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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0232
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— 5518

Das Meeting in der Scbwabenstadt

Das ist ein Strom, ein TDenscbenstrom, der flutet und der

wogt und schwillt

Und majestätisch Messt er bin und staut sieb bald zum

Meere an;

CUie Brandung braust es durch die Luft wie an der weiten,

wilden See.

Das ist des Uolkes grosser Cbing zu Stuttgart auf dem

Wiesenplan.

UJie um den ?els die Hochflut rauscht, so tost es hier

um das Gerüst,

Bis das Signal die Wogen hemmt, und plötzlich still

wird’s weit und breit

Und nur des Sprechers Stimme schallt und lauschend

ruht das IDenscbenbeer:

Gsbörtdasfriscbe, freie Wort,UerktindigungderneuenZeit:

„5rei sollt ibr sein und gleich im Recbt, Zusammen-
leben brüderlich,

Und kämpfen sollt ibr kühn und treu im beii’gen Krieg

zu jeder Jrist,

Bis ibr das hehre Ziel erreicht, der Menschheit schönes

Ideal,

Bis eure Welt ein Paradies für glückliche Geschlechter ist.

Dicht rasten sollt ibr und nicht rubn und stets zum Streit

gerüstet sein,

Im Kampf sollt ibr nicht lässig sein, nicht rückwärts,

Brüder, dürft ibr sebti;

Dur vorwärts richtet euern Blick und nur auf eure ?ahne

schaut!

Ibr leuchtend Rot in jedem Land soll stolz und kühn im

Winde webn.“

So schallt das Wort. .Hufbraust die ?!ut und donnernd

dröhnt es durch die Luft;

„?rei woll'n wir sein und gleich im Recht, zusammen-

steben brüderlich!

Uns trennen soll die Sprache nie und keine Grenzen

scheiden uns!

Gin einig Heer, so kämpfen wir, und, alte Welt, zer-
trümmern dich!" Sccundus.

VUtzüratzmachrMen.

Berlin. Der „Reichsanzeiger" veröffentlicht die Lr-
nennung Morengas zum nationalen Butzemann und
vitzliputzli des Rolonialamts.

München. Lin bekannter bayerischer Zentrumsführer
hat nach fünfstündigem Frühschoppen im tzofbräuhause
eine Denkschrift über den Bau von 30000 Connen-
Schlachtschiffen verfaßt. Im Reichsmarineamt ist man
jetzt dabei, sie zu entziffern.

Stuttgart. Sicherem verlauten nach wird das Ränig-
reich Württemberg auf sämtlichen Landkarten des „Reichs-
verbandes", Vorsitzender General Liebert, als „Schandfleck"
mit Tinte übermalt werden.

— Musikdirektor Lteindel hat im Gefängnis einen
musikalischen Rohrstock erfunden, mit dem man nach der
Melodie „tzeil dir im Siegerkranz!" prügeln kann. Das
preußische Rultusministerium ist geneigt, ihn zu erwerben.

Ver neue Hrchimeüez.

Dreiklassenwahlsystem! Sagt an,

Wann werden wir's erleben,

Daß diesen Block, von seinem Platz
Ls uns gelingt;u heben?

War einer einst im Altertum,

Der brach gar viele Äetten,

Der Archimedes war genannt,

Ach, wenn wir den jetzt hätten!

Der sprach: „Laßt eines festen Punkts
Ihr mich nur nicht ermangeln,

So heb' ich ohne Schwierigkeit
Die Welt euch aus den Angeln!" —
Nach solchem Nlann mit solchem Geist
Zu unserm Nutz und Zrommen
Schaut alles jetzt voll Sehnsucht aus,
Jedoch er will nicht kommen,
wein deutsches Volk, zu keiner Zeit
Sollst du an dir verzagen
Und sollst mit der Vergangenheit
Gespenstern dich nicht plagen.

Du sollst, sprach einst ein großer Geist,
Nicht in die Zerne schweifen,

Das Gute, das so nah dir liegt.

Das sollst du auch ergreifen.

Was du vermagst zu jeder Zeit,

Kannst unschwer du ergründen,

Des Archimedes festen Punkt
Wirst in dir selbst du finden.

