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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0061
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5346


Iftutterscbaft.

Der Ulinterwind stäubt weisseJlimmerwolke»
lllir ins Besicht. Ich wandre sachten Schritts
Auf wundervollem weichen weissen Polster.

Jlus tiefem Sinnen weckt mich jäh ein Stöhnen:
Im dunklen torweg kauert da ein UJeib —
€in junges Ding und doch schon Mutter fast,
Des Düngers Stempel auf der fahlen Mange.
Mit kurzen Morten kündet sie ihr Leid:

Ihr Liebster ging, weil man ihm zugeredet
Und um der hohen Löhnung nach Süd-Mest.
€r hat getreulich auch den Lohn gesandt —
Bis zu dem Lag, wo ihn der Cyphus fest
ln seine dürren UJiirgerarme nahm.

Du» steht sie in der kalten UJelt allein
Mit ihres kümmerlichen Leibes Srucht
Und bettelt scheu um eine Lagerstätte
Jiir ihre schwere Stunde.

Droschke, he!

Mir irr’it von Krankenhaus zu Krankenhaus;
Cs breiten überall sich Christi Arme
Mi dem Portal, — der Menschen Mine nicht:
Kein Platz! — Zur Polizei, zur Charite —
Man sendet uns von Pontius zu Pilatus,
üergebetts...

Cine arme (JUaschfrau endlich,
Die uns der Zufall in die Mine führt,

Dimmt sie in ihrer engen Stube auf
Und stützt die matte leise: „Urines Murin!"
Doch eh' erbarmen »och das Leide» lindert,
Uerröcheln uns zu Siissen — Meib und Kind.

...Schwer drückt dasSchweigeu auf dieRiesen--
stadt,

Die nächtige. Dur fernher klingt es grell,
Klingt einer siegestrunknen Menge johlen
Und steiget aufwärts zu den kalten Sternen.
Sie singen: „Deutschland, Deutschland über
alles-“ p.e.

Sozialdemokratische Gaunertricks.

Wie die „Post", das wegen seiner Wahr-
heitsliebe allgemein geachtete Zentralorgan
der nationalen Scharfmacher, Buschklepper und
Jndustrieritter, zu erzählen weiß, haben die
Berliner Sozialdemokraten sowohl bei der

Haupt- als auch bei der Stichwahl das „Ur-
teil des Volkes" auf dem „Wege des Betrugs
und der Vergewaltigung" zu fälschen versucht,
indem sie die Zettelverteiler der bürgerlichen
Parteien massenhaft in Schankstätten lockten
iind ihnen dann die Zettel mit Gewalt ab-
nahmen.

Mit tiefer, aufrichtiger Beschämung konsta-
tieren ivir, daß die „Post" den Sozialdemo-
kraten jetzt endlich hinter ihre Schliche ge-
kominen ist. Es hilft kein Leugnen mehr: die
Roten sind durch den bewährten Scharfsinn
der „Postesel" entlarvt! Und da nun doch alles
verloren ist, so wollen wir nicht länger zögern,
sondern durch ein offenes Geständnis gleich die
ganze Wahrheit rückhaltlos ans Licht bringen.

Nicht nur die dem Schnaps leicht zugäng-
lichen nationalen Zettelverteiler, nein, auch
die staatserhaltenden Wähler selbst
sind durch allerhand gemeine, heimtückische
und ruchlose Machinationen der Sozialdemo-
kratie verhindert worden, am Wahltag ihrer
Bürgerpflicht zu genügen.

