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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0057
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Der deutschen Junker Siegeslied.

Laut dröhnt ein Jubelfestchoral
Vom Pregel bis zum Rheine:

Es leb'die lust'ge Faschingswahl!

Sie half uns auf die Beine.

Jetzt trotzen fest im Sattel wir
Dem Himmel und den Sternen,

Jetzt soll das Volk, das blöde Tier,
Ans gründlich kennen lernen!

Jetzt nehmen wir's in stramme Kur,
Da hilft kein Flehn und Bitten:
Vernunft, Recht, Freiheit und Kultur
Wird in den Dreck geritten!

Rur forsch die Sporen eingesetzt,
Pardon wird nicht gegeben!

's ist eine Freud'und Wonne jetzt
And eine Lust zu leben!

Gebrochen ist der Widerstand
Der roten Himmelhunde!

Den großen Löffel nehmt zur Hand
And nützt die günst'ge Stunde,

And füllt die weiten Taschen euch
And scheffelt ein das Geld jetzt.

Denn uns gehören Land und Reich
And uns gehört die Welt jetzt!

Am Boden liegt, was uns bekriegt:

Wer wollt'uns fürder hindern?

Wir haben ritterlich gesiegt —

And jetzo geht's ans plündern!

Jetzt bringt die goldne Erntezeit
Den Lohn für unser Streben,

Drum ist es eine Freude heut'

And eine Lust zu leben!

Frischauf! Die Meute angehetzt!

Heraus mit den Moneten!

Heraus mit euren Batzen jetzt,

Ihr Bürger und Proleten!

And wenn er greint und wenn er schreit.

Der arg geschundne Michel,

So sagt die wackre Geistlichkeit
Ihm flugs ein tröstend Sprüche!.

Die Geistlichkeit ist unser Freund,

Hilft uns die Beute mehren;

Im festen Bund mit ihr vereint
Woll'n wir die Schäflein scheren.

Genüber solcher Kompanie
Gibt es kein Widerstreben —

Für Pfaff' und Junker, juchheidi!

Jst's eine Lust zu leben! g.e,

öUUüraöttelegramme.

Berlin. Der erste ßeind ist niedergeritten und mit
Bravour zur Strecke gebracht! wegen Richtbeteiligung
an der diesjährigen Aaisergeburlstagsfeier wurde der
«Quartaner tzoffmann von der vierten städtischen Real-
schule zu Berlin verwiesen! Die öffentlichen Gebäude der
Reichshauptstadt legten aus diesem Anlaß ßlaggenschmuck
an. I" den Schulen fiel der Unterricht aus. Fürst Bülow
erwartete, hinter dem Gitter seines Palais stehend, die
Glückwünsche der nationalgesinnten Bürgerschaft. Der
Direktor der vierten Realschule wurde zum Malteser-
Ritter ernannt.

— Lin freisinniger Politiker, der das Glück hatte,
stundenlang mit Fürst Bülow sprechen zu dürfen, hat
mehrfach die liberale Aera ganz deutlich gerochen.

Hamburg, Heute kam der junge Mann von Scherl
in die Druckerei des „Scho" und pumpte sich streng ver-
traulich 200 kleine „n"; das Wort „national" käme jetzt
so häufig vor, daß sie mit ihrem Vorrat nicht mehr aus-
kämen.

Schwerin. Gestern feierte der Lehrer Dünnbein auf
Prachow sein Dienstjubiläum als Schweinetreiber. Aus
diesem Anlaß verprügelte ihn sein Gutsherr mit einem
funkelnagelneuen Stock.

Frankfurt a. Main. Das XVIII. Armeekorps hat
den sozialpolitischen Unterricht in der Instruktionsstunde
eingestellt. Die Leute können ihn nicht vertragen. Ls ist
vorgekommen, daß sie an krampfartigem tzusten erkrankten.

Wien, Hier wird zum erstenmal das allgemeine,
gleiche und geheime Wahlrecht ausgeübt. Di'' preußische
Regierung hat dazu auf Wunsch der österreichischen Re-
gierung zwei pommersche Landräte als Sachverständige
hinübergeschickt.

Petersburg. Der Sitzungssaal für die neue Reichs-
duma im taurischen Palais ist ein technisches Meister-
werk. Der Präsident braucht nur auf den Uuopf zu
drücken, und die ganze Opposition rutscht auf Fahrstühlen
in den Aeller.

