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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 26.1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.6707#0388
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6456

Eine Dame, die mir der Professor als seine
Wirtschafterin vorstellte, öffnete uns die Türe,
und während ich in einem kleinen, reich aus-
gestatteten Salon verweilte, trafen beide im
nebenanliegenden Studierzimmer die nötigen
Vorbereitungen.

Als ich in diesen mit Büchern, anatomischen
Zeichnungen, Totenschädeln und Skeletten an-
gefüllten Raum geführt wurde, sah ich in einer
Ecke nächst der in den Korridor gehenden Türe
einen schwarzgepolsterte», hochlehnigen Sessel,
um den ein Wandschirm gestellt war. In der
Mitte des Zimmers stand ein Holzschemel, vor
den ich mich, den Rücken dem Wandschirin
zugewandt, stellen mußte.

Nachdem die Wirtschafterin das Licht aus-
gedreht und sich entfernt hatte, ermahnte mich
der Professor, sobald der Geist es wünsche,
den kranken Körperteil zu entblößen und mich,
um die Besichtigung zu erleichtern, über den
Holzschemel zu legen.

Dann begann der Gelehrte erst langsam und
mit leiser Stimme, dann immer lauter und
dringender werdend, und zum Schluß mit
feierlich gebietendem Tone folgende mir un-
verständliche Worte zu rezitieren: „O Theo-
phrastus. Gibde me in falls, Paracel-
sus, pinsele in enrat. Bombastus!"

In der lautlosen Stille, die auf diese Be-
schwörung folgte, hörte ich nur mein Herz
pochen. Dann vernahm ich plötzlich ein leises
Rauschen. „Er ist da," flüsterte mir der Pro-
fessor zu.

„Großer Geist des Weisesten der Weisen,"
sagte er dann laut, „ein Erdensohn erfleht
deine Hilfe gegen peinvolle Qual."

Ein leises klirrendes Klingen war die einzige
Antwort des Geistes, den ich bei einemBlickrück-
wärts nur als eine weißschimmernde Schleier-
wolke im Rahmen des Sessels wahrnehmen
konnte. Nur daß er seine gespenstige Hand
weit vorstreckte, konnte ich deutlicher sehen.

„Der Geist verlangt zuerst das Gold," flüsterte
mir der Professor zu. Ich gab ihm die bereit
gehaltenen fünf Zwanzigmarkstücke und hörte,
ivie er sie der Erscheinung in die Hand legte.
Dann sah ich, wie dieser sich aufrichtete und
sich mir zuwandte. Mit fast klangloser, aber
doch deutlich verständlicher Stimme sagte er:
„Weise dein Weh!"

Sofort, wenn auch zitternd, ließ ich das Bein-
kleid hinabsinken und legte mich, das kranke
Gesäß dem Geist zugewendet, über den Schemel.
Ein kalter Schauer durchrieselte mich, als ich
das schlürfende Näherkommen des Geistes ver-
nahm. Jetzt mußte er mir ganz nahe sein,
ich fühlte das Wehen des Schleiermantels an
meinem entblößten Körperteil.

In diesem Augenblick passierte mir etivas
entsetzlich Peinliches. War es die gewiß ver-
zeihliche Angst, oder war es die zusammen-
gezogene Haltung, oder wirkte beides zusammen
— kurz, ich konnte nicht verhindern, daß sich
eine Gasblase aus meinem gepreßten Leib mit
ziemlichem Geräusch nach außen Bahn brach.
Es klang wie der lächerliche Ton einer Kinder-
trompete.

Aber mir war gar nicht lächerlich zumute.
Dem Geist offenbar auch nicht. Ich merkte,
wie er eiligst zurückwich, und hörte von der
Türeckeausdiezornig gezischtenWorte: „Würge
den Wurm!"

Entsetzt sprang ich auf, entschlossen, mein
Leben so teuer als möglich zu verkaufen, falls
der Professor Miene machen sollte, diesen grau-
samen Befehl des erzürnten Gespenstes aus-
zuführen.

Allein dieser schien gar nicht daran zu denken.
Er machte Licht und trat dann lächelnd an
mich heran. Ich wollte mich entschuldigen.

„Lassen Sie doch, lassen Sie doch nur," sagte
er freundlich. „Wir sind alle Menschen, so
etwas kann jedem passieren. Die Hauptsache
ist, daß der Geist uns den richtigen Finger-
zeig gegeben hat."

„Wieso?" fragte ich aufatmend.

„Nun, das ,Würge den Wurm!' kann nichts
anderes bedeuten, als daß die Ursache Ihres
Leidens ein Bandwurm ist, der getötet werden
muß."

„Ein Bandwurm?" sagte ich. „Aber ich habe
doch gar keine Symptome wahrgenommen, die
auf einen Bandwurm schließen lassen."

„Das will nichts sagen," meinte er. „Wahr-
scheinlich haben Sie früher einmal einen im
Darm kaum bemerkten noch ganz kleinen Band-
wurm gehabt, von dem einige Glieder beim
Abgang in die Pfortader eingedrungen sind. Da
sitzen sie jetzt fest, bilden Knoten und zur Zeit
der Eierabsonderung pochende und brennende
Geschwüre."

