Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 26.1909

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6707#0406
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
• • 6474

Der gekränkte Agrarier.

von Viesen loten Ungeheuern
Erfährt man nichts als Haß und Hohn:
Jetzt mäkeln sie an meinen Steuern
Unv meiner Deklaration.

Das märe wirklich fast zum Lachen,

Wär's nicht gemein und jammervoll!

Ja, sag' mir einer, wie ich's machen,

Wo nehmen und nicht stehlen soll!

Die Haushaltung der bessern Stände
Zehrt wahrhaft scheußlich am Besitz:

Acht Sommerwochen in Dstende
Und jeden Herbst in Biarritz!

Was man so einnimmt im Hazarde
pro Fahr, macht auch den Kohl nicht fett —
Drei Zungen stehen bei der Garde,

Und dann — die Kleine vom Ballett!

Wenn schließlich wir dazu addieren

Mein ganzes Gläub'ger-Lexikon-

Ach Unsinn! wozu soll das führen?

Was weiß so ein Prolet davon!

Man predigt doch nur tauben Dhren,

Man wird verleumdet und verlacht;

Die Bande ist dazu geboren.

Daß sie uns Gram und Ärger macht!

Erst mindert sie mir meine Habe
Und stürzt mich säst in den Bankrott
Schon schwand dahin die Liebesgabe
Durch den verdammten Schnapsboykott, —
Dann kränkt sie mich durch ihr Geläster
Und fordert — es i-st wirklich toll!

Daß ich, ein Edelster und Bester

Auch gar noch Steuern zahlen soll! tobtas.

Wie ioevv von Äerrwitz seinen
strategischen Artikel schloß.

Ärgerlich schob Herr von Herrwitz die Mor-
genbläiter von sich. Nach de!» schönen Sieg
in der Erbschaftssteuerkampagne nun diese
widerwärtigen Nachwehe».

Die offeiisichtlichen Fortschritte der Sozial-
demokraten bei allen Wahlen; die unablässigen,
aufreizenden Preßangriffe von seiten der ver-
abschiedeten liberalen Blockbrüder; und oben-
drein noch die Nörgeleien und Aufsässigkeiten
in den eigenen Reihen — das konnte denn
doch bedenklich werden!

Er sprang nervös auf und ging mit hastigen
Schritten ein paarmal im Zimmer auf und
ab. Dann stand er am Fenster und starrte
nachdenklich in den Garten, wo der rauhe
Herbstwind den Bäumen das buntgewordene
Blätterkleid vom Leibe riß.

„Die Gefahr ist, daß das alles auf Majestät
einen sehr ungünstigen Eindruck macht. . . .
Ist im Grunde doch nur Stimmungsmensch.
. . . Da darf gar nichts versäumt werden. . . .
Muß sehr geschickt behandelt werden. . . . Na,
darauf verstehen wir uns ja!"

Über Herrn von Herrwitz' schon etwas ab-
gelebte Züge glitt ein feines, ironisches Lächeln.

„Vor allem muß Majestät in Sache» der
Wahlreform richtig behandelt werden. Unbe-
greifliche Eselei von Büloiv, diese Festlegung
in der Thronrede! Wir müssen Majestät von
diesem.Versprechen' operieren. Ist ihm sicher
in innerster Natur zuwider. Mit Bethmann
haben ivir dann leichtes Spiel."

Wieder spielte das sarkastische Lächeln um
den Mund des Landjunkers.

„Werden die Sache schon kriegen. Für gute
Umgebung ist, Gott sei Dank, gesorgt. Aber
die Presse muß noch feiner eingestellt werden.

. . . Werde wohl selbst einen Artikel schreiben
müssen. . . . Will die einzuhaltende psycho-
logische Strategie deutlich markieren. . ."

Die Züge des Gutsherrn erhellten sich.
„Werde mir die Geschichte int Freien zurecht-
legen", sagte er und strich dem Hühnerhund,
der schon schweifwedelnd auf den gewohnten
Morgenausgang lauerte, über den rassigen
Schädelgrat. « »

Eine Viertelstunde später schritt der Guts-
herr, mit Joppe und Jagdhut bekleidet, die
Flinte an der linken Schulter und den derben
Eichenstock in der. Rechten, durch die Felder
seines Besitztums. Es war nur ein Nebengut,
ans dem er sich aber öfters allerlei Jagd-
gelegenheiten wegen einige Wochen aufhielt.

-Die Idee der Monarchie von Gottes Gnaden
muß den Ausgangspunkt bilden, überlegte er.
Gottes Wille und Ordnung gegen den demo-
kratischen, zersetzenden Gedanken der Selbst-
regierung der Volksmasse. . . . Der Kampf da-
gegen ist die besondere, weltgeschichtliche Mis-
sion der Hohenzoüerndynastie-Daraus ab-

zuleiten die Notwendigkeit der Aufrechterhal-
tung der christlichen Ständeordnung ... Herren
ulid Knechte, Befehlende und Dienende in
Haus und Staat. . . .

Drüben neben dem Gehölz war eine Schar
Leute mit Einbringen von Futterrüben be-
schäftigt. Der Gutsherr schritt darauf zu und
nahm den Rapport des militärisch salutieren-
den alten Inspektors entgegen. Dann trat er
mit einem „Guten Morgen, Leute!" auf die
Arbeitenden zu.

