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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

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https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0280
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• 55G6

—3—31813

(Dir glaubten alle bis zur jüngsten Zeit
Dass Uolkes Kraft das Fremdenjoch zertrümmert,
Dass Fleiss den Uölkern Macht und Kraft verleibt
ünd sich dereinst den Bau des Staats gezimmert.

Dass Preussen sieb aus tiefer Schmach erhob,
Balt als Uerdienst des Uolkes, nicht der Krone;
Des grossen Korsen fjeeresmaebt zerstob
Uom Kolbenscblag der Eandwebrbataillone!

Dass Zorn und Brirnrn und nationale Scham
Ob des Uerrats entnervter, feiger Junker
Die fldlerfabnen in die Fäuste nahm,

Ist schwacher Köpfe müssiges Geflunker.

Der wahre Sieger war die Frömmigkeit,

Die unterm Druck des fremden Jochs erblühte,
Die uns geleitet in den Männerstreit
Samt dem Uertrauen in des Höchsten Me.

So schildert' es dem Gnkel einst der Breis,
Begeistert sprach er von des Uolkes Beiden;
Doch einer, der dies alles besser weiss,
Musst' andre Gründe jüngst dafür zu melden.

So sagt uns einer, der es besser weiss,

Uom Sinn für (Uabrbeit dazu angetrieben.
UJabrscbeinlicb wird demnächst auf sein Bebeiss
fluch die Beschichte gründlich umgeschrieben.

Julius Motteler +

Run ist auch der „rote Postmeister" dahingegangen,
der seit den Tagen, da das Vrgan der deutschen Sozial-
demokratie, der Züricher „Sozialdemokrat", heimlich als
Ronterbande seinen Lesern vermittelt werden mußte,
eine fast legendäre Testalt geworden war.

Julius Lrnst Motteler war am 18. Juni 1838 in
Lßlingen geboren, empfing höhere Schulbildung und
ward von Beruf Rausmann und Tuchmacher. Rach
Sachsen übergesiedelt, wurde er in die Politik hinein-
gerissen und kam über den Rationalverein und die
Rrbeiterbildungsbestrebungen zum Sozialismus. In
Lachsen verrichtete er reiche Agitationsarbeit und konnte
von \874^ bis 1878 den Wahlkreis Zwickau im Reichs-
tage vertreten. Die politisch bedeutsamste Zeit seines
Lebens, der er seinen an die Spitze dieser Zeilen gestellten
Beinamen verdankt, war die Zürich-Londoner Periode,
in der er als Geschäftsführer des „Sozialdemokrat" ganz
hervorragendes leistete.

Im Jahre 190s verschwanden die letzten Rachwirkungen
des Schandgesetzes und Motteler konnte die deutsche
Heimat wieder betreten. Von 1903 bis 1906 vertrat er
den Wahlkreis Leipzig-Stadt im Reichstag, um seitdem
still und zurückgezogen zu leben. Am 29. September 1907
ist er 69 Jahre alt gestorben. Die deutsche Arbeiter-
schaft wird seinem begeisterten und opferfreudigen wirken
stets ein treues Andenken bewahren.

MtzäratzmachriOten.

Berlin. Der Staatssekretär des Reichsschatzamts will
seinen Abschied einreichen, weil er sich bei totaler Ab-
wesenheit eines Reichsschatzes überflüssig vorkommt.

— General Stößel ist hier. Lr führt täglich auf der
^riedrichstraße seinen Hund und den höchsten preußischen
Rriegsorden spazieren; aber es ist nicht wahr, daß er
beide aneinander bindet.

Dresden. Der Hof forderte die kleine Prinzessin Pia
Monika zurück, weil die Gräfin Montignoso das arme
Rind zu sehr verwöhnt. So zum Beispiel hat sie ihm
schon wieder einen neuen Papa geschenkt.

Von: konservativ - freisinnig -- national-

sozial-volksparteilich-nationalliberalen

Blockparteitag.

