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https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0312
5598 •-
Zum Zusammentritt des Reichstags.
Der Rerbstwind webt, am Boden raschelt
Das Laub, bald fällt der erste Schnee:
Da sammeln sich die Uolksvertrcter
Hergnügt am grünen Strand der Spree.
Osteibiens wohlbeleibter Recke
Streicht sich den Schnurrbart flott und kühn:
„Röchst angenehm ist doch so’n Ämter
Im Sündenpfuhle von Berlin;
„Zwar war die Ernte miserabel,
Doch feblt’s dem (Hackern nie an IDoos:
Die Ceurung häuft, die gottgesandte,
Uns gold’ne Berge in den Schoss.“
Dicht minder froh und heiter blicket
Der Zentrumsmann im schwarzen Rock,
Er hofft zu Gott auf fette Zeiten
Und segnet den famosen Block;
Ihn kümmert nicht des Feindes Dräuen,
Ihn stört nicht der Regierung Grimm:
Mag auch der Biilow scbmäbn und schmollen,
Er meint’s am Ende nicht so schlimm;
Den Pfaffen und den Junker einet
Seit Ewigkeit ein ehern Band;
Drum nicht verzagt: bald frisst uns wieder
Der gute Ranzier aus der Rand!
Das Rerz voll süsser Roffnung, träumen
Hon üpp’gen Rränzen stolzen Ruhms
Die Hollen, Ganzen, Unentwegten
Des neuerwachten Bürgertums;
Sie prüfen mit geschäft’gen Mienen,
(Hie hohem Orts die Launen stehn,
Und spüren auf den Rintertreppen,
(Hoher zur Zeit die HJinde wehn. —
Des Reichs gewandter Ranzier aber
Dotiert auf der Manschette Rand
Sich aus dem Büchmann rasch ein neues
Zitat aus Goethe oder Raut;
Schon hat er vor dem Spiegelglase
Die erste Rede einstudiert,
Mit mildem 5ett geschmeidigen Öles
Sind Raar und Zunge neu geschmiert.
Dun frisch! Die Spieler sind zur Stelle,
Die Menge harrt — den Horhang auf!
Die Rlaque jauchzt, und die Komödie
Dimmt, wie alljährlich, ihren Lauf.
Der ioerr Minister.
Eine Ansprache an die „nationalen" Arbeiter.
„Wir wollen, daß wieder die vier Grundpfeiler auf-
gerichtel werden, die Ihrem Stande eine glückliche
Zukunft sichern: Fleiß, Gottesfurcht, Nüchternheit und
Zufriedenheit! Es ist ja wohl wahr, meine Herren,
daß die Lebensmittel immer teurer werden — aber was
wollen wir dagegen machen? Übrigens ist zu erwarten,
daß in nächster Zeit alles billiger wird, und dann haben
wir ja auch billige Sachen, zum Beispiel den deutschen
Champagner, den Elbkavtar und — und — die Auto-
mobile werden auch immer billiger."
VUtzüratztnaOnOten.
Berlin. Die kaiserlich deutsche Rarnarilla ist schwer
krank. Durch die Pferdekur des Moltkeprozestes sind ihre
edelsten Vrgane furchtbar strapaziert worden.
Hannover. Ruch der nationalliberale Abgeordnete
tzeld verunglückte tödlich bei einer Beleidigungsklage.
Lin Wahrheitsbeweis überfuhr ihn. Die unmündige
Zigarettensteuer trauert um ihren Vater.
Wien. Traf Lternberg, der österreichische Traf pückler,
läuft trotz seiner wüsten Schimpfereien immer noch frei
herum. Man hat schon mehrfach seinen Teisteszustand
untersuchen wollen, aller man hat keinen gefunden.
erielmenschm.
D du zwanzigstes Jahrhundert,
Wiege neuen Menschenglücks!
Wer dich ahnungsvoll bewundert,
Tu's symbolisch hinterrücks!
Wiederkunft der alten Griechen!
D wie jubelt Herz und Sinn,
Wenn wir all' einander kriechen,
Frage keiner mich — wohin!
Jedes Ding wird umgewertet,
Auch die Liebe! Freunde, Heil!
Als ihr mir den Rücken kehrtet,
Sah ich euer bestes Teil.