So wurde der Geheime Kommerzienrat A.,
ein hochangesehenes Mitglied der national-
liberalen Partei, auf seinem Gange zum Wahl-
lokal von sozialdemokratischen Schleppern auf-
gegrisfen und unter allerhand Vorspiegelungen
in die bekannte Parteidestille „Zum roten
August" gelockt. Hier nahm man ihm im
Kümmelblättchen das gesamte, mehrere Mil-
lionen betragende Vermögen ab, das der Kom-
merzienrat an diesem Tage unglücklicherweise
in der Hosentasche bei sich trug. Als Bettler
verließ der einst so geachtete Mann die höl-
lische Spelunke. Da er nicht einmal die vier
Nordhäuser bezahlen konnte, die er in Gemein-
schaft Mit den heuchlerischen Buben auf des
Fürsten Bülow Wohl geleert hatte, so borgte
man ihm schließlich „aus Barmherzigkeit"
20 Pfennige, wogegen er auf Ehrenwort ver-

Wir sitzen fest im Sattel...

„Nu man los, jetzt können wir alles niederretten, was
sich unserer Wohlsahrt und Größe in den Weg stellt."

sprechen mußte, seine Stimme dem sozial-
demokratischen Kandidaten zu geben. Der
Ärmste löste das Versprechen ein und erhängte
sich dann an seinem Hosenträger.

Oder ein anderes Stückchen! Unmittelbar
nach der Reichstagsauflösung bestellte die Ber-
liner sozialdemokratische Parteileitung bei an-
gesehenen Kolonialfirmen mehrere Hektoliter
Kameruner Palmöl. Man stritt sich damals
in den politischen Salons der Reichshaupt-
stadt lange darüber herum, welchein dunklen
Zweck diese seltsame Bestellung wohl dienen
solle. Am 25. Januar kam dann die Infamie
in ihrer ganzen Scheußlichkeit zutage. Durch
bestochene Dienstboten wurden starke Dosen
des Ols den angesehensten Berliner Rentiers
heiinlich in den Morgentrunk gemischt. Die
Wirkung des feigen Anschlags war eine ver-
heerende. Die beklagenswerten Opfer ver-
mochten den ganzen Tag über das Klosett
nicht zu verlassen und mußten jammernd auf
die Ausübung ihres Wahlrechts verzichten.

Setbst geivisse allgemein bekannte und beliebte
Eigentümlichkeiten der Berliner Polizei hat die
rote Horde ihren Zwecken dienstbar gemacht.
Wiederholt belästigte und beleidigte man die
zur Wahlurne eilenden Bürger in so zudring-
licher Weise, daß die Betreffenden genötigt
waren, den Beistand des nächsten Schutzmanns
in Anspruch zu nehmen. Die von den hämi-
schen Buben vorausgesehene und beabsichtigte
Folge dieses verzweifelten Schrittes blieb nicht
aus: die Hilfesuchenden wurden sofort ver-
haftet und erst nach mehreren Tagen aus dem
Polizeigewahrsam entlassen, so daß sie samt
und sonders ihres Wahlrechts verlustig gingen.

Ein tatkräftiges Mitglied der christlich-
sozialen Partei und des „Männerbundes zur
Bekämpfung der Unsitilichkeit" wurde am Vor-
mittag des Wahltags durch einen anonymen
Rohrpostbrief in die Wohnung einer zweifel-
los mit dein Umsturz in Verbindung stehen-
den Halbweltdame gerufen, die — wie es in
dem Briefe hieß — der moralischen Bekehrung
dringend und umgehend bedürftig sei. Freu-
digen Herzens eilte der Wackere an den be-
zeichneten Ort. Aber die Bekehrung gelang
dem schon etwas ältlichen und im Dienste der
guten Sache überanstrengten Herrn nicht mit
der gewünschten Schnelligkeit. Und als man
schließlich in späterAbendstunde ein anscheinend
befriedigendes Resultat erzielte, da war die
Wahlzeit längst abgelaufen und der nationale
Block um eine wertvolle Stimme betrogen!

Wir könnten der „Post" noch zahllose ähn-
liche Fälle verraten, wollen es aber vorläufig
bei diesen bewenden lassen, deren Nachdruck
wir ihr kostenlos zur Verfügung stellen. J.S.
 
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