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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 25.1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.6608#0007
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[)G75

Die Geschichte vom Niklas und den Tintenbuben.

Frei nach dem Struwwelpeter von R. Wagner.

Es ging spagieren vor dem Ter
Ein General vom Gardckorps,

Von Einem, Preußens Kriegsministcr,
Wie war sein Antlitz streng und düster!

Doch klar und hell wie ’n Edelstein
War sein Gemüt und engelrein.

Er wußte nichts von Moltkes Frau,
Von Lynar nichts und Hohenau.

And als er in den Reichstag kam,

Ganz uitschuldsvoll dort Platz er nahm.

Da kam der böse Bassermann
And fuhr den Armen schändlich an.

Der Wiemer kam vom Kaffernblock
And schwang den dicken Freisinnsstock.

And auch der Paasche kam gerannt
And trug viel Briefe in der Land.

Die schrien und machten viel Skandal,
Weil gar nichts mußt' der General
Von Lynar und von Lohcnau
And von dem Moltke seiner Frau.

Da kam der große Nikolas
Mit seinem Kanzlertintenfaß
And spracht „Ihr Kinder, hört mir zu.
And laßt den General in Ruh.

Was kann so 'n General dafür.

Daß er so viel nicht weiß wie ihr?"

Die Buben aber folgten nicht
And lachten ihm ins Angesicht;

Sie machten schrecklichen Skandal
And ärgerten den General.

Der Niklas, Bernhard auch genannt.
War drob in wilder Wut entbrannt.

Er packte gleich die Buben fest

Bei Arm, bei Kopf, bei Rock und West',

Den Bassermann, den Wiemer auch.
Den Paasche, der lag auf dem Bauch

And schrie: ich bin konservativ;

Es half nichts, in die Tinte tief.

Bis über'n Kopf ins Tintenfaß
Tunkt sie der große Nikolas.

Jetzt sind sie schwarz mit einem Mal,
Noch schwärzer als der General,

And alles, was sie je gewußt.
Verschließen sie in stiller Brust.

Von Einem geht im Glorienschein,
Die Tintenbuben hinterdrein,

And hätten sie nicht doch gehorcht,
Lätt' sie der Niklas gar erworgt.

- O o o —

-6ie Paulchen ein Flegel wurde.

„Sei höflich gegen alle Leute!" hatte die
Mutter gesagt. „Mit dem Hute in der Hand
kommt man durch das ganze Land!" hatte sie
aus dein reichen Schatze ihrer gut-hausbackenen
Lebenserfahrung hinzugesetzt.

Paulchen war ein braver Junge; einer von
jener unheimlich brave» Sorte, die anderen als
Musterbeispiel vollkommener Lebensführung
präsentiert zu werden und dafür zum Dank
von ihnen Hiebe zu kriegen pflegt. Er glaubte
ohne Vorbehalt, was man ihm sagte, selbst
wenn man ihn zum Kaufmann schickte, um
„Mückenfett" zu holen. Er glaubte also auch
an deutsche Sprichwörter.

Bis eines Tages der Turm dieser gefestig-
ten Lebensanschauung durch einen Stoß, den
die Schlechtigkeit der Menschen ihm versetzte,
ins Wanken geriet und mit Krachen unckippte!

Das aber kam so: Paulchen hatte für sechzig
Pfennig Wurst vom Schlächter geholt und trug
sie heim mit der Würde eines pflichttreuen Be-
amte», der sich als kleines, aber notwendiges
Rad im Getriebe eines großen Haushaltes fühlt.

Paulchen ging rasch, denn zu Hause wartete
der gute Vater, hungrig von der Arbeit. Und
was sollte der gute Vater essen, wenn er ihm
nicht die schöne, frische Wurst brachte?!

Da sprach ihn vor einem großen Hause eine
feine, vornehme, elegant gekleidete Dame au:

„Sieh' inal her, du lieber kleiner Junge...
tust du mir wohl einen Gefallen? Und läufst
hier schnell die vier Treppen hoch zu der Frau
Meyer: sie möchte doch so gut sein und run-
lerkommen . . .? Ich will auch derweil die
Wurst da halten!"

V

Des Holzfällers Heimkehr.

Paulchen zögerte und dachte an den guten,
hungrigen Vater. Dann aber fielen ihm die
goldenen Worte seiner treuen Mutter ein, daß
man höflich sein soll gegen alle Leute, weil
das was einbringt.

Paulchen also gab der netten, feinen Dame
solange die Wurst zum Aufbewahren und lief
in das Haus hinein, vier Treppen hoch. Aber
da wohnte keine Frau Meyer! Und wie er
wieder unten war und Bericht erstatten wollte
— da fand er die andere Dame auch nicht
mehr. Sie war wohl im Menschengedränge
verunglückt.

Daheim setzte es dann eine heillose Kata-
strophe. Der hungrige Vater, dem sein Abend-
brot durch die Lappen gegangen war, glaubte
keine Silbe von der merkwürdigen Geschichte
mit der feinen Dame, sondern behauptete kurz,
Paulchen habe die Wurst selber gefressen, und
bekräftigte diese Ansicht mit dem Rohrstock.
Die erste Auflage war für die Wurst; die
zweite für die Raffiniertheit und Frechheit,
die Paulchen bewiesen habe bei dem Versuche,
sich durch ein Lügengewebe aus der Affäre
zu ziehen.

Und die gute Mutter weinte und sagte: sie
hätte von nun ab keinen Sohn mehr, denn
ihr bisheriger Sohn hätte gestohlen und ge-
logen und sei außerdem gefräßig!

Paulchen ging schluchzend, ohne Abendbrot,
ins Bett. Am nächsten Morgen stand er frisch-
gestärkt ivieder auf als ein niederträchtiger
Ruppsack und Flegel, den die anderen Jun-
gens bald bewundern lernten und zu ihrem
Anführer erkiesten. Und sein Lehrer meint:
er wird ganz gewiß noch mal ein Sozial-
demokrat!
 
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