Was wir denken, was wir treiben,
Fühlt sich an wie Molch und Lurch,
Statt sich viehisch zu beweiben,
Liebt man nur so hintendurch.
Hintendurch ist die Parole!
Hintendurch durch dünn und dick!
Hintendurch auf leiser Sohle
Treibt der Kluge Politik,
Hintendurch die Mahlzeit würzen
Mit verlogener Schmeichelei,
Hintendurch Minister stürzen —
Hintendurch! Juchhei! Juchhei! Sri-Lri.
Posthumes von Leinrich Leine.
Berlin, Spätherbst 1907.
And in Berlin, der Kaiserstadt,
Da wollt' ich Überwintern,
Da trug die Garde das Feigenblatt
Statt vorne dran — am Hintern.
Dort lebte als keusche englische Miß
Ein Gras von Montefiori,
Der kriegte plötzlich die Syphilis,
Jedoch — a posteriori.
Blamier' mich nicht, mein Kürassier,
And grüß' mich nicht Anter den Linden;
Wenn wir beim Grafen Lynar sind,
Wird sich schon alles finden.
Glossen.
Es ist nachgewiesen, daß die „TäglicheRund-
schau" — das einzige Blatt, das Wilhelm II.
ganz liest — für den Kaiser eine besondere
Ausgabe herstellt. Dagegen ist es, wie wir
erfahren, eine Verläumdung, daß diese Ausgabe
nur Sport- und Jagdnachrichten bringt. Sie
enthält auch soziale und politische Notizen.
Sämtliche Mailänder Polizisten, die bei den
letzten Unruhen auf Arbeiter schossen, wurden
verhaftet und sehen ihrer Bestrafung entgegen.
Die Verhafteten sollen von Breslau und
Nürnberg Telegramme bekommen haben, die
sie des tiefsten Mitleids und großer Sympathie
versichern. »
Upton Sinclair, der Schrecken aller Kor-
ruption, diente monatelang im Hause der
Vanderbilts, ohne erkannt zu werden, und sam-
melte Stoff für einen Roman. Demnächst will
er als Freiwilliger bei den Potsdamer Garde-
du-Corps eintreten.
Aus dem Soldatenleben.
Auf dem Aasernenhof.
In der Adlervilla.
Zum Zusammentritt des Reichstags.
Der Rerbstwind webt, am Boden raschelt
Das Laub, bald fällt der erste Schnee:
Da sammeln sich die Uolksvertrcter
Hergnügt am grünen Strand der Spree.
Osteibiens wohlbeleibter Recke
Streicht sich den Schnurrbart flott und kühn:
„Röchst angenehm ist doch so’n Ämter
Im Sündenpfuhle von Berlin;
„Zwar war die Ernte miserabel,
Doch feblt’s dem (Hackern nie an IDoos:
Die Ceurung häuft, die gottgesandte,
Uns gold’ne Berge in den Schoss.“
Dicht minder froh und heiter blicket
Der Zentrumsmann im schwarzen Rock,
Er hofft zu Gott auf fette Zeiten
Und segnet den famosen Block;
Ihn kümmert nicht des Feindes Dräuen,
Ihn stört nicht der Regierung Grimm:
Mag auch der Biilow scbmäbn und schmollen,
Er meint’s am Ende nicht so schlimm;
Den Pfaffen und den Junker einet
Seit Ewigkeit ein ehern Band;
Drum nicht verzagt: bald frisst uns wieder
Der gute Ranzier aus der Rand!
Das Rerz voll süsser Roffnung, träumen
Hon üpp’gen Rränzen stolzen Ruhms
Die Hollen, Ganzen, Unentwegten
Des neuerwachten Bürgertums;
Sie prüfen mit geschäft’gen Mienen,
(Hie hohem Orts die Launen stehn,
Und spüren auf den Rintertreppen,
(Hoher zur Zeit die HJinde wehn. —
Des Reichs gewandter Ranzier aber
Dotiert auf der Manschette Rand
Sich aus dem Büchmann rasch ein neues
Zitat aus Goethe oder Raut;
Schon hat er vor dem Spiegelglase
Die erste Rede einstudiert,
Mit mildem 5ett geschmeidigen Öles
Sind Raar und Zunge neu geschmiert.
Dun frisch! Die Spieler sind zur Stelle,
Die Menge harrt — den Horhang auf!