Das leuchtete mir ein, und frohgemut ging
ich auf seinen Vorschlag ein, es mit einem
Bandwurmmittel zu versuchen, das dein Pro-
fessor selbst einmal vortreffliche Dienste ge-
leistet hatte, und das er deshalb vorsichts-
halber sich noch einmal hatte anfertigen lassen.
Das Geld dafür, den Selbstkostenpreis von
fünfzehn Mark, mußte ich dem menschenfreund-
lichen Gelehrten förmlich aufdrängen.

Mit herzlichem Dank und Händedruck ver-
abschiedete ich mich dann von dem neu ge-
wonnenen Freund und versprach, ihm bald
von dem Erfolg Nachricht zu geben.

Die Tage, die nun folgten, gehörten, wie
man sich leicht denken kann, nicht zu den an-
genehmsten meines Lebens. Zuerst fastete ich
nach Vorschrift volle vierundzwanzig Stunden.
Dann nahm ich das Mittel. Es wirkte in seiner
Art vorzüglich. Freilich war es kein Vergnügen.
Die Explosionen waren so fürchterlich -und
folgten sich, immer schmerzlicher werdend, zwei
Tage und zwei Nächte hindurch so unablässig,
daß ich fast am Leben verzweifelte.

Schließlich war ich so schwach, daß ich mich
nicht mehr aufrechthalten konnte und das Bett
hüten mußte. Nur der treuen Pflege meiner
geliebten Gattin Josephine hatte ich es zu
danken, daß ich schon nach acht Tagen wieder
einigermaßen bei Kräften war.

Leider mußte ich während der Genesungs-
zeit die Wahrnehmung machen, daß der eigent-
liche Zweck der Kur nicht erreicht war. Ent-
weder war das Mittel dem Schlupfweg des
Bandwurmes in die Pfortader nicht gefolgt,
oder die Worte des Geistes waren anders ge-
meint geivesen. Die letztere Annahme erschien
mir mehr und mehr als die richtige, und ich
machte mir bittere Vorwürfe, durch jenen pein-
lichen Zwischenfall den ganzen Erfolg vereitelt
zu haben.

Mit meinerJosephine hatte ich einen schweren
Stand. Die sonst so kluge und verständige Frau
wollte sich, als der Mißerfolg feststand, über
den Geldverlust nicht beruhigen. Der Professor
sei ein Schwindler, schrie sie erregt; ja sie ver-
langte sogar, ich solle die Sache dem Staats-
anwalt anzeigen.

Es kostete mir große Mühe, sie von dieser
absurden Idee abzubringen. Ich wies auf das
vollkommen uneigennützige Verhalten des Pro-
fessors hin. Die hundert Mark hatte er dem Geist
ausgehändigt. Das hatte ich deutlich wahr-
genommen. Man hätte also schon Nachweisen
müssen, daß der Geist nicht „echt" war. Aber,
wie hätte eine dritte Person in das Zimmer
kommen, wie hätte sie sich unbemerkt entfernen
können?

„Du willst mir doch nicht etwa zumuten,"
sagte ich zu meiner Frau, „vor dem Gericht

mit dem Argument zu operieren, daß es über-
haupt keine Geister oder Geistererscheinungen
geben könnte. Das hieße ja meinen christlichen
Glauben verleugnen; das hieße die Worte und
Zeugnisse der Heiligen Schrift für null und
nichtig erklären. Kein deutsches Gericht würde
diese allgemeine Begründung einer Klage an-
erkennen! Oder hat etwa das Gericht in dem
Bombastusprozeß so etwas auszusprechen ge-
wagt? Und außerdem bedenke wohl: ich bin
Beamter im Kultusministerium! Die Bekundung
einer solchen atheistischen Ansicht würde meine
sofortige Entlassung zur Folge haben. Übrigens
wozu das Gerede? Ich habe den Geist ja mit
meinen eigenen Augen gesehen und mit meinen
eigenen Ohren gehört, ja sozusagen am eigenen
Leibe gespürt. Verschone mich also mit deinen
törichten Zweifeln!"

Meine Frau sagte nichts mehr. Die Gefahr,
ich könne gar mein Amt bei einer Klage aufs
Spiel setze», schien besonderen Eindruck auf
sie gemacht zu habe».

Sobald ich wieder kräftig genug war, machte
ich mich auf den Weg zu Professor Schwendlir.
Ich wollte ihm den Mißerfolg berichten und
ihn bitten, doch einen Versuch zu mache»,
Bombasins zu versöhnen und durch eine zweite
Konsultation eine richtige Weisung zu erhalten.
Leider traf ich ihn nicht zu Hause. Er hatte,
wie mir die Wirtschafterin mitteilte, eine mehr-
wöchige Reise antreten müssen. So muß ich
mich also einige Zeit gedulden.

Übrigens schien die Dame sich mir gegen-
über etwas verlegen zu fühlen. Sie errötete,
als sie rnich sah. Sollte der Professor ihr etwa
gar den peinlichen Zwischenfall in der ersten
Sitzung mitgeteilt haben? Das wäre mir als
einem wohlerzogenen Menschen doch sehr un-
angenehm. ..'S

Der feftretlner.

„Meine Herren, erheben rvir in dieser weihevollen
Stunde unsere Stimme zu einem Hoch auf das drei-
fache F: Freiheit, Faterland und Feuerwehr!"
 
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