Diese erwiderten den Gruß mit kurzem Aus-
richten und bückten sich rasch wieder zur Arbeit.
Nur aus den Reihen der Frauen und Mädchen
ivurden ihm verstohlene, länger verweilende
Blicke zugesandt. Herr von Herrwitz galt bei
aller Strenge als ein jovialer Mann. Wenig-
stens kam der jüngere, weibliche Teil gut mit
ihm aus. Vor der Front freilich durfte sich
keine einfallen lassen, den Respekt zu verletzen.

„Wer ist die Neue dort?" fragte er den
Inspektor, auf eine üppig entwickelte, aber
jugendlich feste Mädchengestalt blickend.

„Die heute eingetretene Scharwerkerin des
Insten Kroßnick, gnädiger Herr", sagte der
Inspektor. „Eine entfernte Verwandte von ihm.

Sie stammt vom gräflich Lehnheimschen Gut
und wollte gern hierher, wie Kroßnick sagte.
Hat wohl ihren Schatz hier", setzte er mit einem
kurzen Blick in des Gutsherrn Auge hinzu.

Der hatte die Erwerbung inzwischen mit
Kennerblick gemustert. Das frische Gesicht mit
den funkelnden Augen und kirschroten Lippen
war umrahmt von einer Fülle dunkler Haare,
die aus dem bunten Kopftuch herausguollen.
Die pralle, runde Büste, die sich unter der
Kattunbluse abhob, und die durch kein Korsett ge-
brochenen elastischen Bewegungen verrieten die
blühende Jugendkraft ihres stämmigen Körpers.

Herr von Herrwitz hatte in puncto Liebe
in seinem Leben reichlich genossen. Von den
Leutnantsjahren angefangen bis in die letzten
Jahre hinein war er ein flotter Kavalier ge-
wesen. Die „ehelichen Freuden" hatten natür-
lich längst jeden Reiz für ihn verloren. Auch
die Engagements mit anspruchsvollen, kapri-
ziösen Damen der Gesellschaft oder der seinen
Halbwelt waren ihm fade und lästig gewor-
den. Nur das derb Animalische konnte seinen
schlaffen Sinn noch reizen. Ah!... Der Wind
trieb sein loses Spiel mit den Röcken des sich
bückenden Mädchens. Der Gutsherr verschlang
das flüchtig Gebotene mit gierigem Blick.

„Schicken Sie mir die Zugezogene nach
Feierabend mit ihren Papieren aufs Bureau,"
sagte er zum Inspektor und wendete sich zum
Gehen. . ^ «

Hm! ... Es fiel ihm wirklich schwer, den
Gedanken von vorhin wieder aufzunehmeu.
Also: göttliche Mission des Hohenzollern-
hauses.... Die starken bodenständigen Stützen
des Throns. . . .

„Donnerwetter, hat das Frauenzimmer ein
Paar prächtige Beine," unterbrach er sich
gleich wieder.

Erst nach einer Weile zwang er seine ab-
schweifenden Gedanken zu der gestellten Auf-
gabe zurück: Das Landvolk, der einzige sichere
Verlaß gegen die wachsende rote Flut. . . .
Seine Gottesfurcht und Königstreue, — die
festen Türme . . .

„Was für stramme, steile Büste! ... Seltene
Sache. . . . Brillantes Weib!"

Diesmal dauerte es noch länger, bis sich
sein Geist zur Fortführung der Arbeit be-
quemte: Aber die Regierung darf das auf sie
gesetzte Vertrauen nicht erschüttern. . . . Kein
schwächliches Zurückweichen. . . . Treue um
Treue. . . . Nicht verschüttet iverden darf der
ewige Jungborn. . . .

Herr von Herrwitz war stehen geblieben. Seine
Phantasie hatte sich in Bilder verloren, die sein
Blut in Wallung brachten. „Heute noch!", mur-
melte er. „Heute noch muß ich sie haben."

Rrrrr! - Eine Kette Hühner flog auf und
war verschwunden, ehe der Gutsherr noch die
Flinte von der Schulter hatte.

Der Hund sah sich vorwurfsvoll nach seinem
Herrn um. Lange genug hatte er „gestanden";
aber wenn der Herr nicht aufpaßt, dann fliegt
der Braten natürlich davon.

Mißmutig machte der Gutsbesitzer kehrt und
stampfte zum Herrenhaus zurück. Dort setzte
er sich an den Schreibtisch und zwang sich zur
Arbeit. Es fiel ihm heute schwer.

Er quälte sich noch den ganzen Nachmittag
ab. Nun aber hatte er die Geschichte fertig bis
aufdenSchluß. Er schwankte hin und her, mit
welchem Gedanken er das Ganze krönen sollte.
Sollte er dem gottgesehten königlichen Herrn
die hohe Pflicht strafender Härte ans Herz
legen, oder sollte er ihm die Stimmung väter-
lich fürsorgender Liebe gegen ein Volk, das
Törichtes forderte, suggerieren? Schon neigte
er sich zu der letzteren Wendung; zumal man
 
Annotationen