Du findest ihn! Ts wird die Kraft
Dir auch dafür nicht mangeln:
Dreiklassenwahl und Zunkerwelt
Hebst du dann aus den Angeln! s.Fl.

Briefe von der Reife Dernburgs.

Bon unserem Epezialretsebegleiter.

I.

Dar es Salam, 10. August 1907.

Löbliche Redaktion!

Ich greife zur Feder, um Ihnen meine glück-
lich erfolgte Ankunft im afrikanischen Wunder-
land anzuzeigen. Zunächst möchte ich Ihnen
Mitteilen, daß sich für unsere Kolonien doch
bedeutend mehr Menschen interessieren, als
man gewöhnlich annimmt. Ich bemerkte hier
sogar eine echte deutsche Prinzessin, die mit
ihrem schwarzen Lakaien durchgebrannt ist und
ihre zukünftigen Schwiegereltern in Tanga be-
suchen will, ferner einen Bibelhausierer aus
Tarnow und einen Branntweinhändler aus
Nordhausen, beide mit vorzüglichen Empfeh-
lungen der Regierung ausgerüstet.

Großartiges leistet Scherl, der vierzehn Korre-
spondenten und zweiunddreißig Photographen
der Dernburg-Expedition mitgegeben hat. —
Die sechsundvierzig Mitarbeiter schinden Tag
und Nacht, bei Nacht mit Blitzlicht, inter-
viewen und knipsen den großen Bernhard, wo
es nur angeht. Bis jetzt sind für die Leser
Scherls schon fertiggestellt, entwickelt, kopiert
und auf Pappendeckel gezogen: 1. Dernburg
während der Fahrt an Bord des „Feldmar-
schall" (Gruppenbild); 2. Dernburg, nach der
Küste auslugend; 3. Dernburg steigt die Fall-
treppe hinunter; 4. Dernburg im kleinen Boot
(Gruppenbild); 5. Dernburg steigt die Treppe

hinauf zum Landungsplatz; 6. Dernburg ist
gelandet! (Gruppenbild); 7. Dernburg wendet
sich dem Innern derKolonien zu (Rückenansicht);
8. Dernburg wird von eingeborenen Mädchen
bewillkommnet (Gruppenbild); 9. Dernburg
erhält das erste Glückwunschtelegramm aus
Berlin (Momentaufnahme): 10. Dernburg, auf
einer Dattelkiste rastend; 11. Die erste afrika-
nische Bedürfnisanstalt besuchend; 12. Dern-
burg während des Aufenthalts in der Be-
dürfnisanstalt (aus der Vogelperspektive);

13. Dernburg beim Verlassen der Anstalt;

14. Dernburg, ein afrikanisches Mädchen, das
ihn mit Liebesanträgen verfolgt, zurückweisend
(Momentaufnahme) usw. usw. Ich freue mich
schon auf den großen Eindruck, den diese Bilder
in Berlin machen werden.

Morgen beginnt das große Reinemachen in
den Kolonialämtern. Man hat natürlich keine
Ahnung davon, daß mir kommen. Exzellenz
Koofmich geht nur mit einem dicken Beschwerde-
buch unterm Arm aus, während ihm zwei
andere Bände nachgetragen werden. Wer
immer von den Schwarzen ein Anliegen auf
dem Herzen hat, darf sich einschreiben, den
Herren Assessoren wird alles unter die Nase
gerieben werden.

Nächstens mehr von Ihrem ergebenen

Moritz.

ii.

Dar es Salam, 20. August 1907.

Löbliche Redaktion!

Dernburg fährt weiter energisch fort, seine
Aufräumearbeit zu verrichten. Mit aufge-
schürzten Ärmeln, Kehrbesen und Scheuer-
lappen ist er tätig. Viele der geängstigten
Assessoren ziehen es vor, freiwillig aus dem
Leben zu scheiden, ehe das fürchterliche Straf-
gericht sie ereilt. Wir kommen darum nicht
aus den Leichenfeiern heraus.

Eines steht feit: die neue Bahn von hier
zum Viktoria-Nyanza ist eine dringliche Not-
wendigkeit. Die Kamele sind den Weg oft
 
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