Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 24.1907

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6549#0365
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
5651 -•

Der besorgte Patriot.

Der Waffenfund in der Panistrabe zu Berlin hat Herrn Rentier Pröppke ver-
anlaßt, sich zu rüsten, um das Vaterland bis zum letzten Atemzug gegen die sozia-
listischen Mordbrenner zu verteidigen.

SD ftobelfpäne. LT

Es geht lustwandeln der Schatzsekretär,

Die Sperlinge zivitschern rinHs um ihn her,
Und sieh, da ist ein Wunder geschehn:

Er kann der Vöglein Sprache verstehn.

Was sonst nur ein Märchen aus alter Zeit
Berichtet, hat sich erfüllet heut.

Doch bringts Herrn Stengel um seine Ruh,
Er hält sich die beiden Ohren zu.

Und >vie er so wandelt kreuz und quer,

Die Sperlinge fliegen hinter ihm her
Und zwitschern ihm nach bei jedem Schritt
Nur: „Defizit! Defizit! Defizit!"

Die Leute, die heutzutage am meisten und ohne ihr Zutun photo-
graphiert werden, sind erstens die Monarchen — und zweitens ihre
Antipoden, die Anarchisten.

* .

Und als das winzige Brödchen Recht so! Und lacht nur immer
Im Reichstag hob Bebel empor. So weiter in jenem Haus!

Da lachte rechts zusammen Bis euch die Wähler jagen

Der Junker ganzer Chor. Zum Tempel dort hinaus!

Die jetzt im preußischen Landtag den Krieg gegen die Polen
führen, sind gar „treffliche Minierer". Sie lehre» das Volk, wie man
die Expropriation der Expropriateure vollzieht.

Kein Feuer und auch keine Kohle
Kann brennen jemals so heiß,

Als heimliche Zentrumsliebe,

Von welcher der Junker was weiß.

Als Ludwig Uhland im Grabe hörte, welche Rolle er r.i Bismarcks
Schlafzimmer gespielt haben soll, drehte er sich mit einem hörbaren
Ruck auf die andere Seite herum. ^ getmie, Säge, Schreiner.

Der Friedensetat.

Gutgestnnle Knüttelverse.

Zum erstenmal seit vielen Jahren
Sind wir wieder mal nach England gefahren;
Und wir dürfen ohne Übertreibung sagen:
Die Reise hat schöne Früchte getragen.

Die Wolken alle, die uns bedräut.

Sie sind verscheucht für lange Zeit,

Am politischen Limmel, in sanfter Wonne,
Lächelt die liebliche Friedenssonne.

Drum dürfen wir ruhig der Zukunft vertrau»
Und können zu Laus nach dem Rechten schaun.

Da erscheint uns denn zunächst vonnöten
Ein Zuwachs an Kanonenböten;

Und, um unser Glück recht zu genießen.
Wollen wir fleißig Panzerplatten gießen;
Damit der neue Freund uns recht liebe und
schätze.

Errichten wir rasch ein paar Stapelplätze;
Auch das Lager bei Döbritz dünkt uns zu klein:
Flugs baun wir ein größres, den Freund zu
erfreu»;

Und, um unsre Freundesliebe zu betonen.
Bestell'» wir beiKrupp einige hundertKanonen!

Das treue Volk aber erhebt sich zum Lobe und
Preise

Unsrer gesegneten Englandreise,

Es spottet der Äungersnöte, der harten.

Und blecht die geforderten Milliarden,

Die Presse wedelt mit sanften Palmen,
Kadetten dichten Friedenspsalmen,

Und jubelnd tönt es fern und nah:

Es lebe der herrliche Friedensetat! 3. e.

Der Welt voran!

Jaja, das liebe Deutschland
Ist in der Welt voran!

Man weiß ja, daß der Kanzler
Einst diesen Spruch getan.

Der ganzen Welt voran auch
Ist der Getrcidepreis
In unsrem Deutschen Reiche,

Wie männiglich man weiß.

And lauter als wo anders
In dieser Zeit getan.

Knurrt unserm Volk der Magen —
Wir sind der Welt voran!

Lieber Jacob!

Die letzten Reichstagsverhandlungen waren
wieder mal riesig amiesant und belehrend!
Also de Majestätsbeleidigungen sollen in Zu-
kunft for de Mitjlieder der jutjesinnten Par-
teien bequemer un billijer jemacht werden. Ick
habe daher meinem Ältesten, der leider bet
Talent zu 'ne sehr kräftije un impulsive Aus-
drucksweise von seine liebe Mutter jeerbt hat,
sofort den väterlichen Rat erteilt, in'n Kriecher-
verein inzutreten, weil de Mitglieder von
patriotesche Kejelklubs von vornherein von'»
Jerichlshof dafor taxiert werden, bet se nich
in de Lage sind, irjend wat „mit Vorbedacht"
zu sagen. Aber der Bengel meent, et wirde
ooch so jehen, denn die paar Unorjanisierte,
die uff seine Arbeetsstelle mit mank sind und
bei die man uff 'ne Denunzijazjion könnte je-
faßt sind, wären alle so dämlich, bet et bei sie
immer länger als wie 'n halbes Jahr dauerte,

bis se kapiert hätten, wat eener jesagt hat.
Un in die Zeit soll ja bet Verbrechen nach del
neie Jesetz schon verjährt sind.

Sehr wohltätig wirkten ooch de Uffklärungen,
die der Staatssekretär Bethmann-Hollweg über
die hohen Lebensmittelpreise von sich jejeben
hat. Er meente, der Notstand wäre man bloß
'ne „vorieberjehende Erscheinung". Det stimmt,
denn 'ne Hungersnot is minier wat vorieber-
jehendes. Wenn eener nämlich bloß zehn Dage
nischt zu fressen jekrieht hat, is er dot un de
Anjelejenheit damit for ihm wie ooch for de
Reichsrejierung erledigt. Aber wat ist heut-
zutage eejentlich nich „vorieberjehendeErschei-
nung"? De hohen Fleesch- und Brotpreise
sind et, un de Sozialdemokratie soll et ja be-
kannntlich ooch sind. Der eenzije Trost, der
uns iebrig bleibt, is de Jewißheit, det unsere
Staatssekretäre un Ministers jotlseidank ooch
zude„vorieberjehenden Erscheinungen"jeheren!
Da kann villeicht noch allens mal besser werden.

Aber nich bloß in de Polletik, sondern ooch
in de Poesie wird bei uns heitzudage villes
Jeistreiche jeleistet. Sojar de Lichterfelder
Kadetten klettern schneidig uff 'n sojenannten
Pejasus un entlocken ihm de wildesten patrio-
teschen Flötentöne. Un während sonst in de
besseren Jesellschaflskreise de Dichter meistens
nich for voll anjesehen werden, stülpt man
sonne Rotzneese 'n Lorbeerkranz uff de feuchten
Ohren. Uff alle Fälle wissen wir doch nu,
wem det nächste Denkmal in 'n Dierjarten wird
jesetzt werden. Un da sagen de Ausländer
noch immer, det wir keen Kulturstaat »ich
sind!

Womit ick verbleibe mit ville Jrieße Dein

>"""' s.itmif

an'» Jörlitzer Bahnhof, jleich links.
 
Annotationen