Die Rlaque jauchzt, und die Komödie
Dimmt, wie alljährlich, ihren Lauf.
Der ioerr Minister.
Eine Ansprache an die „nationalen" Arbeiter.
„Wir wollen, daß wieder die vier Grundpfeiler auf-
gerichtel werden, die Ihrem Stande eine glückliche
Zukunft sichern: Fleiß, Gottesfurcht, Nüchternheit und
Zufriedenheit! Es ist ja wohl wahr, meine Herren,
daß die Lebensmittel immer teurer werden — aber was
wollen wir dagegen machen? Übrigens ist zu erwarten,
daß in nächster Zeit alles billiger wird, und dann haben
wir ja auch billige Sachen, zum Beispiel den deutschen
Champagner, den Elbkavtar und — und — die Auto-
mobile werden auch immer billiger."
VUtzüratztnaOnOten.
Berlin. Die kaiserlich deutsche Rarnarilla ist schwer
krank. Durch die Pferdekur des Moltkeprozestes sind ihre
edelsten Vrgane furchtbar strapaziert worden.
Hannover. Ruch der nationalliberale Abgeordnete
tzeld verunglückte tödlich bei einer Beleidigungsklage.
Lin Wahrheitsbeweis überfuhr ihn. Die unmündige
Zigarettensteuer trauert um ihren Vater.
Wien. Traf Lternberg, der österreichische Traf pückler,
läuft trotz seiner wüsten Schimpfereien immer noch frei
herum. Man hat schon mehrfach seinen Teisteszustand
untersuchen wollen, aller man hat keinen gefunden.
erielmenschm.
D du zwanzigstes Jahrhundert,
Wiege neuen Menschenglücks!
Wer dich ahnungsvoll bewundert,
Tu's symbolisch hinterrücks!
Wiederkunft der alten Griechen!
D wie jubelt Herz und Sinn,
Wenn wir all' einander kriechen,
Frage keiner mich — wohin!
Jedes Ding wird umgewertet,
Auch die Liebe! Freunde, Heil!
Als ihr mir den Rücken kehrtet,
Sah ich euer bestes Teil.
Was wir denken, was wir treiben,
Fühlt sich an wie Molch und Lurch,
Statt sich viehisch zu beweiben,
Liebt man nur so hintendurch.
Hintendurch ist die Parole!
Hintendurch durch dünn und dick!
Hintendurch auf leiser Sohle
Treibt der Kluge Politik,
Hintendurch die Mahlzeit würzen
Mit verlogener Schmeichelei,
Hintendurch Minister stürzen —
Hintendurch! Juchhei! Juchhei! Sri-Lri.
Posthumes von Leinrich Leine.
Berlin, Spätherbst 1907.
And in Berlin, der Kaiserstadt,
Da wollt' ich Überwintern,
Da trug die Garde das Feigenblatt
Statt vorne dran — am Hintern.
Dort lebte als keusche englische Miß
Ein Gras von Montefiori,
Der kriegte plötzlich die Syphilis,
Jedoch — a posteriori.
Blamier' mich nicht, mein Kürassier,
And grüß' mich nicht Anter den Linden;
Wenn wir beim Grafen Lynar sind,
Wird sich schon alles finden.
Glossen.
Es ist nachgewiesen, daß die „TäglicheRund-
schau" — das einzige Blatt, das Wilhelm II.
ganz liest — für den Kaiser eine besondere
Ausgabe herstellt. Dagegen ist es, wie wir
erfahren, eine Verläumdung, daß diese Ausgabe
nur Sport- und Jagdnachrichten bringt. Sie
enthält auch soziale und politische Notizen.
Sämtliche Mailänder Polizisten, die bei den
letzten Unruhen auf Arbeiter schossen, wurden
verhaftet und sehen ihrer Bestrafung entgegen.
Die Verhafteten sollen von Breslau und
Nürnberg Telegramme bekommen haben, die
sie des tiefsten Mitleids und großer Sympathie
versichern. »
Upton Sinclair, der Schrecken aller Kor-
ruption, diente monatelang im Hause der
Vanderbilts, ohne erkannt zu werden, und sam-
melte Stoff für einen Roman. Demnächst will
er als Freiwilliger bei den Potsdamer Garde-
du-Corps eintreten.
Aus dem Soldatenleben.
Auf dem Aasernenhof.
In der Adlervilla.