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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 26.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.6707#0026
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- 6094

Sei zufrieden!

„Bewundernswert ist die Kultur
Und wir sind stolz auf ihre Gaben.

's ist schade aber doch, daß nur

Die Reichen den Genuß heut' haben - “

Du nörgelst, Zreund? D tu es nicht.
Bedenk', daß du in Deutschland bist.
Zufriedenheit sei deine Pflicht
Als Musterbürger und als Christ.

Bedenke, daß du gratis hast
Das Anschau'n aller Leckerbissen!

Und daß dir ganz erspart die Last.

Den Magen ausgerenkt zu wissen.

Auch an dem Anblick sicherlich

Von Wein und Sekt darfst du dich laben:

Sei doch zufrieden! Zreue dich,

Daß andere den Kater haben!

Auch schimpf'nicht, wenn vorübereilt
Lin Autler, bessernd deine Luft.

Die Güter sind gerecht verteilt:

Er hat das Auto du den Duft. . .

Und wenn dich eins mal überrennt
Und dir zerbricht dein morsch Gebein,
Dann fluch' nicht gleich: es kann am Lnd'
Lin kaiserliches Auto fein!

Dienstmädchen.

Skizze» von Paul Enderling.
kZagar.

Draußen Hatto das Mädcheii seine Sachen
gepackt. Frau Prager konnte deutlich hören,
>vie sie ihre Kammertüre schloß, wie sie über
den Flur ging, die Korridortüre öffnete und
wieder verschloß. Sie atmete auf. Gott sei
Dank! Sie hatte nicht gewagt, ihr noch ein-
inal vor die Augen zu treten und etiva eine
Rührszene zu spielen.

Vor einer Stunde hatte sie die furchtbare
Entdeckung gemacht, daß das Mädchen in
anderen Umständen sei. Selma hatte nicht
geweint, sondern getrotzt, und als sie sie drängte
und nach dein Namen des Schuldigen fragte,
nur höhnisch gelächelt und geschwiegen. Natür-
lich entließ sie sie sofort; man konnte ihr doch
wirklich nicht zumuten, mit so Einer - so
Einer - unter einem Dache iveiter zu leben.

Sie blickte neugierig aus dern Fenster.

Es schneite stark. Die Flocken tanzten dichter
und dichter und hatten längst eine iveiße Decke
über die Straße gelegt und auf Erker, Giebel
und sogar das Denkmal gegenüber kleine
Schneemützchen gesetzt. Es ivar behaglich, in
das kalte Treiben zu blicken, wenn man so
im Warmen sitzen konnte.

Draußen ging Selma mit dem kleinen Bündel
in der Hand. Sie ging im zögernden Schritt
und dachte wohl erst über den Weg nach, den

sie einschlagen sollte. Endlich ging sie quer-
über den Platz und bog in die Straße ein,
die zum Bahnhof führte.

Frau Prager sah ihr nach, bis die Gestalt
in dem dichten Flockentreiben ihren Blicken
entschwand.

Dann ging sie ins Nebenzimmer, ivo ihr
Sohn — der Quintaner — über seinen Schul-
arbeiten saß.

„Hast du viel zu arbeiten, Karl?"

„Nur noch Religion."

„Das lerne nur gut, Karl. Das ist das
wichtigste im Leben! Was habt ihr denn auf?"

„Die Geschichte der Hagar, Mama."

Unwillkürlich nahm sie das Buch zur Haud
und las die uralte Geschichte von der Magd
Hagar, die von des Nomadenfürsten Schwelle
getrieben ivurde und „in der Wüste irre ging"
mit ihrem verdurstenden Knaben Jsmael.

Ihr Gesicht ivurde blaß. Ihr war, als stand
dort „Selma" gedruckt, nicht „Hagar".

Einige Augenblicke überlegte sie. „Ach Un-
sinn!" dachte sie endlich. „Ich möchte den-
jenigen sehen, der anders gehandelt hätte."

Aber als sie »vieder ans Fenster trat, glaubte
sie in dem wirbelnden, unbarmherzig hernieder-
stäubenden, alles begrabenden Schnee wieder
Selma zu sehen, die mit ihrem kleinen Bündel
dahinivankte. Aber sie war elend und ihr
Schritt war schwer und ihr zur Seite ging
ein kleiner, verhungerter, zerlumpter Junge,
der die Fäustchen drohend zum Fenster empor-
hob.

Das Baö.

Der Badeort war von der Natur gesegnet.
Langgestreckte, wellenförmige, waldbedeckte
Berge schlossen ihn ein und schützten ihn gegen
die rauhen Winde der Ebene. Die Berge zogen
sich bis in die See hinein; einige versprengte
Felsstücke in der Flut sahen aus, als seien sie
von Riesen hierher geschleudert, die hier ein-
mal gekämpft hatten.

Um die Villen zogen sich Gärten, die wenig
zu blühen schienen. Und wenn die Sommer-
sonne das Meer durchleuchtete bis zu de»
Tiefen, wo Bernstein und Muscheln lagen,
schien das Ganze auch Verwöhnteren, als es
die kleine Therese war, ein Stück Paradies
zu sein.

Sie hatte hell aufgejauchzt, als sie hörte,
daß sie mit ins Bad sollte und daß sie dann
in der See baden dürfe - gerade so wie es
die vornehmen Herrschaften in jedem Som-
mer tun.

Aber das Bad ivar teuer. Und da man doch
etivas sparen mußte, entschloß sich Frau Haupt
mann als tüchtige Hausfrau, das Kinder-
mädchen zu entlassen. Für die paar Monate
könnte Therese deren Amt gut nebenbei be
sorgen. Sie war ja dafür im Bad.

Therese tat die Arbeit auch gern. Und noch
einiges andere dazu.

Frau Hauptmann war eine Modedame und
gewöhnt, daß sich stets neidische und bewu»
dernde Blicke auf sie lenkten, und das wurde
mit den Jahren immerhin schwerer. So half
sie der Natur mit einer „Schönheitskur" nach.
Therese half natürlich dabei, bei dem Her-
richten der warmen Bäder, die eine bestimmte
Gradzahl haben mußten, beim Massieren, bei
dem kunstvollen Aufbau der Frisur und all
den tausend Kunstgriffen, die die peinlichen
Spuren der Zeit verwischen sollte».

„Seien Sie froh, daß Sie so 'was- nicht
brauchen", sagte dann die Gnädige seufzend.
 
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