojar 'n bisken billijer.

Jedenfalls werden wir jetz endlich de oft
versprochenen herrlichen Zeiten bestimmt ent-
jejenjehen. Ick bin schon recht neijierig druff.
Det Wahlrecht wackelt un de Reaxion plustert
sich mächtig uff. De Ajrarjer platzen aus ihr
notleidendes Fett »n de Preise for alle not-
wendijen Lebensbedirfnisse jehen in de Heehe.
Abjesehen von de Majestätsbeleidijungen —
die sollen in't Jejenteil billijer werden. Aller-
dings nich for't Proletariat, det sonne Ver-
brechen immer mit Fleiß un aus pure Bos-
haftigkeit beseht, sondern hauptsächlich bloß
for de besseren Kreise, die sich mit ihre Dumm-
heit entschuldijen kennen. Jedenfalls kann der
Mensch bei die hohen Fleeschpreise von billije
Majestätsbeleidijungen alleene uff de Dauer
ooch nich leben.

Un dabei werden de Zustände in't Vater-
land immer unsicherer. Fast jeden Dag lese
ick jetz in de Zeitung, det Widder '» paar
jeisteskranke Verbrecher ausjebrochen sind. Et
muß nach meine Berechnungen schon 'ne schwere
Menge von die Sorte bei uns 'rumloofen, un
wenn ick diesem Umstand bericksichtije, denn
kann ick mir schließlich ooch dem eijenartijen
Ausfall der Reichstagswahlcn uff natierliche
Weise erklären.

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße dein
jetreier Jotthilf Rauke,

an'n Jörlitzer Bahnhof, jleich links.

Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht
oder: Die gestörte Huldigungsserenade der Berliner Patrioten.

Ort der Handlung: Unter den Linden. Zeit: Am Abend des Reichstagswahltags.
 
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