Aus der großen Programmrede des Reichstags-
abgeordneten rNittellinius.
o o o

„. . . Das Prinzip ist die Hauptsache, meine
Herren. Wer keine Prinzipien hat, ist ein Lump.
(Bravo!) Darüber sind mir alle einig. Aber
eine andere Frage, die für die praktische
Politik ausschlaggebend ist, ist die, ob das
Prinzip auch durchführbar ist. (Sehr richtig!)
Wir sind zum Beispiel alle für die freiheit-
liche Ausgestaltung unserer Reichsverfassung,
vor allem für ein durchaus freiheitliches
Vereiusgesetz und für die durch nichts be-
schränkte Koalitionsfreiheit der Arbeiter. (Oho!
bei den Nationalliberalen.) Beunruhigen Sie sich
nicht, meine Herren Großindustriellen, Bürger-
meister Und Staatsanivälte! Wenn ich sage,
daß ivir dafür sind, so meine ich nur: >vir
sind in der Theorie dafür. (Bravo!) In der
Praxis aber werden wir dagegen stimmen
(Sehr richtig!) — schon um des lieben Friedens
willen. Mau kann ein Prinzip Hochhalten,
auch wenn man es preisgibt! (Hört! Hört) Das
ist das Ideal einer wahren Realpolitik. (Stür-
mischer Beifall.) Und ivo bliebe der Block, unser
vielgeliebter Block (Rufe: Er lebe hoch!), wenn
nicht jeder von uns seine Prinzipien auf deui
Altar des Vaterlandes opfern wollte? (Leb-
haftes Händeklatschen.)

Ja, meine Herren, man kann mitunter auch
zu viel Gesinnung haben. (Sehr richtig! bet den
Nattonalltberalen.) Und zu viel Gesinnung schadet
im praktischen Leben. Oder haben Sie schon
einmal gehört, daß ein Mann mit zu viel
Gesinnung Bürgermeister geworden ist? Wir
Liberalen aller Schattierungen hatten bis
vor kurzem noch viel zu viel Gesinnung.
(Widerspruch bet den Nalionalliberalen.) Wenn ich
viel zu viel sage, so meine ich das natür-
lich nicht wörtlich. Aber das eine können
Sie doch alle nicht leugnen, daß Sie un-
klugerweise hier und da, wenn auch noch
so vorsichtig und höflich, gegen die Junker-
politik der Agrarier im Reiche Opposition

machten. (Mit Recht! bei der Freisinnigen Ber-
einigung.) Nein, meine Herren, mit Unrecht.
Das lehrt uns die Geschichte. Das Bürger-
tum hat zwar das Recht, eine eigene Meinung
zu haben, soweit davon überhaupt die Rede
sein kann; aber diese eigene Meinung wider
den Willen des Adels und der Junker durch-
zusetzen oder sie gar den weit älteren Privi-
legierten, die das historische Recht haben,
aufzuzwingen, iväre Wahnsinn, Utopie, An-
archie! (Stürmischer Beifall auf allen Bänke».) Be-
scheidenheit ist die Seele aller nationalen
Politik, das hat uns unser großes Vorbild,
der Kanzler von Norderney, gelehrt. Diener
sein, ist die höchste Bestimmung des Menschen.
Er der Diener des allerhöchsten Herrn, wir
die Diener seines Dieners! Dies ist in
Wahrheit der Katechismus des liberal-konser-
vativen Blocks!

Allzuviel auf einmaldarf manvomBlocknicht
erwarten. Darum, meine Herren, lassen Sie
sich tvegeu der preußischen Wahlrechtsreform
ja keine grauen Haare ivachsen! („Tun wir
nicht!" auf allen Bänken.) Erklären Sie ruhig,
daß Sie im Prinzip für die Einführung des
allgemeinen, gleichen und geheimen Wahl-
rechts sind! Das schadet Ihnen durchaus
nichts! Denn die Konservativen glauben ja
doch nicht, daß sie Ernst damit machen. Und
bei der Menge können Sie durch Veröffent-
lichung Ihres Prinzips einige tausend Stim-
men fangen! (Sehr gut!) Aber dann genug!
Dann an die praktische Arbeit! Das heißt,
nehmen Sie das Wahlrecht au, das Ihnen
die Regierung bietet. (Bravo!) Sie wird die
rechte Mittellinie finden, damit der Block
nicht auseinanderfällt! Und das ist schließlich
die Hauptsache. (Stürmischer Beifall.) Selbst
die Einführung der mecklenburgischen Ritter-
schaftsverfassung in Preußen inüßte ein wahr-
haft liberaler Mann freudig begrüßen, ivo-
fern sie imstande wäre, das gute Einvernehmen
mit den Junkern und die Huld des Reichs-
kanzlers dem Liberalismus zu erhalten. Ein
wahrhaft liberaler Mann zeigt eben dann erst
die ivahre liberale Gesinnung, wenn er sich
selbst entmannt!" (Andauernder stürmischer Beifall.
Tie Nationalltberalen werden wahnsinnig.) Cri-Cri.
 
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