Otjimbingwe. (von unserem deutschsüdwestlichen
Spezialberichlerstatter.) Die Bohrgesellschaft „Hotten-
totleuteuf" stieß bei einigen tausend Uilometern Gestänge
auf Wasser. Leider schmeckte es salzig. Ls stammte
nämlich aus dem Stillen Ozean, bis zu dem man sich
glücklich durch die Erdkugel durchgebohrt hatte.

Rach Schluß der Redaktion fing unser Blitzableiter für
drahtlose Telegraphie noch folgendes rätselhafte De-
peschenbruchstück auf:

. . wohlwollend gegenüberstehen. Darf nach ver-
traulicher Beratung namens Fraktion erklären, daß Aende-
rung Reichstagswahlrechts erste Lesung verzweifelten,
zweite gemäßigten Widerstand leisten, dritte Umfallen,
vorausgesetzt, Regierung . . ."

vielleicht weiß einer von unseren Lesern, was das
bedeutet?

Freisinns Glück und Ende.

Einst war ich nach Wort und Taten
Ein kompletter Teufelsbraten,

Mackst' mit schnöden Nörgelei'n
Oftmals der Regierung Pein.

Doch dann kam der Tag der Wonne:
Mir erschien die Gnadensonne,
Wärmte Busen, Stirn und Sterz
And durchleuchtete mein Lerz,

Daß es schmolz im Strahlenglanz,
Unentwegt und voll und ganz.

Aller Stolz, den ich besessen,

War verflogen und vergessen.

Alle Bosheit schwand und schwieg,
Demut übt' ich, und es stieg.

Als den Dernburg man erhöhte.

In mein Antlitz Freudenröte.

Ich vertraute mich der Führung
. Unsrer guten Reichsregierung
Ohne Falsch und Arroganz,

Unentwegt und voll und ganz.

Als der Bülow rief zum Kampfe,
Nahte ich mit vollem Dampfe,

Zog als altbewährter Kämpe
Aus der Scheide meine Plempe,
Kampfesmut und Mordbegier
Quoll aus allen Poren mir,

In den allerersten Reihn
.störte man mich.sturra schrei'«.
Freudig trat ich an zum Tanz,
Unentwegt und voll und ganz.

Als getreuer Lanzenknecht
Stürzte ich mich ins Gefecht;

Mit den Junkern eng verschmolzen
Tat die Roten ich verholzen,

Stürmte über Stein und Stock
Mit dem Lottentottenblock,

Achtet' Ehr' und Anstand nicht.

Spie mir selber ins Gesicht,

Ward zum Spott des ganzen Lands,
Unentwegt und voll und ganz.

Als die Wahl vorüber war,

Wurd' mir dann mein Schicksal klar:

Treu dient' ich der Reaktion,

And — sagt an — was ist mein Lohn?
Gestern noch nannt' man mich Bruder,
Leute heiß' ich dummes Luder,

Gestern hat man mich geküßt,

Leute werd' ich angep. . .,

Derb tritt man mir auf den Schwanz,
Unentwegt und voll und ganz.

An des Reiches voller Krippe
Mästet sich die Iunkersippe:

Ich sitz' nach wie vor im Dalles —

Sechs Mandate, das ist alles!

Obendrein mit Lohn und Spotte
Uzt mich die feudale Rotte!

Auf das schmählichste blamiert,
Neingefallen, angeschmiert
Steh' ich da, ich dummer Lans,

Unentwegt und voll und ganz! I. e.

Der Triumph des Dreschgrafen.

Graf Pückler lin einer Berliner Volksversamm-
lung): Das mit dem „Niederreiten" habe ich
schon immer gesagt! Neuester Kurs ganz auf
meinen Ideen aufgebaut. Jetzt soll nur Ge-
richt noch mal wagen, mich für verrückt zu
erklären. Werde es unweigerlich wegen Ma-
jestätsbeleidigung belangen!

Aus Berlin.

Um eine Wiederholung der in den letzten
Wahlnächten zutage getretenen unliebsamen
Erscheinungen zu verhindern, beabsichtigt man
am Gitter des Reichskanzlerpalais' eine War-
nungstafel mit der Inschrift anzubringen:

Vorsicht!

Man bittet, den Insassen nicht zu reizen!

Er redet sonst!
 
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